Die Gewerkschaft und ich
Ach, die Anlässe, bei denen ich mit der Lehrergewerkschaftsfraktion FCG-ÖPU einer Meinung bin, sind so selten: das muss man feiern. Weil die Beamtengewerkschaft insgesamt äußerst reformfeindlich ist und gegen alles mauert, was die bestehenden Verhältnisse reformieren könnte, bin ich auch nie der Beamtengewerkschaft beigetreten.
Aber jetzt find ich etwas richtig: dass die Vorwissenschaftliche Arbeit („VWA“) freiwillig werden soll und durch eine schriftliche oder mündliche Reifeprüfung ersetzt werden kann. Aber das ist ja an sich nicht neu; das war früher bei der sogenannten „Fachbereichsarbeit“ („FBA“), der Vorläuferin der VWA, schon der Fall.
Erfahrungen an 4 Gymnasien
Ich habe als Schuldirektor natürlich die VWAs meiner Schule gesehen und gelesen; und ich habe als externer Maturavorsitzender an 3 anderen Innsbrucker Gymnasien die VWAs einiger Klassen gesehen, gelesen und gegengelesen. Tatsächlich sind viele junge Menschen um die 17 hoffnungslos überfordert bei der Themenwahl, bei der Formulierung von Forschungsfragen, beim sachlichen, streng argumentativen Formulieren, beim Erheben von Daten und beim ganzen Drumherum. Und es sind nicht nur die 17-jährigen: es sind auch Lehrpersonen als Betreuerinnen und Betreuer bisweilen hoffnungslos überfordert.
Ich habe an einer katholischen Privatschule eine VWA über die Erzengel Gabriel, Michael und Raphael gesehen, betreut vom katholischen Religionslehrer. Jetzt kann man über Erzengel alles mögliche schreiben: Gedichte, Aphorismen, Kurzgeschichten, Romane, Herzensergüsse – aber keine wissenschaftliche (oder „vorwissenschaftliche“) Arbeit. Das habe ich als externer Maturavorsitzender zu bedenken gegeben und man hat mir an der Schule wohl oder übel recht gegeben. Wir haben dann die Arbeit noch „gerettet“, weil sie eine Art kunstgeschichtlichen Teil über die Darstellung dieser Erzengel in Tiroler Kirchen enthielt. Ja: Thema der Kunstgeschichte kann die Darstellung von Engeln schon sein. Aber dass im katholischen Biotop niemand checkte, dass Engel keine Objekte einer (vor-)wissenschaftlichen Untersuchung sein können, verwunderte mich doch.
An einer anderen Schule entdeckte ich eine Arbeit, die die Folgen von Computerspielen für Jugendliche untersuchte und erstaunlicherweise zu sehr positiven Schlüssen kam. Computerspiele förderten da offenbar Konzentration und Kommunikationsfähigkeit. Na klar: der sogenannte „empirische Teil“ der Arbeit bestand aus einer Art Protokoll eines Abends, bei dem sich der Autor und ein paar Freunde beim gemeinsamen „Zocken“ selbst beobachteten. Auch da hatte ich Einwände, aber man bat mich, nicht allzu streng zu sein: der Autor sei ein an sich gescheiter junger Mann und er sei der ehemalige Schulsprecher.
Wieder an einer anderen Schule bekam ich im Rahmen der VWA ein Literaturverzeichnis in Form einer Liste von bitly-Links zu sehen. Auch da hatte ich ernste Bedenken – und ja, man versicherte mir, das sei nicht der von der Schule vorgegebene Standard, aber da könne man jetzt halt nichts mehr machen. („bitly-Links“ sind Abkürzungen für web-Adressen, die sehr kurz sind, aber an denen man nicht mehr erkennen kann, woher die Seite stammt und womit sie sich beschäftigt. Man muss drauf klicken, damit klar wird, um welchen Inhalt es dabei geht. Bei einigen dieses bitly-Links führte der Klick aber nirgendwo hin, weil im Link offenbar ein Fehler war. Da weiß ich bis heute nicht, was der junge Mann zitieren wollte.)
(An meiner eigenen Schule haben wir ein Pflichtfach „Wissenschaftliches Arbeiten“ und wir hatten eine sehr gute, äußerst engagierte Lehrerin als VWA-Koordinatorin und viele engagierte Lehrpersonen als Betreuer*innen; ich war als Direktor in den Genehmigungsprozess eingebunden und habe mich da auch eingebracht, durchaus auch steuernd, durchaus empathisch. Das scheinen relativ „ideale“ Verhältnisse gewesen zu sein.
