michael bürkle

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Michael Bürkle

„Willkommen am Abendgymnasium“

Eine Rede zum Einstieg

Das Abendgymnasium (eigentlich „Gymnasium für Berufstätige“) Innsbruck hat in diesem Schuljahr schon 52 Studierende auf dem besten Weg „verloren“: sie haben maturiert. Weitere ca. 100 Studierende mussten wir streichen, weil sie auf die Frage, warum sie in den letzten beiden Semestern nicht Module im Ausmaß von mindestens 10 Wochenstunden positiv bestanden hatten, keine „rücksichtswürdigen Gründe“ genannt haben. (Die meisten von ihnen haben nicht geantwortet.) So sind aus 860 Studierenden am Anfang des Wintersemesters nur mehr etwa 700 geblieben. Aber ca. 100 haben sich für das Sommersemester neu oder wieder angemeldet. Ich habe mit den meisten ein intensives Beratungsgespräch geführt – etwa 70 Gespräche, die restlichen hat die Fernstudienkoordinatorin gemeistert. Für diese Beratungsgespräche habe ich nun schon einen fast fertigen Text, der sich nach Interessenslage der BewerberInnen immer wieder leicht ändert. Der geht etwa so:

*

Guten Tag, willkommen im Haus!

Was wollen Sie über das Abendgymnasium wissen? Haben Sie Fragen zu unserer Schule? Wo fangen wir an: am Anfang, bei 0, bei 50, bei 90, bei 99? 

[Hier sagen viele, dass ich am Anfang anfangen soll. Sogar einige, die sagen, dass sie schon von Freunden einiges wissen.]

Ich werde Ihnen das Abendgymnasium in 3 Schritten erklären. Der erste Schritt hat die Überschrift „Wir sind eine stinknormale Schule“. Der zweite Teil hat die Überschrift „Wir sind eine etwas andere Schule“, der dritte Teil heißt „Wir sind eine völlig andere Schule“. Und alle 3 Überschriften stimmen.

Zunächst zum ersten Teil:

wir sind eine stinknormale Schule. Ja, wir sind eine Bundesschule, ein Bundesgymnasium, keine Privatschule. Das hat für Sie den Vorteil, dass die Ausbildung bis zur Matura kostenlos ist. Ja, wir sammeln schon Kopierbeiträge ein, 3 oder 5 Euro pro Semester, aber im Prinzip ermöglicht Ihnen die Republik Österreich mit uns einen kostenlosen Weg zur Matura. Stinknormal ist, dass es bei uns 5 Noten gibt, von „Sehr gut“ bis „Nicht genügend“; stinknormal ist, dass es eine Schulbuchaktion gibt und Freifahrt nach den Bestimmungen des Finanzamts. Normal sind auch die Ferien. Am Schluss steht eine völlig normale Matura, die aus 7 Prüfungen besteht: 3 schriftliche und 4 mündliche oder 4 schriftliche und 3 mündliche oder einer Fachbereichsarbeit und 3 schriftlichen und 3 mündlichen Prüfungen. Wenn Sie das so hören, wissen Sie auch, dass wir noch nicht in der sogenannten Neuen, standardisierten Reifeprüfung sind, denn da wäre eine Vorwissenschaftliche Arbeit Pflicht. Die neue Reifeprüfung kommt bei uns vermutlich 2020/21.

Wir unterliegen auch einer öffentlichen Kontrolle: die Frau Landesschulinspektor schaut ab und zu vorbei, und ich als Direktor werde in anderen Schulen auch als Maturavorsitzender eingeteilt. Wir sind Teil des öffentlichen Schulsystems.

So weit Teil 1. Nun zu Teil 2: wir sind eine etwas andere Schule.

Etwas anders ist, dass das Ganze am Abend stattfindet, darum nennt man uns auch im Volksmund Abendgymnasium. Die erste Stunde beginnt um 5 vor 6, die letzte Stunde endet um 5 vor 10. Dazwischen gibt es 5 Schulstunden zu je 45 Minuten, eine 5-Minuten-Pause und eine 10-Minuten-Pause.

Das heißt für Sie, dass Sie sich auf Abendrhythmus umstellen müssen. Das ist nicht ganz ohne!

Manchmal gibt es auch eine nullte Stunde oder eine halbe nullte Stunde. Die beginnen dann um 17:10 Uhr oder 17:30 Uhr. Wir versuchen aber, diese nullten Stunden im Stundenplan tunlichst zu vermeiden, denn unser offizieller Name ist ja „Gymnasium für Berufstätige“, und für viele Berufstätige ist 17:10 noch zu früh: da kommen sie erst vom Arbeitsplatz nach Hause und wollen vielleicht noch etwas essen. Deswegen versuchen wir, ohne die nullten Stunden auszukommen und deswegen heißen sie auch „nullte Stunden“. Ganz gelingt es uns nicht, aber nullte Stunden sind schon sehr selten.

