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Michael Bürkle

Zeit! Zeit? Zeit

Ich bin zu wenig Physiker, und die folgenden Überlegungen sind sehr spekulativ. Ich bin mir recht unsicher und würde mich über Feedback sehr freuen.

Zeit als Wiederholung

Zeit macht sich für uns Menschen verschieden bemerkbar. Einerseits stellen wir Wiederholungen fest: die wichtigsten Wiederholungsphasen sind das Jahr und der Tag. Die Astronomie hat diese Zeiträume mit Bewegungen der Erde erklären können: das Jahr entsteht dadurch, dass sich die Erde um die Sonne dreht, der Tag dadurch, dass sich die Erde auf ihrem Weg um die Sonne außerdem noch um sich selbst dreht. Dass ein Jahr 365 Tage hat, ist einfach die Tatsache, dass sich die Erde auf ihrem Weg um die Sonne 365 mal um sich selbst dreht – und noch ein bisschen mehr: um das auszugleichen, brauchen wir Schalttage in Schaltjahren – wie z.B. vor 2 Wochen den 29.2.2016.

(Ein dritter Himmelskörper – der Mond – spielt noch eine gewisse Rolle, allerdings eine völlig untergeordnete. Der Mond ist für den Begriff Monat verantwortlich: aber die verschwindende Bedeutung des Monds gegenüber Erde und Sonne macht sich bemerkbar in der enormen Ungenauigkeit des Begriffs Monat gegenüber Tag und Jahr.)

Zeit als Verlauf

Zeit ist aber nicht nur mit Wiederholungen verbunden; sie ist auch das, was wir im Alltag als manchmal schnell und manchmal langsam, aber jedenfalls als verlaufend erleben, wenn nicht gerade – wie manchmal im deutschen Schlager – als stillstehend. Wenn wir im Wartezimmer eines Arztes sitzen und „nichts geht weiter“, verrinnt die Zeit subjektiv langsam und zäh. Wenn wir dann drankommen und in einer halben Stunde 2 Zähne gezogen bekommen, ist die Zeit plötzlich ziemlich schnell geworden. Wenn wir innerhalb von 3 Tagen einen neuen Lebenspartner kennen lernen, uns unsterblich verlieben, die Wohnung und den Beruf wechseln – dann ist innerhalb dieser 3 Tage die Zeit wahnsinnig schnell vergangen.

Verschiedene Zeitbegriffe?

Sind diese Zeitbegriffe grundverschieden? Gibt es eine exakt verlaufende physikalische Zeit und eine sehr subjektive psychologische Zeit? Ich glaube nicht.

Erstens lehrt auch die moderne Physik, dass physikalische Zeit nicht überall und immer gleich schnell vergeht. In der Umgebung großer Massen vergeht Zeit langsamer. Zeit ist relativ.

Ich denke, es ist einfach eine Frage der jeweiligen Relevanz, was man unter Zeit versteht. Für uns als Menschen sind im Weltraum vor allem 2 Gegenstände relevant: die Erde, um auf ihr zu leben, und die Sonne, damit sie für dieses Leben Energie zur Verfügung stellt. Damit werden die relativen Bewegungen dieser beiden Himmelskörper die für uns global relevanten Zeitmaße. Da sich diese beiden Körper aus unserer menschlichen Perspektive in ihrer Masse kaum ändern, spüren wir auch die physikalischen Zeitveränderungen kaum.

Im Wartezimmer des Arztes sind die Bewegungen der Himmelskörper wenig relevant. Relevant ist, wie viele Leute noch vor uns dran sind; relevant ist, wie es mit unseren Zahnschmerzen aussieht. Wir warten und stellen fest: das Zahnweh hat sich nicht geändert und immer noch sind 5 Personen vor uns dran. Die relevanten Dinge haben sich praktisch nicht geändert: die Zeit verläuft sehr langsam, ja, sie „bleibt stehen“. (Auch für die Verliebten im Schlagerlied tut sich rundherum nichts von Relevanz: die Zeit „steht“.) Klar: die Uhr im Wartezimmer tickt und die Zeiger rücken weiter. Das ist für uns aber im Moment nicht wirklich relevant. Sobald es relevant wird, weil wir womöglich einen wichtigen Termin verpassen, vergeht die Zeit nur allzu schnell.

