Was wissen wir von der Klimakatastrophe?
Die Frage ist nicht leicht. Was bedeutet hier „wir“?
Wir als internationale Wissenschaft
Die international organisierte Wissenschaft weiß sehr viel über den Klimawandel. 1972, also vor 51 Jahren, gab der Club of Rome die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ heraus, in der alle wesentlichen Problembereiche, die wir heute sehen und spüren, bereits angelegt waren. Seit 1988 gibt es den „Weltklimarat“ = das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), gegründet vom Umweltrat der Vereinten Nationen und von der Weltorganisation für Meteorologie. Das IPCC hält die Lage des Weltklimas (oder die Entwicklung des Klimawandels oder schlicht die Klimakatastrophe) in jährlichen Berichten evident. Man kann nachlesen, wie sich die Klimakatastrophe von Jahr zu Jahr verschärft. Wir alle wissen es.
Allerdings weiß auch das IPCC nicht alles. Klar ist, dass es im Klimawandel „Kipp-Punkte“ gibt, bei deren Überschreitung sich Sachverhalte gravierend und i.W. unumkehrbar ändern. Ob das 16 Kipp-Punkte sind (wie z.B. auf dem deutschen Bildungsserver aufgezählt) oder ob man das (guten Gewissens!) auf 7 oder 4 dieser kritischen Punkte „hinunterbrechen“ kann – 7 sind es laut Wikipedia, 4 bleiben es noch auf www.quarks.de – möchte ich nicht beurteilen. Unklar ist auch, wann diese Kipp-Punkte genau erreicht werden und wie viel Zeit wir noch haben. (Die „Letzte Generation“ sieht noch 2, maximal 3 Jahre, in denen man was erreichen kann. Ich denke, das ist leider realistisch,)
Wir als Österreicher*innen
Da geht es zunächst nicht um Österreich, sondern um den globalen Norden oder Westen. Ich denke, das sieht in Österreich nicht wesentlich anders aus als in der EU an sich; ob man die Situation bei uns mit der in den USA oder in Russland oder in China vergleichen kann, wage ich zu bezweifeln. Da kenne ich mich zu wenig aus.
Ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen bei uns vom Klimawandel gehört haben, dass viele davon auch die wichtigsten Ursachen kennen, dass aber nur wenige eine konkrete Vorstellung davon haben, wie sie der Klimawandel / die Klimakatastrophe in einigen wenigen Jahren betreffen könnte. Ich denke, da wäre noch viel Aufklärungsarbeit notwendig.
Ein Beispiel: ich kaufe Milch bei einem Milchautomaten eines Bauern in der Nachbarschaft. (Ja, man kann in Innsbruck rund um die Uhr Milch von lokalen Bauern beziehen.) Mir ist passiert, dass ich beim Befüllen meiner Milchflasche ein Auto mit Innsbrucker Kennzeichen bemerkte (ein „kleinerer“ SUV), das zur Zapfstelle zufuhr, bei laufendem Motor stehen blieb, aus dem dann der Fahrer (bei laufendem Motor) ausstieg, um nach mir Milch zu zapfen und dann wegfahren zu wollen. Ich habe den Herrn noch gefragt, ob er schon von CO2-Ausstoß gehört habe. Er verneinte. Ich habe ihn noch gefragt, ob er schon von der Klimaerwärmung gehört habe. Er verneinte noch einmal. Dann bin ich nach Hause gefahren.
(Ich war zu perplex, um etwas zu tun. Man hätte mindestens ein Video vom mit laufendem Motor stehenden Auto mit dem Milch zapfenden Fahrer im Hintergrund aufnehmen können. Mit Autonummer. Wäre aber vermutlich ein Streitanlass geworden.)
Der Mann machte mehrere Fehler gleichzeitig. Er fuhr innerhalb Innsbrucks mit einem Auto (Grundfehler: ein SUV) Milch holen – schon das war ein gravierender Denkfehler – und er ließ der Motor sinnlos laufen. Ich fürchte aber, der Mann war für viele Teile unserer Bevölkerung typisch.
Viele Menschen auch im globalen Norden / Westen wissen von den Details des Klimawandels noch relativ wenig und haben ganz wenig Vorstellung davon, wie der Klimawandel sie oder ihre Familie betreffen könnte. Wir könnten es alle wissen; das Wissen steht zur Verfügung, aber es ist klar, dass dieses Wissen komplex und unbequem ist, beunruhigend, beängstigend. Und wer mag schon Unruhe und Angst?
Und andere?
Es wäre eine sehr interessante Frage, wie viel Menschen in den USA, in Russland, China, Brasilien, Indien vom Klimawandel wissen. Ich kann das nicht beurteilen. Ich fürchte, dass das in Europa noch relativ gut aussieht …
Wir als verantwortliche Politiker*innen
Ich bin mir sicher, dass die meisten Politiker*innen auf der Bundesebene eine rudimentäre Ahnung von den möglichen katastrophalen Folgen des Klimawandels haben. Detailwissen haben vermutlich nur wenige. Ich bin mir aber auch sicher, dass sehr viele Politiker*innen lediglich in Amtsperioden – also bis zur nächsten Wahl – denken. Und dann liegt nahe, „jetzt keine unangenehmen Beschlüsse“ zu fassen. Man will ja wiedergewählt werden. Das führt aber zum Hinausschieben wichtiger & dringlicher Beschlüsse.
