michael bürkle

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Michael Bürkle

Testfall Sicherheitshaft

Der Koalitionsvertrag zwischen ÖVP und Grünen sieht einige nur schwer ertragbare Bestimmungen vor. Eine davon – relativ häufig diskutiert – sieht die Einführung einer „Sicherheitshaft“ vor. Auch gestern in der „Zeit im Bild“ wurde Werner Kogler zu ihr und zur grünen Position befragt. Kogler hat sich recht gewunden: man müsse prüfen, die Bestimmung rekurriere auf Tatsachen …

Was steht denn dazu im Koalitionspakt?

Auf Seite 199 steht im Kapitel „Asyl“ (ab Seite 196) im Unterkapitel „Schnelle, faire Asylverfahren und qualitätsvolle Grundversorgung“ (ab Seite 197) dazu folgendes:

Einzelne Fälle in der jüngeren Vergangenheitc haben uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass es in unserem derzeitigen Rechtssystem Lücken im Umgang mit gefährlichen Personen gibt.

* Daher soll ein zusätzlicher, verfassungskonformer Hafttatbestand (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit) eingeführt werden für Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden, so wie das bereits in 15 europäischen Ländern der Fall ist, beispielsweise in den Niederlanden, Belgien oder Luxemburg.
* Dabei ist besonders auf eine EMRK- und unionsrechtskonforme Umsetzung zu achten.

Und was heißt das?

Also: Das Ganze steht im Themenbereich Asyl. Sieht so aus, als ob sich die Bestimmung also „sowieso nur“ auf AsylwerberInnen beziehen soll. Die Formulierung ist aber so, dass sich der Sachverhalt („Tatbestand“ wäre es ja noch keiner) durchaus auch auf Inländer beziehen könnte.

Dann: Kogler hat recht, wenn er sagt, dass nach dem Koalitionspakt „Tatsachen“ vorliegen müssten, nicht nur Gesinnungen. Tatsachen sind hier offenbar noch keine strafrechtlichen Taten: für Menschen, die einer Straftat verdächtigt werden, gibt es ja die Untersuchungshaft. (Auch die wird ohne Anklage, nur in der Phase der Ermittlungen verhängt – es muss aber ein konkreter Tatverdacht gegeben sein.)

Was könnten denn solche Tatsachen sein, die die „Annahme rechtfertigen“, dass Personen „die öffentliche Sicherheit gefährden“? Es gibt ja mindestens schon Tatbestände wie „Verhetzung“ (StGB § 283). „Hasspredigen“? (Beträfe u.U. auch rechtsextreme Burschenschaftler und könnte schon unter Verhetzung als begangene Tat angeklagt werden.) „Zum Dschihad aufrufen“? (Beträfe u.U. auch einige islamistische Imame mit österreichischer Staatsbürgerschaft; könnte auch schon „Verhetzung“ sein – obgleich „Dschihad“ durchaus verschieden interpretiert wird.) Materialien besorgen, aus denen man Brief- und Rohrbomben bauen kann? (Könnte jede Art von Terrorsympathisanten betreffen, aber auch jeden unbescholtenen Bürger.)

Die Sicherungshaft müsse verfassungskonform, EU-konform und menschenrechtskonform sein. Heißt das, sie kann nur eingeführt werden, wenn nach gewissenhafter juristischer Prüfung die Konformität festgestellt wird? Oder kann das auch heißen, dass sich die Vertragspartner verpflichten, die Verfassung dementsprechend zu ändern, damit das dann verfassungskonform wird? (Das dann nur gemeinsam mit einer anderen Partei – also der FPÖ.)

Testfall

Die Sicherungshaft ist ein Testfall für diese Koalition. Wie wird der Koalitionsvertrag interpretiert? Ist sie als Sollbruchstelle des Koalitionsvertrags konzipiert? Z.B.: Die Grünen wollen die Verfassung nicht ändern, die ÖVP besteht darauf die Verfassung so zu ändern, dass die „vereinbarte“ Sicherungshaft hineinpasst. Als Sollbruchstelle gedacht kommt das Thema dann konkret auf den Tisch, wenn ein Bruch gewünscht wird, früher oder auch später. Oder auch wenn eine Klarstellung (oder „Unterwerfung“) gewünscht wird: dann früher.

Wie ich das lese

Ich lese die Passage über die Sicherheitshaft so, dass sie (u.a.) verfassungskonform sein müsste, ohne zuvor die Verfassung zu ändern; sie verpflichtet nicht zur Verfassungsänderung. (Sie muss auch menschenrechtskonform sein, ohne dass man in Österreich einseitig die EMRK ändern kann.) Und ich lese sie so, dass sie zwar anhand der Asylproblematik entsteht, aber sich im Prinzip auf alle BürgerInnen erstrecken könnte, wenn sie denn kommt. Dass sie also ein wesentlicher Einstieg in den Überwachungsstaat und in den Abbau von bürgerlichen Rechten wäre.

(In meiner einzigen erfolgreichen Redeübung im Gymnasium habe ich alle Klassenkollegen zur Wehrdienstverweigerung aufgerufen. Mein Deutschlehrer hat gemeint, das dürfe ich so nicht sagen, das sei der Aufruf zu einer – damals noch – strafbaren Handlung. Darauf habe ich meinen Aufruf adaptiert: ich habe meine Kollegen aufgerufen, über eine Wehrdienstverweigerung nachzudenken. Das hat mein Deutschlehrer durchgehen lassen. Öffentliches Nachdenken über Straftaten war noch keine Straftat. Bis jetzt.)


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Whisker
Whisker
4 Jahre alt

Ich sehe bei der „Sicherungshaft“ noch ein weiteres Problem: Es gibt genügend Beispiele in der Vergangenheit, wie extreme Maßnahmen mißbraucht werden können und auch mißbraucht wurden. Beispiele sind z.B. der §278a und der Tierschützerprozeß, oder auch die Spitzelaffäre unter schwarz-blau Anfang der 2000er-Jahre, bei der die EKIS-Datenbanken der Polizei eine unrühmliche Rolle spielten. Und dazu kommt: was im Regierungsprogramm jetzt „Prüfung der Schaffung einer verfassungskonformen Regelung zur Überwachung unter anderem für verschlüsselte Nachrichten im Internet“ heißt, legt einem Bundestrojaner die Rutschn. Man stelle sich nur vor, wie der Tierschützerprozeß z.B. ausgehen hätte können, wenn es damals schon diese Möglichkeit gegeben… Mehr »

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