Ein Definitionsvorschlag

Zeit ist meines Erachtens einfach die Tatsache, dass sich Dinge im Raum verändern. Wenn sich keine Dinge verändern, gibt es keine Zeit. Zeit ist die Veränderung von Massen im Raum. Ich schlage hiermit vor, Zeit zu definieren als die Veränderung der Masse im Raum. Mathematisch: Zeit ist die Ableitung von Masse nach den Raum:
Zeitwobei m die jeweils betrachtete Masse und x die Raumkoordinaten darstellen.

Welche Masse / Energie / Materie betrachtet wird ist, ist Sache der Perspektive. Zeit überhaupt ist eine Sache der Perspektive. Natürlich lassen sich Masse und Energie als Erscheinungsformen desselben „Dings“ auffassen: auch da geht es darum, welche Erscheinungsform gerade in der gewählten Perspektive „relevant“ ist.

Eines Tages wird sich die Sonne aufblähen und die Erde verschlucken. Meines Erachtens sind spätestens dann die Zeitbegriffe Tag und Jahr völlig sinnlos geworden. (In Wirklichkeit schon lange davor!) Klar: man kann die Sekunde auch Erd-Sonne-unabhängig definieren und meinen, dass ein „Tag“ aus 86400 Sekunden besteht. Aber wenn sich die Erde nicht mehr oder ganz anders um sich dreht, ist der Begriff Tag am Ende. Und wenn es keine Sonne oder keine Erde mehr gibt, gibt es auch kein Jahr mehr. (Und vor der Entstehung von Sonne und Erde waren die Begriffe Tag und Jahr ebenfalls sinnlos. Insofern ist auch relativ sinnlos, das Alter des Universums auf 15 Milliarden Jahre oder so zu schätzen: damals gab es noch keine „Jahre“. Der erste „Tag“ fand erst lange nach dem Urknall statt.)

So weit ich das verstehe, ist dieser Zeitbegriff insofern anders als der jetzt in der Physik verwendete, weil die Physik derzeit Zeit als Teil des Raum-Zeit-Kontinuums sieht, in dem sich Masse und Energie „abspielen“. Zeit ist da zusammen mit dem Raum etwas „Primäres“. Ich nehme hingegen an, dass Zeit etwas Sekundäres ist: ohne Masse (bzw. Energie) und Raum gibt es sie nicht.

Und die moderne Physik?

Die moderne Physik steckt in einigen Bredouillen. Sie hat eine Theorie für die sehr großen, massereichen Dinge – die Relativitätstheorie – und eine Theorie für die sehr kleinen Dinge – die Quantentheorie. Beide Theorien leisten Hervorragendes, aber sie sind z.T. widersprüchlich und sie zu vereinigen (zu einer „Weltformel“) ist offenbar extrem schwierig.

Die moderne Astronomie beobachtet den Weltraum und stellt aufgrund von Messungen fest, dass es „Dunkle Materie“ und „Dunkle Energie“ en masse (!) geben muss – aber wir können sie nicht sehen, denn sie interagieren mit uns nicht. So etwas ist natürlich höchst unbefriedigend: etwas annehmen müssen, das wir nicht erkennen können. (Das ist schon fast wie Gott in einer Religion.)

Ich frage mich: könnte es sein, dass die Widersprüche innerhalb der modernen Physik aus einem ungeschickt gewählten Zeit-Begriff stammen? Man kann „beweisen“, dass der Raum 3 Dimensionen haben muss, denn jede andere Dimensionszahl würde zu unstabilen Verhältnissen führen. (Aber offenbar ist der Raum relativ stabil.) Also sind string-Theorien, die auf 11 oder mehr Dimensionen kommen, an sich falsch. (Mein Gott: man kann natürlich in 11 Dimensionen rechnen, aber bloß, weil man rechnen kann, muss das Berechnete noch nicht existieren. Auch ein häufiges Missverständnis innerhalb der modernen Physik: aus der Berechenbarkeit einer Lösung auf ihre Existenz zu schließen.)