Daneben gibt es vermutlich auch Politiker*innen, die einfach zu dumm sind, den Klimawandel an sich zu verstehen. Die nicht nachvollziehen können, dass wir – als Menschheit – für den Klimawandel bzw. die Klimakatastrophe verantwortlich sind und vermutlich noch etwas ändern könnten. Manche von ihnen sind so dumm, weil sie es sind; manche sind so dumm, weil sie so sein wollen. Beide verbreiten ihre Dummheit unter ihren Wähler*innen.
Wir als Betroffene in aller Welt
In Pakistan, in Brasilien, in Südostasien, in Afrika: viele Menschen leiden jetzt schon unter den Folgen der Klimakatastrophe: in Form von Hungersnöten, Überschwemmungen, Waldbränden usw. Es ist anzunehmen, dass viele von ihnen mindestens ahnen, dass es sich um ein globales Phänomen handelt, das nicht nur sie betrifft. Viele werden auch ahnen, dass sie nur in sehr geringem Ausmaß an der Klimakatastrophe schuld sind, sondern dass sie die Auswirkungen der Politik der Nordens (West und Ost) ausbaden müssen.
Was tun?
Offenbar ist immer noch weiterhin viel Aufklärungsarbeit notwendig. Wir können uns noch nicht auf „unsere“ Politiker*innen verlassen; und wir können uns auch noch nicht auf die Einsicht großer Teile der Bevölkerung verlassen. Das Wissen ist da, es ist aber komplex und vor allem ist es äußerst unangenehm.
Diese Aufklärungsarbeit wird mit Zunahme der Klimakatastrophe zwar immer „leichter“, weil die Klimakatastrophe immer mehr spürbar wird. Es wird diese Aufklärungsarbeit aber kaum schnell genug sein können, um rechtzeitig noch steuernd eingreifen zu können. Das heißt: viele Menschen werden die Klimakatastrophe bemerken, aber es wird zu spät sein, um sie noch abzufangen.
Deshalb sind auch Maßnahmen des zivilen Ungehorsams (Verkehrsblockaden, Kunststörungen etc.) unter Umständen sehr sinnvoll. Sie erzeugen Aufmerksamkeit und Diskussion. Man muss dabei kreativ sein: die Maßnahmen verlieren schnell an Neuigkeitswert. Man muss variieren.
Verzicht und Lebensqualität
Im Rahmen der Aufklärung zur Klimakatastrophe fällt öfters die Frage nach dem Verzicht und dem Verlust an Lebensqualität. Müssen wir auf Dinge verzichten, die wir „brauchen“ oder gern hätten, damit unsere Nachkommen noch eine lebenswerte Biosphäre vorfinden?
Man muss da Dinge auseinander halten. Ja, ich denke, der global-nördliche Lebensstil wird auf Vieles verzichten müssen.
Auto fahren: Man wird nicht mit dem SUV innerorts Milch holen fahren können. Schon der Autotyp SUV ist hirnverbrannt, und innerorts Auto zu fahren ist sehr oft ein verantwortungsloser Luxus – den man aber schlecht verbieten kann, weil manche Autofahrten auch innerorts berechtigt sein mögen. Man braucht also die Einsicht der Individuen. Man braucht aber auch umfassende politische Maßnahmen, die das Leben der vielen steuern. (Wie? Mit „Steuern“, deshalb heißen sie so.) Wir brauchen eine kluge, umfassende Klimapolitik und die vernünftige Einsicht von Millionen Menschen.
Fliegen im Sinn von Flugreisen ist z.B. eine extrem schädliche Art der Fortbewegung. Meines Erachtens kann man guten Gewissens (und sollte man) auf kontinentalen Flugverkehr weitestgehend verzichten und ihn durch Bahnreisen ersetzen. Allerdings vermutlich nicht zur Gänze – ich habe schon versucht, das zu diskutieren.
Fleisch essen: Die weltweite Fleischindustrie ist ein Klimakiller. Sie produziert CO2 und CH4, beides klimaschädliche Gase erster Ordnung; und sie rodet in riesigem Ausmaß Regenwälder ab, die für den Klimaschutz sehr wichtig sind. Trotzdem ist der schlagartige Verzicht auf Fleisch und Milch und Milchprodukte nicht möglich. (Milch und Milchprodukte sind nur die andere Seite der Fleischindustrie. Keine Milch ohne Kalb.) Wir werden da Kompromisse schließen müssen.
Dabei ist Verzicht nicht automatisch Komfortverlust oder Verlust an Lebensqualität. Wenn der Mann, der mit dem SUV Milch holt, statt dessen sein Fahrrad nimmt, vermeidet er ein Parkplatzproblem und tut gleichzeitig etwas für seine Gesundheit, indem er sich bewegt. Milchholen mit dem Fahrrad ist also letztlich ein Gewinn an Lebensqualität. Wenn der gute Mann das einsieht, fällt der Verzicht auf das Auto leicht und tut nicht mehr weh. Man kann mit der Bahn in den Urlaub reisen: ja, das geht. Nein, nicht wirklich nach Thailand, aber man kann auf Thailand auch verzichten. Und der Verzicht auf die tägliche Portion Rind- oder Schweinefleisch wird ziemlich sicher ein Gewinn als Lebensqualität sein.
Man kann die notwendigen Veränderungen auf der Basis von Freiwilligkeit unter der Voraussetzung entsprechender Steuersätze anstreben. Das würde bedeuten, dass alle Wohlhabenden und Reichen weiterhin nach Belieben Auto fahren, fliegen und Fleisch fressen könnten. Dazu neige ich nicht: ich würde durchaus zu Verboten greifen.