Mathematik ist an sich für viele Menschen Zauberei – im besten Fall „weiße Magie“, im schlechteren Fall sind es Dinge hart an der Hexerei. Und diejenigen, für die Mathematik „keine Hexerei“ ist, werden bewundert oder skeptisch betrachtet.
Und natürlich war Mathematik früher oft dem Zaubern sehr nahe. Als Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi vor ca. 1300 Jahren als erster Mensch Gleichungen schrieb, war das eine Form von Magie. Abstraktion – und das ist die wesentlichste aller Leistungen der Mathematik – hat etwas Magisches. Heute bringen wir diese Zauberei, das Schreiben und Lösen von Gleichungen in x und y, Elfjährigen bei und tun so, als wäre das normal.
Ich habe in meinen ersten beiden Klassen die Konsequenz gezogen und „wirklich“ „gezaubert“. Das geht so:
Sie denken sich eine Zahl zwischen 1 und 9. Ihr Partner / Ihre Partnerin denkt sich auch so eine Zahl. Sie sagen mir selbstverständlich beide nicht, was Sie denken – ich werde in Ihre Gehirne hineinblicken. Sie müssen bloß etwas rechnen: Multiplizieren Sie Ihre Zahl mit 5. Addieren Sie zum Ergebnis 3. Multiplizieren Sie noch einmal mit 2. Zählen Sie Ihre Zahl dazu. Zählen Sie die Zahl Ihres Partners / Ihrer Partnerin dazu. Sagen Sie mir das Ergebnis. 77? Dann haben Sie an 6 gedacht und Ihr Partner / Ihre Partnerin an 5. Verblüffend, was?
Sie sagen: „Einfach…“? Man müsse „bloß zurückrechnen“. Na na! So einfach ist es nicht. Wie wollen Sie „zurückrechnen“, wenn zuletzt 2 unbekannte Zahlen addiert wurden?
Ich hab den Trick für meine 56 Elfjährigen (1f und 1c) entwickelt und hab ihn dort vorgeführt. Sie waren beeindruckt. „Noch einmal!“ „Noch einmal!“ Bald gabs einige Zauberlehrlinge, die glaubten, den Trick kapiert zu haben. Aber draußen an der Tafel zu stehen und plötzlich aus dem Ergebnis „55“ auf 2 Zahlen schließen zu müssen, stellte sich dann doch als sehr schwierig heraus. Wir mussten der Hexerei auf den Grund gehen: Wir brauchten Mathematik!
Nämlich:
Sie haben sich x gedacht; Ihr Partner / Ihre Partnerin hat y gedacht.
Dann wurde gerechnet:
Erstes Zwischenergebnis = 5x
Zweites Zwischenergebnis = 5x + 3
Drittes Zwischenergebnis = 2 . (5x + 3) = 10x + 6
Viertes Zwischenergebnis = 10x + 6 + x = 11 x + 6
Endergebnis = 11x + 6 + y
Jedenfalls ist das Ergebnis immer das Elffache der ersten Zahl plus 6 plus die zweite Zahl. Damit kann man „hellsehen“.
Bekommt man ein Ergebnis, subtrahiert man die störenden 6. (Die sind sowieso nur drin, damit das Ganze undurchsichtig wird.) Es bleibt 11x + y. Jetzt zerlegen wir diese Zwischenlösung in die größtmögliche Elferzahl (11, 22, 33, …) und den Rest. Die Elferzahl (11x) signalisiert das x, der Rest ist y. Keine Hexerei!
Ein Beispiel: Sie als Zauberer bekommen 47 als Ergebnis genannt. 6 weniger gibt 41. Die größte Elferzahl darin ist 33. Der Rest ist 8. Die gedachten Zahlen waren also 3 und 8.
Auf diese Art und Weise begannen 56 Elfjährige zu zaubern. Die Zauberlehrlinge standen an der Tafel, mit dem Rücken zum Publikum. 2 Zahlen wurden gezeigt: mit den Fingern, damit niemand was hört. Und dann rechnete die ganze Klasse mit. Und sie bestanden die Gesellenprüfungen. Ich hab mir sagen lassen, dass sogar in Schulbussen gezaubert wurde.
Einige wenige wurden Meister: die traten dann mit selbst entwickelten Adaptionen des Tricks auf! (Denn kurz bevor das Publikum „checkt“, wie der Zauberer arbeitet, ändert ein guter Zauberer eben sein Verfahren.) Sogar beim Tag der Offenen Tür hat die 1f gezaubert. Das war zwar nicht geplant und hat im ersten Versuch auch nicht geklappt. Desto eindrucksvoller waren dann die gelungenen Versuche.
erschienen in: Jahresbericht des BG/BRG Sillgasse. Schuljahr 2004/2005. S. 88f.