michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Zeitgeschichte im Zeitraffer

Ein köstliches Video aus dem Umfeld der heute-show

Die heute show des ZDF ist m.E. eine der wichtigsten Satire-Sendungen des deutschen Sprachraums. Derzeit hat sie Sendepause, aber im Umfeld entstehen trotzdem ausgezeichnete Beiträge. Einer ist als „Uns ging es noch nie beschissener als 2023… oder?“ derzeit online.

Kabarettistin Valerie Niehaus spielt 4 Frauen. Eine moderne aus 2023, die erklärt, warum es ihr am beschissensten geht, eine Hippie-Dame aus 1973, die das gleiche für ihre Zeit argumentiert, eine Dame aus 1923, die die gleiche Ansicht für ihre Zeit vertritt. Und eine aus 1952. So wird ein Jahrhundert Zeitgeschichte als Krisenbewältigung skizziert, im Zeitraffer – nicht ganz 12 Minuten.

2023

Multiple Krisen: Energiekrise, Corona, Klimakrise (wie naiv: „fängt grade erst an“), Inflation („Strom- und Heizkosten explodieren“, „auf dem höchsten Stand seit 70 Jahren“), Krieg in der Ukraine, Armut („jeder 6. betroffen“). „Uns gings noch nie, nie, nie so schlecht wie heute“.

Überblendung zu …

1973

Eine Hippie-Frau kann da nur lachen. „Wir hatten genau die gleichen Probleme“: Ölkrise (ja; das war 1973), Inflation, aber „rasant steigende Arbeitslosigkeit“, Insolvenzen, „wir durften am Sonntag nicht mehr Auto fahren“, „zeitlich befristetes Tempolimit von 100 auf deutschen Autobahnen“.

Doch dann meldet sich aber „die Uroma“ von …

1923

Die Uroma berichtet von Hyperinflation („7400 Prozent“), keine Antibiotika, Einmarsch von Frankreich und Belgien ins Ruhrgebiet wg. Reparationszahlungen zum Ersten Weltkrieg. Aufkeimender Nationalsozialismus; Hitler schießt im Münchner Bürgerbräukeller mit seiner Pistole in die Decke und fordert zum Putsch auf.

Die 3 Damen geraten in eine kleine Diskussion. Die Uroma aus 1923 trinkt dabei Sekt, der Hippie von 1973 raucht genüsslich, die Dame von heute isst Kartoffel-Chips. Irgendwie haben sich alle angepasst.

1952

Doch dann meldet sich die vierte Dame, die aus 1952. Ihre Uhrzeit ist „5 vor 12“. Der Zweite Weltkrieg, den „die Dullies aus den 20er Jahren uns eingebrockt haben, weil sie das mit den Nazis nicht hingekriegt haben“, sei noch nicht so lange her. Als die Bundesrepublik gegründet wurde, gab es ein „Bewusstsein dafür, dass Demokratie und Gesellschaft nur funktionieren, wenn wir diesmal darauf achten, dass der Wohlstand gerecht verteilt wird.“ Sie führt das „Gesetz über den Lastenausgleich“ an: „50% Sondersteuer auf das gesamte Vermögen von Superreichen“. Sie fordert, „um den Laden nicht wieder vor die Wand zu fahren, mitschreiben: 1. höhere Erbschaftssteuer, 2. eine Vermögenssteuer, 3. eine Übergewinnsteuer, 4. weniger Steuerschlupflöcher für internationale Großkonzerne“.

Was die Dame aus 1952 nicht tut: sie trinkt, raucht und isst nicht. Sie ist bei der Sache, und zwar völlig. Sie hat traumatische Erlebnisse hinter sich: den Zweiten Weltkrieg.

2023

Der Dame aus 2023 wird das zu kompliziert; sie hätte gern „eine kurze Powerpoint oder ein eMail“. Aber immerhin denkt sie daran, eine Demo anzumelden.

100 Jahre Zeitgeschichte

So werden zweimal 50 gleich 100 Jahre über die typischen Krisen zusammengefasst. Ich finde das genial gemacht.

Etwas fehlt vielleicht: die Dame aus 2023 versteht noch nicht ganz, dass ihre Krisen nicht nur die aktuellen sind, sondern auch globale statt nationale – und am Ende sogar finale, weil die Klimaentwicklung Punkte erreichen kann, die Lösungen von heute auf morgen unmöglich machen können: „Kipppunkte“. Dass die Zeit drängt, und dass wir nicht wissen, wie viel Zeit uns noch bleibt.


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