michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Das Grüne Wahlprogramm

Vorgestern bekommen: Grünes Wahlprogramm (Kurzversion)

Vorgestern hat mir ein Freund die Kurzversion des Grünen Wahlprogramms zur Nationalratswahl zugeschickt. Ich hab’s gelesen. Es gibt das zum Download auch auf der Grünen homepage, als pdf direkt auch hier bei mir: einerseits die Langversion (ca. 112 Seiten, ca. 15,7 MB) und andrerseits die Kurzversion (ca. 40 Seiten, 1,4 MB).

Beides sind im Großen und Ganzen herzeigbare Texte; ich habe allerdings im Kleinen und Feinen durchaus Kritikpunkte.

Das Gute

Das Gute beim Grünen Programm: es beginnt mit dem Thema Klima. Tatsächlich halte ich das für das derzeit wichtigste Thema: wenn uns der Klimawandel weiterhin überrollt und der Klimaschutz (weiterhin) kaum gelingt, wird es sehr bald keinen Spielraum mehr für eine vernünftige Wirtschafts-, Sozial-, Gesundheits- oder Bildungspolitik mehr geben. Wenn uns das Klima um die Ohren fliegt – in Form von Bergrutschen, Überschwemmungen, Dürren, Ernteäusfällen, Straßenunterspülungen, hat es sich bald mit einer menschenwürdigen Existenz auf dem Globus. Insofern ist Klima / Klimawandel / Klimaschutz derzeit das wichtigste aller Themen: die Grundlage von Politik. Wir haben noch ein paar Monate oder vielleicht Jahre Zeit, eine globale Wende zu schaffen – aber die Uhr tickt und die Zeit läuft (ab).

Es ist gut, ein langes Wahlprogramm vorzulegen – und eine kurze Version davon.

Nun zu einzelnen Forderungen:

Thema 1: Klima

Die Grünen fordern u.a.:

verpflichtende Sonnenkraftwerke auf jedem neuen Gewerbeparkplatz

Ich denke mir: Es gibt viele Gewerbeparkplätze: warum sollen nur auf neuen Solaranlagen entstehen? Andrerseits: Es mag Gewerbeparkplätze geben, die relativ schattig liegen: da ist eine Solaranlage u.U. nicht sinnvoll; da wären vielleicht Ausnahmen angebracht.

Die Grünen fordern:

die Umstellung der Industrie hin zur klimaneutralen Kreislaufwirtschaft

Ja, das wäre sinnvoll, denk ich mir. Aber wie soll das gehen? Im Langprogramm finde ich (S. 39):

Um ihre CO₂-Bilanz noch besser zu machen, ist die Transformation der Industrie zu einer Kreis­laufwirtschaft notwendig

Viel mehr erfahre ich zum Wie nicht. Mich würde dieses Wie aber interessieren.

Ähnlich beim Güterverkehr: Die Grünen wollen …

den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern.

Aber wie? Im Langprogramm findet sich auf S. 13:

Wir wollen Güter auf Schiene bringen und die Bevölkerung entlasten – für weniger Lärm, Stau und Schadstoffe. Insbesondere rund um den Brenner-Basistunnel arbeiten wir mit dem Ausbau der Zulaufstrecke an einer nachhaltigen Lösung für den Transitverkehr. Die Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist dringend notwendig, weshalb wir uns für eine europaweite Zusammen­arbeit einsetzen, die den Transitgemeinden langfristig helfen.

Ich finde keine wirklich Antwort auf das Wie. Ja, es kommt noch ein Hinweis auf die RoLa – die „Rollende Landstraße“, auf Slot-Systeme und andere Dinge, die es (beinahe) schon gibt, aber mich befriedigen die Antworten nicht.

Thema 2: Natur

Ich finde die Forderung:

Bodenschutzstrategie, die den Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag beschränkt

Weiterhin Flächenverbrauch? Da steht nix von „netto null“ o.dgl. Auch im Langprogramm (S. 20) heißt es lediglich:

Unsere Bodenschutzstrategie sieht ein verbindliches 2,5-Hektar-pro-Tag-Ziel bis 2030 vor.

Da müsste m.E. stehen, dass für jeden versiegelten Quadratmeter Boden andere Böden nachweisbar zu entsiegeln wären. Also „netto null“ dazu. Das Ziel müsste sein: 0-Hektar-pro-Tag zusätzlichen Bodenverbrauch.

Thema 3: Mobilität

Ich lese leider nichts, dass es zwischen Fahrrad und Öffis bessere Kooperationen geben soll. Das fände ich persönlich wichtig: ich brauche beides: Fahrrad und Öffi. (Dafür habe ich kein Auto.)

Ich lese die Forderung nach Nachtzügen – die war schon im Kap. 1 da. Gut: Wichtiges kann man nicht oft genug sagen.

