michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Beim Betrachten eines Tiroler Bildes

Vor einiger Zeit hab ich an einem Tiroler Arbeitsplatz das folgende Bild gesehen. Ich hatte Zeit, musste warten und konnte mir zum Bild einige Gedanken machen. Das Bild sieht so aus:

Das Bild ist aus 1894 und stammt vom (lt. Wikipedia) „österreichisch-bayerischen Genre- und Historienmaler“ Franz (von) Defregger. Es zeigt von links nach rechts 4 „Tiroler Helden“: Kajetan Sweth (sitzend), Josef Speckbacher, Andreas Hofer (in der Mitte) und Joachim Haspinger. Nach Hofer, Speckbacher und Haspinger sind heute noch im Innsbrucker Stadtteil Wilten wichtige Straßen benannt; Sweth ist erst im Olympischen Dorf zu einem Straßennamen gekommen. (Klar: Sweth war Steirer, die anderen Tiroler.

A propos „Tiroler Helden“, naja: sie waren Anführer eines mittleren Volksaufstands, der sich gegen die bayrisch-französische Besatzung erhob. Man könnte sie ohne weiteres aus heutiger Sicht Guerilleros nennen, aus damalig-französisch-bayrischer Sicht waren sie auch „Terroristen“. Wer Freiheitskämpfer und wer Terrorist ist, ist oft nur eine Sache der Perspektive.)

Das Bild ist in Tirol in zahlreichen Reproduktionen immer noch häufig anzutreffen.

Defregger hat sich für das Bild einiger einfacher Symboliken bedient (finde ich).

Das unnatürlichste Element im Bild ist m.E. die mitten im Bild durchlaufende senkrechte Achse, eine Mauerkante, die scheinbar mitten durch Hofers Kopf bzw. Hofer führt und den abgebildeten Raum in einen hellen Teil links und einen dunklen Teil rechts teilt. Dabei befinden sich die 4 Protagonisten nicht in einer Zimmerecke, sondern an einer seltsamen Kante, von der der rechte, dunkle Teil des abgebildeten Raums nach hinten führt. Diese Kante ist übrigens nur oben zu sehen.

Hofer steht als Zentralgestalt in der Mitte, direkt vor der Kante. Links von Hofer (oder von Hofer aus rechter Hand) steht Speckbacher und sitzt Sweth. Haspinger in seiner Kapuziner-Kutte ist rechts von Hofer im dunklen Teil des Zimmers.

Warum stellt Defregger die 4 an eine Kante zwischen einem hellen und einem dunklen Zimmerteil? Warum gibt es überhaupt zwei verschieden ausgeleuchtete Teile des dargestellten Raums? Warum gehts rechts nach hinten? Es gibt kaum einen vernünftigen Grund dafür, außer vielleicht …

Ich denke, der helle Zimmerteil steht für den laut Defregger „hellen“, (also aus der Sicht Defreggers) berechtigten Teil des Tiroler Kampfes. Speckbacher als Militär steht dort; der Schreiber und Sekretär Sweth ist in einem blauen, „gutbürgerlichen“ Gehrock gekleidet und sitzt – er war nicht so sehr Kämpfer, will Defregger offenbar sagen. Der Gehrock Sweths ist blau, weil die Tinte eines Schreibers blau ist. Speckbacher trägt einen Tirolerhut mit Feder, weil er auch Jäger (besser gesagt: Wilderer) war.

Haspinger, dem Kapuziner, gehört der dunkle Teil des Zimmers. Er gilt auch heute noch – nicht nur in der Geschichtsschreibung, auch „im Volk“ – als der Chefideologe und (Ver-)Führer, als wilder Einpeitscher und rabiater Fanatiker. Er trat nicht nur gegen die Franzosen auf, sondern auch gegen so neumoderne Dinge wie Pockenimpfungen. Defregger stellt Haspinger auf die dunkle Seite der Tiroler Macht (bzw. damals letztlich Machtlosigkeit).

Hofer steht dazwischen; an der Kante. Er wirft einen kritischen Blick auf Haspinger; Hofer soll das vereinigende Element an sich schwer zu vereinigender Dinge sein: von Freiheitskampf und düsterem, rückwärts gerichteten Katholizismus. Hofer hat sich hier noch nicht entschieden; die Entscheidungskante läuft direkt durch ihn hindurch. Das ist der Grund, warum Defregger die vier „Helden“ an eine völlig unnötige Kante stellt.

Insgesamt symbolisieren die drei Begleiter Hofers nach Defregger wesentliche Teile der Tiroler Bevölkerung: Bürgertum (Sweth), Bauern (Speckbacher) und Klerus (Haspinger), wobei Defregger durch die spezielle Art der Aufstellung durchaus wertet.

*

Umgekommen als Terrorist ist letztlich übrigens nur Hofer – „zu Mantua in Banden“, heute noch Tiroler Landeshymne. Speckbacher starb 1820 im Alter von 53 an einem Nierenleiden; Sweth wurde 79 und starb 1864, auch Haspinger überlebte, wurde 82 und starb 1858.

Ich hab meine Beobachtungen dann noch mitgeteilt und wurde nicht mit Heugabeln vertrieben! Die Anwesenden fanden sie sogar interessant. Ja, auch Tirol ist heute nicht mehr fern von Europa.


Volltext von Carl Techet (alias Sepp Schluiferer): Fern von Europa. Dort gehts am Rande einmal auch um Defregger.

 


Beitrag veröffentlicht

in

,
Subscribe
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

1 Kommentar
ältesten
neuesten am meisten bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Whisker
Whisker
6 Jahre alt

Ich denke, man sollte im Zusammenhang mit Andreas Hofer nicht vergessen, das Tirol der bayrisch-französischen Besatzung auch einiges zu verdanken hatte: Zum Beispiel das erste allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (den französischen Code civil), damit gab es meines Wissens nach zum ersten Mal in Tirol überhaupt ein kodifiziertes bürgerliches Recht.

Also eigentlich ein Riesenfortschritt – aber Hofer war ja der Quellenlage nach eben nicht nur in dieser Sache eher „dem Althergebrachten zugewandt“, um nicht zu sagen reaktionär.

1
0
Would love your thoughts, please comment.x