Berufstätigkeit ist aber im strengen Sinn kein Aufnahmekriterium. Es gibt nur 2 Aufnahmekriterien: Sie müssen im Kalenderjahr der Aufnahme 17 werden und Sie müssen über einen österreichischen oder vergleichbaren Pflichtschulabschluss verfügen. Aber wir fragen auf dem Aufnahmeformular auch nach Ihrem Arbeitgeber. Wenn Sie noch keinen haben, schreiben Sie „bin auf der Suche“, denn ich garantiere Ihnen, dass Sie bald auf der Suche sein werden. Denn Sie werden ein Interesse daran haben, über eigenes Geld zu verfügen, Sie brauchen an Vormittagen und Nachmittagen eine vernünftige Zeitstruktur, die Sie von uns nicht bekommen, und die meisten Eltern werden feststellen, dass Sie am Vormittag und am Nachmittag nicht in die Schule müssen und also zum Familienbudget etwas beitragen könnten. Berufstätigkeit gehört zur Idee dieser Schule.

Das war Teil 2: wir sind eine etwas andere Schule. Eine Schule am Abend, für erwachsene, eigenverantwortliche Berufstätige. Wir müssen Sie sogar laut Gesetz als eigenverantwortlich betrachten, wenn Sie erst 17 sind. Sie brauchen dann zwar für die Anmeldung noch eine Unterschrift Ihrer Erziehungsberechtigten, aber danach müssen und wollen wir Sie als eigenverantwortlich entscheidenden Menschen betrachten.

Nun zu Teil 3: wir sind eine völlig andere Schule.

Wir decken den Stoff der Oberstufe des Gymnasiums ab. Das sind normalerweise 4 Jahre, in manchen Sonderformen oder an HAk und HTL auch 5 Jahre. Bei uns sind es die 4 Jahre.

Wir denken allerdings nichts in Jahren, wir denken alles in Semestern. Deswegen sind es auf diesem Blatt [Stundentafel des Wirtschaftskundlichen Realgymnasiums, s.u.] nicht 4 Jahreszeilen zur Matura, sondern 8 Semesterzeilen. 

Wir denken außerdem nichts in Klassen, sondern alles in Modulen. Sie bekommen bei uns nicht das Etikett „5A“ und den Stundenplan der 5A. Sondern Sie bekommen einen individuellen Einstufungsbescheid, der Ihnen sagt, was wir aus Ihren früheren Schulen anrechnen können und was nicht, was also noch offen ist. Auf der Basis dieses Einstufungsbescheids machen Sie sich dann Ihren individuellen Stundenplan, indem Sie die Module wählen, die für Sie die nächsten Schritte sind. Wir haben den gesetzlichen Auftrag, individuelle Bildungslaufbahnen zu ermöglichen. Ja, wir tun das, derzeit ca. 800fach.

Was ist ein Modul? Ein Fach, ein Semester lang, auf einem bestimmten Level. Die 4 Oberstufenjahre in Deutsch, in Englisch und in Mathematik teilen sich jeweils auf 8 Module auf. 

Wir haben 3 Schulzweige: das Wirtschaftskundliche Realgymnasium, das Realgymnasium mit lebender Fremdsprache und das Gymnasium mit Latein. In den ersten 6 Semestern ist zwischen diesen Zweigen kein Unterschied. Nur in den letzten beiden Semestern, also sozusagen im Maturajahr, geht es auseinander. Wirtschaftskundler wählen die Fächer Informatik und Ökonomie, Realgymnasiastinnen und Gymnasiastinnen ziehen ihre Fremdsprache bis zum Maturaniveau durch. Allerdings werden die meisten jungen Leute, die zu uns kommen, über 90%, Wirtschaftskundler. Vermutlich, weil die zweite Fremdsprache – Französisch oder Latein oder auch Italienisch – für viele ein gewisses Problem darstellt. Wir schaffen es deshalb auch nicht immer, ein Realgymnasium mit lebender Fremdsprache anzubieten: nur in Französisch bildet sich ab und zu eine Gruppe. In Latein und Italienisch hatten wir die Module 6 und 7 noch nie. Trotzdem gibt es immer wieder realgymnasiale oder gymnasiale Maturazeugnisse, wenn sich z.B. jemand aus der früheren Schule ein gesamtes Latein oder Italienisch anrechnen lassen kann.

Eine Grundregel beim Belegen von Modulen ist: Sie brauchen für die Belegung eines Moduls ein positives Vor-Vor-Modul. Also: Kein E7 ohne E5, kein M4 ohne M2. Damit ist verbunden, dass es kein „Sitzenbleiben“ im engeren Sinn gibt. Wenn Sie in E5 negativ sind, können Sie trotzdem mit E6 weitermachen. So wie in den normalen Schulen auch: wenn Sie im Halbjahr negativ sind, kommen Sie trotzdem ins Sommerhalbjahr. Aber um in E7 hineinzukommen, müssen Sie den 5er aus E5 zuerst verbessern.