Ich lese:

Schluss mit Steuervorteilen für Kerosin und unnötigen Privatjetflügen von Superreichen.

Im Langprogramm (S. 12) wirds etwas genauer:

Außerdem fordern wir ein Ende des Steuerprivilegs für Kerosin, eine Vielfliegerabgabe und ein Verbot von Privatjetflügen innerhalb Europas.

Ja, scheint mir sinnvoll. Flüge mit privaten Jets kann man heute verbieten. Vielleicht gibts Ausnahmen? Organtransporte? Ja, auch Verbote sind wichtig. Das weiß jeder Mensch, der sich schon einmal mit der Straßenverkehrsordnung auseinander gesetzt hat.

Thema 4: Wohlstand

Ich lese als Forderung:

den Wohnbau bis 2040 klimaneutral machen

und denke mir: das sind noch 16 Jahre. Ja müsste das nicht bedeutend schneller passieren?

Ich lese als Forderung:

die Wochenarbeitszeit schrittweise auf 35 Stunden reduzieren

und denke mir, dass das eine sehr „bescheidene“ Forderung ist. Unaufhörlich wächst die Produktivität, womöglich durch KI noch mehr (obwohl ich das, was wir an KI kennen, für sehr überschätzt halte), die Wirtschaft brummt, wir erzeugen viele und immer mehr wichtige Produkte (und gleichzeitig enorm viel unnützes Zeug: Kleidungsstücke, die bestenfalls einmal getragen werden z.B.). Man müsste – alte grüne Forderung – „Arbeit fair-teilen“. Aber „schrittweise“ um 3 Stunden die Wochenarbeitszeit verkürzen: das ist eine matte Forderung, ein allzu bescheidenes Ziel. Welche Kompromisse will man da noch schließen?

Kap. 5: Demokratie

Die Grünen fordern …

dass Fake News und manipulative Hass-Algorithmen auf TikTok, Meta, YouTube, X und Co. keine Chance haben

Ja, das ist gut. Aber wie soll das gehen? Das Langprogramm bietet dazu auf S. 54:

RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DIE DIGITALE WELT

Aber sehr konkret wirds nicht.

Kap. 6: Miteinander

Die Grünen wollen …

Österreichs Pensionssystem reformieren

Da wäre das Wie sehr interessant. Im Langprogramm findet man auf S. 87:

Österreichs Pensionssystem schützt die allermeisten Menschen im Alter vor Armut und sozialer Ausgrenzung. Es sichert auch einen angemessenen Lebensstandard. Dennoch gibt es Handlungs­bedarf, da speziell Frauen und ganz allgemein all jene, die es im Leben bereits schwer gehabt haben, oft im Alter benachteiligt werden. Ein weiteres Thema für Familien ist die Pflege. Auch wenn diese in Österreich Ländersache ist, sollten alle gemeinsam Verantwortung übernehmen – denn Pflegebedürftigkeit kann jede und jeden treffen und pflegende Angehörige stark belasten. Ein anhaltendes Problem hierbei ist, dass die Anliegen der Betroffenen oft nicht gleich ernst genommen werden. Auch bei Kindern und Jugendlichen haben wir noch alle Hände voll zu tun – besonders Kinderrechte und die Bedürfnisse von Jugendlichen werden häufig nicht ausreichend beachtet – trotz gesetzlicher Vertretung und Prüfungen durch den Jugend-Check.

Zum Wie einer Pensionsreform hab ich wenig gefunden.

Der Befund zum Pensionssystem erscheint mir sehr „rosig“. Schützt unser Pensionssystem wirklich „die allermeisten“ Menschen im Alter vor Armut? Die Grünen zählen selbst die gefährdeten Gruppen auf: Frauen (die oft nur auf wenig Versicherungszeiten kommen), pflegebedürftige Menschen – und pflegepflichtige Menschen, oft auch (immer noch) Frauen. Ja: „wir haben noch alle Hände voll zu tun“.

Schluss

Das Grüne Wahlprogramm ist ein bemühter Text. Wirklich zufrieden bin ich mit ihm nicht: da bleibt vieles vage, manches ist in der Zielsetzung sehr bescheiden. Auch grüne Politiker*innen sehen die Mängel, wenn man sie darauf anspricht. Mir kommt vor, ich sehe einen Rohentwurf, der jetzt noch einer richtigen Bearbeitung bedarf. Hat das in der Grünen Zentrale niemand so gesehen? Ist das so fertig?


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[…] das Wahlprogramm der Grünen ist nicht wirklich gut – ich habe am 28.8. darüber im Artikel „Das Grüne Wahlprogramm“ geschrieben. Es wirkt auf mich wie ein unfertiger Text, der jetzt noch einen ordentlichen […]

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