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Michael Bürkle

Das US-Wahlsystem

Die Demokratie und ihr Hauptbestandteil – das Wählen – hat viele Gesichter. Die Logik hinter den Wahlen in den USA ist eine besondere.

Das Wahlkollegium

Die Wählerinnen und Wähler wählen nicht wie bei einer Volkswahl – etwa wie in Österreich – direkt die Kandidatin oder den Kandidaten, sondern sie wählen Personen für das „electoral college“, das im Deutschen meist als „Wahlmännerkollegium“ übersetzt wird. Dieses Kollegium besteht aus 538 Personen. Die Zahl 538 entspricht der Anzahl der Abgeordneten im Repräsentantenhaus (435) und im Senat (100) und (seit 1961) 3 Personen für das „District of Columbia“, die Bundeshauptstadt Washington. Allerdings dürfen Abgeordnete nicht selbst Elektor*innen werden.

Die Bundesstaaten wählen ihre Vertreter*innen für das Wahlkollegium nach dem Prinzip „winner takes all“. Wer also der / die stimmenstärkste Kandidat*in in einem Bundesstaat ist, bekommt – mit ganz wenigen Ausnahmen (Maine, Nebraska) – alle Wahlpersonen zugesprochen. Die Bundesstaaten stellen Wahlpersonen nach ihrer Bevölkerungszahl: alle Staaten stellen mindestens 3, Kalifornien stellt aber 54, Texas 40, Florida 30, New York 28, Illinois und Pennsylvania je 19 usw. Wer also in Kalifornien oder Texas auch nur mit minimalem Vorsprung gewinnt, bekommt alle 54 bzw. 40 Stimmen des Staates für das Wahlkollegium.

Um Präsident*in zu werden, braucht man also 270 Stimmen im Wahlkollegium. Wie die Volkswahl ausgegangen ist, spielt dabei keine Rolle. Seit 2000 hat es bereits 2 Präsidentenwahlen gegeben, in denen der / die Stimmenstärkere in der Volkswahl weniger Stimmen im Wahlkollegium hatte: 2000 ergatterte George W. Bush mit ca. 50,5 Millionen Stimmen 271 Stimmen für das Wahlkollegium und Al Gore mit ca. 51 Millionen nur 266 Stimmen. Ähnlich im Jahr 2016: Hillary Clinton gewann mit  65,8 Millionen Stimmen die Volkswahl, aber „nur“ 227 Elektoren; Trump gewann die Wahl mit nur 62,9 Millionen Stimmen, aber 304 „Wahlmännern“.

Dieses Wahlsystem ist ungerecht und widersinnig. Das hat seine Gründe.

Die Geschichte des Wahlsystems

Das US-Wahlsystem hat sich seit der Verfassung von 1787 entwickelt. (Auch die Wikipedia hat da relevante Informationen versammelt.) Ursprünglich waren als Wähler vor allem begüterte weiße Männer vorgesehen; mit der Zeit wurden Rassengrenzen, Geschlechtergrenzen und Altersgrenzen aufgelassen oder verschoben, sodass immer mehr Menschen wahlberechtigt wurden. Das Wahlkollegium hatte aber den Zweck, die reine Volkswahl zu verhindern; man wollte damit sicherstellen, dass vor allem gebildete, „auserlesene“ Personen den Präsidenten wählten.

Dass das Wahlsystem heute noch so ist wie es ist, halte ich für einen Ausdruck gravierender Defizite in der US-Demokratie. Dass es so ist, führt dazu, dass nur Vertreter der „großen“ Parteien eine Chance haben, Präsident zu werden. Es führt dazu, dass lediglich reiche Personen Kandidat*in werden können oder Personen, die aus bestimmten Gründen in der Lage sind Millionen Dollar an Spenden zu akquirieren. Und es führt dazu, dass eine US-Wahl sich jedes Mal auf einige wenige sog. „battlegrounds“ zuspitzt: Bundesstaaten, die nicht von vornherein „vergeben“ sind. Die Staaten Kalifornien und New York wählen z.B. in aller Regel „demokratisch“; Texas wählt in aller Regel „republikanisch“. Es sind bei jeder Wahl 3, 5 oder 10 dieser sog. „swing states“, die manchmal verschieden wählen und die man für eine Mehrheit im Wahlkollegium gewinnen muss. Das sind die „battlegrounds“; dort findet „die Schlacht“ statt.

Wenn man das auf Österreich übertragen würde, hätten wir mit Wien, dem Burgenland und Kärnten „rote“ Bundesstaaten, mit Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg „schwarze“. „swing states“ mit historisch verschiedenen Mehrheiten wären allenfalls Salzburg und die Steiermark. Ein österreichischer Wahlkampf um die Präsidentschaft würde sich also nur in Salzburg und der Steiermark abspielen; Wien wäre „eh rot“, Tirol „eh schwarz“, und Vertreter anderer Parteien hätten von vornherein keine Chance. (Eine Ausnahme: unter Haider wäre Kärnten „blau“ gewesen.) Wir hätten also immer schwarze Bundespräsidenten bekommen. Die Zusammensetzung des „electoral college“ hätte im Wesentlichen dem Bundesrat entsprochen.