Es gibt also einen dreidimensionalen Raum. In ihm befindet sich Masse (bzw. Energie). Masse verändert sich in diesem Raum: diese Veränderungen sind Zeit. (Nicht: sie brauchen Zeit, sondern: sie sind Zeit.) Zeit ist sekundär, nicht primär. Wenn sich nix ändert, vergeht Zeit nicht, gibt es keine Zeit, physikalisch wie psychologisch. Wenn sich Dinge in Wiederholungen ändern, ergibt das Zeitmaße. Welche Zeit wir wahrnehmen, hängt von der Relevanzverteilung unserer jeweiligen Perspektive ab.

Uhren „messen“ nicht Zeit. Uhren generieren Zeit.

Sind Zeitreisen möglich?

Nein, Zeit ist nicht Raum. Zeit ist auch nicht irgendwie Teil des Raums. „Zeit als vierte Dimension“ ist die naive Zeitvorstellung des Romans „Die Zeitmaschine“ von H.G. Wells von 1895 (und der wunderbaren Verfilmung von 1960).

Reisen kann man im Raum. Und jede Reise im Raum benötigt Energie und ändert damit alle Umstände, verändert Masse im Raum und „generiert“ damit Zeit. Aber wenn es Ihnen gelingt, alle, aber auch wirklich alle relevanten Umstände eines Ereignisses noch einmal herzustellen, dann haben Sie sozusagen eine Zeitreise gemacht und besuchen damit einen bereits einmal gegebenen Zustand wieder. Im kleinen Ausmaß erleben wir das immer wieder: man nennt das ein déjà-vu-Erlebnis.

Aber es wird im Normalfall extrem aufwändig sein, für einen Sachverhalt alle relevanten Umstände noch einmal herzustellen. Und wozu? Wenn alles so ist wie zuvor, wird auch alles gleich ablaufen wie zuvor. Wenn es nicht gleich abläuft, war irgendetwas garantiert anders.


Link: Lesch, Wie viele Dimensionen hat das Universum? alpha centauri, Folge 57, https://www.youtube.com/watch?v=Q21qMAE6eqY, bes. 05:20 ff., bis 08:25


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Whisker
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6 Jahre alt

Also Michael, da muß ich jetzt aber ein wenig mit dir schimpfen: Du hast da doch glatt eine der wichtigsten Publikationen über die Zeit vergessen! Und zwar das revolutionäre Hauptwerk des großen Philosophen (und noch größeren weisen Spaßvogels) Douglas Noel Adams mit dem Titel „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“: „Time is an illusion. Lunchtime doubly so.“ (Die Replik: „Very deep,“ said Arthur, „you should send that in to the Reader’s Digest. They’ve got a page for people like you“ wegzulassen, das hätte ich ja noch als läßliche Sünde durchgehen lassen…) Als geeignete Buße dafür würde mir jetzt zum Beispiel… Mehr »

Whisker
Whisker
6 Jahre alt

Naja, dass Zeitreisen – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – nicht möglich sind, hat übrigens auch sein Gutes. Denn: Nehmen wir einmal an, Zeitreisen wären tatsächlich möglich. Dann würde sich mit Sicherheit mindestens ein glühender Antifaschist finden, der in das Jahr 1888 zurückreisen würde, um einen gewissen Alois Schicklgruber und dessen Ehefrau Klara Pölzl davon zu überzeugen, Verhütungsmittel wären eine gute Idee – oder der Kindesmord im Jahr 1889 in (wie auch immer) begründeten Ausnahmefällen für akzeptabel halten könnte. Als Folge davon würde sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein glühender Faschist finden, der ebenfalls in das Jahr 1888 reisen… Mehr »

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[…] „Zeit“ hab ich mir schon lange was gedacht: „Zeit? Zeit! Zeit.“ Ich glaube, die Zeit ist eindimensional; meine Ideen dazu lassen aber auch eine zweite Dimension […]

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