An anderen Schulen quetscht man die VWA-Ausbildung in irgendwelche „workshops“ am späten Nachmittag. Die werden dann besucht – oder auch nicht; da geschieht dann über bloße Informationsweitergabe hinaus eine Art Ausbildung – oder auch nicht.)
Überforderungen
Schülerinnen und Schüler sind manchmal hoffnungslos überfordert; Lehrerinnen und Lehrer sind als Betreuer*innen manchmal hoffnungslos überfordert; ganze Schulen – sogar katholische Privatschulen !!! – sind manchmal hoffnungslos überfordert. Es geschieht an vielen Schulen ein geradezu absurdes VWA-Theater, das man nicht immer ernst nehmen kann. Und im Hintergrund werken ganze Think Tanks von Eltern, Onkeln und Tanten, die ihren Schützlingen „vorwissenschaftlich“ mehr oder weniger behilflich sein können oder sich eine entsprechende Hilfe zukaufen können. Ja, man kann das kaufen; es gibt Menschen, die können vom Fabrizieren solcher Arbeiten leben.
Und viele Kinder brauchen keine VWA. Die wollen nach der Matura gar nicht wissenschaftlich tätig werden; die wollen in einen Job. Wozu die mit „vorwissenschaftlichen“ Vorschriften quälen? Und was heißt das überhaupt: „vorwissenschaftlich“? Es gibt keine „Vorwissenschaft“; der Begriff wurde nur für dieses Ding „VWA“ kreiert, weil man sich zu einer „wissenschaftlichen Arbeit“ doch noch nicht entschließen konnte bzw. wollte.
Die Fachbereichsarbeiten von früher waren freiwillig; und sie waren – vermutlich deswegen – auch aus meiner Sicht deutlich besser als Vieles, was ich als VWA gesehen habe. Ich habe 2 FBAs selbst betreut und 4 im familiären Umfeld entstehen gesehen. Das haben junge Menschen in Angriff genommen, wenn sie wirklich eine Art „wissenschaftliches“ Interesse an einem Sachverhalt hatten. Für die war das nützlich. Mein Sohn hat eine geschrieben, meine Tochter auch, eine Nichte, ein Neffe auch. Freiwillig. Sie hatten einen Vater zuhause oder einen Onkel, den sie fragen konnten. Sie haben mich nicht über Gebühr in Anspruch genommen.
Die Lehrergewerkschaft führt als Argument gegen die VWA-Pflicht die KI ins Spiel. Das halte ich für Unsinn. Schon vor dem Auftreten von KI war das Ganze in vielen Fällen höchst unseriös und ungerecht. KI macht das weder besser noch schlimmer. Und der Herr Minister? Der will nichts ändern; er lässt aber einen „Leitfaden“ erstellen. Der ORF zitiert zu diesem Leitfaden Herrn Polaschek: „Dieser stellt sicher, dass die Leistungen der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt dieser Arbeit steht. Eine Abschaffung der VWA oder der Abschlussarbeit ist daher nicht angedacht.“
Ein Phantast als Minister
Das will der Minister mit einem „Leitfaden“ erreichen? Dieser Phantast! Dann sollte er vielleicht einmal mit dem Andenken anfangen. Der Mann hat jeden Bezug zur Schulrealität, den er vielleicht einmal hatte, längst verloren.
Aber vielleicht setzt sich die allgemein eintretende Überforderung der Schule einfach im Ministerbüro fort.
[…] Ich nehme das als gar nicht so späte Reaktion auf meinen Artikel vom 13. Februar: „VWA nicht verpflichtend?“. Endlich hört man auf mich! (Da müsste jetzt, im 21. Jahrhundert, ein […]
[…] fordere ich – m.E. bestens begründet! – seit Jahren: z.B. am 14.4.2019, am 22.4.2019, am 13.2.2024 oder am 10.5.2024. Allerdings habe ich für den Befund, dass die VWA in der geltenden Form – […]
[…] „Vorwissenschaftlichen Arbeit“ an den Gymnasien für Unsinn erklärt, z.B. am 13.2. als „VWA nicht verpflichtend?“ und geradezu als „Siegesmeldung“ „VWA: Ich habe gewonnen!“ am […]
[…] Der frühere Direktor des Innsbrucker Abendgymnasiums kommentiert auf seiner persönlichen Website tagesaktuelle Ereignisse. Er kommentierte den Vorschlag der Lehrer:innen-Gewerkschaft, die VWA abzuschaffen. (Link zu seinem Kommentar). […]