So demokratisch sind die USA.

Der Stand heute

Weil das alles so ungewöhnlich ist, gibt es einige web sites, die sich speziell um die vermutete Zusammensetzung des „electoral college“ bemühen. Das gibt es z.B. „270towin“, das mögliche Zusammensetzungen des Kollegiums anhand von Meinungsumfragen modelliert: man kann sich sein Wunschergebnis – oder die eigene „Vorausschau“ – zusammenklicken: „270 to win“! Ähnliches macht „realclearpolitics“, das außerdem – etwas rechtslastig – auch Presseartikel zum Wahlkampf sammelt. Auch fivethirtyeight sammelt entsprechende Daten und bereitet sie auf. Eine laufende Übersicht bietet auch die Wikipedia.

Auf 270towin sieht das derzeit so aus:

 

(Man muss sich für dieses Bild von europäischen Farbtraditionen verabschieden. „rot“ ist hier die Farbe der Republikaner, „blau“ die Farbe der Demokraten. Je dunkler die Farben, desto „sicherer“ ist das Wahlverhalten der betreffenden states: die Karte unterscheidet zwischen „safe“, „likely“ und „leans“ – s. Legende. Alaska habe sich zuletzt von republikanisch-safe zu republikanisch-likely entwickelt. Hellbraun gefärbt sind die states, die als „swing states“ oder „battlegrounds“ für beide Seiten unsicher und also umkämpft sind.

Man sieht: nach dieser Karte geht es gerade noch um 5 Staaten: von West nach Ost sind das Nevada, Arizona, Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Wer die gewinnt, gewinnt die Wahl. Alles andere ist mehr oder weniger schon zugeordnet. Derzeit stehe es 251:226 für die Republikaner, meint die Karte. Eine andere Karte weist 219:208 für die Republikaner mit 111 nicht entschiedenen aus. Aber die Mehrheiten in den swing states sind wacklig, sie „schaukeln“ – deswegen ja swing; je nach wechselnden Umfrageergebnissen kann man so ein bisschen voraussehen.)

swing states heute

Ich hab mir die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen im 21. Jahrhundert genauer angesehen: 3 gewannen die Republikaner: 2000 und 2004 G.W. Bush und 2016 Trump; 3 gewannen die Demokraten: 2008 und 2012 Obama, 2020 Biden.

Es gibt keinen einzigen state, dessen Ergebnis immer mit dem Bundesergebnis übereinstimmte. Kalifornien war in dieser Zeit immer „blau“ / „demokratisch“; zuletzt republikanisch wählte Kalifornien 1988, als Dukakis gegen den älteren Bush unterging. 1976 wählte sogar Texas demokratisch (und Kalifornien republikanisch), als Carter gegen Ford gewann.

Von den letzten beiden Wahlen 2020 und 2016 wählten lediglich Wisconsin, Michigan, Pennsylvania, Arizona und Georgia mit der jeweiligen Mehrheit, also 2016 Trump und 2020 Biden. Für die letzten 4 Wahlen waren das überhaupt nur 3 states: Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Wechselnde Wahlergebnisse gab es im 21. Jahrhundert noch in Nevada, Colorado, Ohio, Virginia, Florida, New Mexico, Iowa, New Hampshire, Indiana und North Carolina. (Um Florida zweimal „umzudrehen“, brauchte es aber immerhin Obama.) 5 Staaten waren in 5 der 6 Ergebnisse des 21. Jahrhunderts Teil des mainstreams: Colorado, Nevada und Virginia (wählten 2016 nicht Trump), Florida und Ohio (wählten 2020 nicht Biden).

Ich nehme an, dass es für Harris und die Demokraten in dieser Wahl hauptsächlich um Michigan, Wisconsin und Pennsylvania gehen wird. Die allein würden für eine Mehrheit bereits reichen. Interessant sind aus dieser Perspektive vielleicht noch Arizona, Nevada und Georgia. Und die Umfragen sehen dort nicht schlecht aus und der Trend scheint sich zu drehen.

Und die Inhalte?

Es geht vor allem um jene Themen, von denen der Kandidat und die Kandidatin meinen in diesen swing states / battlegrounds viele Menschen ansprechen zu können. Sicher ist die Frage der Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen da immer dabei.


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[…] 538 ist eine Seite, die sich um Wahlprognosen für das „electoral college“ der US-Präsidentschaftswahl kümmert. Dieses Kollegium besteht aus 538 Wahlpersonen („elektoren“) und wählt die Präsidentin oder den Präsidenten: nicht das Volk tut das. Ich habe das schon erläutert. […]

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[…] US-amerikanische Wahlsystem ist sehr eigen; ich habe das schon beschrieben: in „Das US-Wahlsystem“ und in „Finger im Wind“. Es geht für die Kandidatinnen und Kandidaten darum, […]

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