Wie geht das? Sie haben für jedes Modul 4 Chancen. Die erste Chance ist Unterricht, U. Wenn der schiefgeht und negativ ausfällt, ist die erste Idee eine Wiederholungsprüfung. Die heißt bei uns Kolloquium, K. Ein Kolloquium in einem Schularbeitenfach besteht aus einer Schularbeit über den Gesamtstoff und ca. eine Woche später einer mündlichen Prüfung über den Gesamtstoff. Es ist aber immer der Gesamtstoff eines Semesters, nie eines Jahres. Das macht einen wesentlichen Unterschied.

Wenn Sie das Kolloquium bestehen, ist das Modul positiv. Wenn nicht, sollten Sie sich fragen, warum. Haben Sie zu wenig gelernt? Oder haben Sie das Falsche gelernt? Dann liegt nahe, noch ein Kolloquium zu probieren und mehr oder das Richtige zu lernen. Wenn es aber nicht am Lernen liegt, sondern daran, dass der Stoff bei Ihnen noch nicht wirklich angekommen ist, können Sie auch das Modul wiederholen. Sie wiederholen aber nicht ein ganzes Semester und schon gar nicht ein Schuljahr, sondern dieses betreffende Modul. Und wir bieten alle Module in jedem Semester an. Das macht den wesentlichen Unterschied zwischen allen Abendgymnasien auf der einen Seite und allen anderen Schulen auf der anderen Seite aus. Viele Kombinationen sind möglich:
U K K K
U K K U
U K U K
oder auch
U U … , wenn Sie gleich das Gefühl haben, dass der Stoff nicht wirklich angekommen ist. Drei U, drei Modulbesuche sind nicht möglich bzw. nur mit Genehmigung des Direktors. Denn wenn das regelhaft möglich wäre, würden das viele tun und dann bräuchte man mehr Lehrpersonen.

Wie gehe ich beim Anrechnen vor? In den Schularbeitenfächern rechne ich im Normalfall jedes positive Oberstufenjahr als 2 Module an. (In Mathematik nicht ganz so, weil dort die Stoffverteilung etwas anders ist.) In den Nichtschularbeitenfächern ist die Anrechnungslogik völlig anders. Die 2 Module GWK beispielsweise, jeweils „dicht“ mit 4 Wochenstunden, sollten den gesamten Oberstufenstoff abdecken. Also GWK1 den Stoff der 5. und 6. Klasse des normalen Gymnasiums, GWK2 den Stoff der 7. und 8. Klasse. Dementsprechend muss ich bei den Nichtschularbeitenfächern ganz anders vorgehen.

Die Staffelung der Nichtschularbeitenfächer – GWK in den Semestern 1 und 2, GSP in Semester 1 bis 3, BU in Semester 3 und 4 usw. hat den Vorteil, dass Sie immer dann, wenn Sie ein Fach abschließen, maturieren können. Die Matura ist also nicht mehr das Große Ding am Schluss, sondern Sie können Ihre Reifeprüfung in viele kleine Teile aufteilen. Nur sehr wenige Studierende machen bei uns alle 7 Maturaprüfungen zum Haupttermin; viele sind nach der letzten schriftlichen Matura schon „reif“, weil alle 4 mündlichen Prüfungen „auf dem Weg“ erledigt worden sind.

Und aus diesen Gründen: totale Semestrierung und totale Modularisierung, sind wir eine ganz andere Schule.

[Hier kommt dann manchmal von den StudienwerberInnen die Ergänzung, dass das ja so sei wie an der Uni. „Ganz richtig“, antworte ich dann und illustriere das noch mit Beispielen.]

*

Dann erzähle ich meistens noch 2 „Geschichten“, die wirklich passiert sind und die ich in einem Artikel über Begabtenförderung ausführlich dokumentiert habe. (In der Regel die „Fälle“ C und D; sie illustrieren am besten die enormen Möglichkeiten individueller Planung.) Dann erfolgt noch – je nach BewerberIn – der Hinweis, dass es diese Schule auch in 2 Modellen gibt: als „normales“ Präsenzstudium und als Fernstudium mit Sozial- und Individualphasen (und dem Hinweis, dass für das Fernstudium die Fernstudienkoordinatorin die erste Anlaufstelle ist).

Dann sind meistens etwa 30 Minuten vergangen und wir können relativ schnell auf der Basis der vorliegenden Zeugnisse früherer Schulen den individuellen Einstufungsbescheid erstellen. Ein kurzes Beratungs- und Einstufungsgespräch dauert etwa 40 Minuten, ein längeres, diffizileres kann je nach Komplexität der individuellen Bildungssituation auch über 60 Minuten dauern.

Ich bekomme für diese Gespräche insgesamt sehr viel sehr positives Feedback sowohl von StudienwerberInnen als auch von den begleitenden Eltern. Und wir nehmen ca. 100 neue AbendgymasiastInnen auf. Im Wintersemester waren es 183. Die wissen alle, was sie erwartet: eine stinknormale & etwas andere & völlig andere Schule.


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[…] bildung, reifeprüfung, und sehr viele von ihnen wollen das eilig, versichern sie mir in ca. 200 aufnahmegesprächen. viele, etwa 70, fangen da 4 jahre studium, nein: 8 semester studium bis zur reifeprüfung an; die […]

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