michael bürkle

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Michael Bürkle

Das teilleistungshochbegabte Kind

Eltern spielen am Abendgymnasium an sich keine Rolle, denn wir haben auch minderjährige Studierende als eigenverantwortlich zu nehmen. Deshalb kommen Eltern auch im Schulgemeinschaftsausschuss nicht als Gruppe vor; es gibt auch keine Elternsprechtage. Wir dürfen Eltern auch nichts über den Schulerfolg ihrer Kinder mitteilen, wenn diese „Kinder“ nicht damit einverstanden sind.

Wir dürfen Eltern aber zuhören. Und das ist zwiespältig.

Eine Mutter hatte „ein vollkommen aufgelöstes Kind“ zuhause. (Das „Kind“ ist 19 und volljährig.) Ursache war ein Missverständnis, das im Wesentlichen leicht zu bereinigen war, das die Mutter aber trotzdem in Aufruhr versetzte, „da sie [die Tochter] teilleistungshochbegabt ist und jetzt offenbar nach 7 Jahren […] zur Schulversagerin wird“ – und das, weil die Matura nicht innerhalb von 3 Semestern erreichbar erschien.

Ja, es ist manchmal schwer loszulassen. Auch volljährige „Kinder“ sind unsere Kinder (im Sinn von Nachkommen). Ja: viele Menschen wünschen sich hochbegabte Kinder und wollen ihre Kinder vor „Schulversagen“ schützen.

Das Wort teilleistungshochbegabt hab ich in diesem Zusammenhang zum ersten Mal gehört. Ich war irritiert und hab nachrecherchiert. Die Suchmaschine zeigte gut 100 Einträge; die meisten aus Diskussionsforen.

Trotzdem verstehe ich die elterliche Sehnsucht nach Hochbegabung beim eigenen Kind. „Teilleistungshochbegabung“ klingt erreichbar.

Ich glaube aber, dass letztlich alle „Kinder“, alle Menschen „teilleistungshochbegabt“ sind. Alle haben wir unsere mehr oder weniger versteckten Talente und Begabungen – und unsere Teilleistungsschwächen. Ich kann z.B. miserabel stricken und häkeln, auch mit Holzarbeit tu ich mir blutig hart, aber ich hab auch Bereiche, da bin ich ganz gut. Ich kenne einen jungen Mann, der ist ein teilleistungshochbegabter Krankenpfleger und Tänzer, aber nur ein durchaus mittelmäßiger Fußballtormann. Mozart war teilleistungshochbegabter Musiker – aber als Maler?

Meine Frau und ich haben zur Geburt unseres ersten Kindes das „Handbuch für Kinder mit schwierigen Eltern“ geschenkt bekommen, geschrieben von Jeanne van den Brouck, einer belgischen Psychoanalytikerin. Sie geht davon aus, dass wir alle ein Leben lang Kinder sind, nämlich Kinder unserer Eltern. Manche von uns werden selber Eltern, aber Kinder sind wir alle immer. Das Buch macht klar, dass es „schwierige“ Eltern gibt, ja dass fast alle Eltern in irgendeiner Weise mehr oder weniger schwierig sind. Es hat uns viel geholfen.


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Whisker
Whisker
7 Jahre alt

„Teilleistungshochbegabt“?

Autsch.
Solche dermaßen sinnfreie Wortschöpfungen betrachtet mein Sprachverständnis schlicht und einfach als „cringeworthy“. Eltern, die so etwas ernsthaft als Beschreibung ihrer Kinder verwenden, gehören meiner Meinung nach eigentlich in eine Nachschulung über die Grundlagen der Elternschaft…

Whisker
Whisker
6 Jahre alt
Reply to  Whisker

Begründung dafür (sorry, hab ich im ersten Überschwang wohl vergessen): „Teilleistungshochbegabt“ klingt für mich sehr nach einem Euphemismus von Eltern, die es nicht verkraftet haben, dass aus dem eigenen Nachwuchs kein zweiter Mozart oder Einstein geworden ist, also kein Genie, dessen man sich rühmen kann, es „produziert“ zu haben, sondern „nur“ ein Mensch. Für mich klingt das zum Beispiel ein wenig danach, als hätte eventuell die Mutter einiges zu kompensieren und versucht das auf Kosten ihres Kindes, das zu erreichen hat, was ihr selbst versagt blieb. Oder nach einem eher hilflosen Versuch, Lehrer zu beeindrucken und selbigen eine Ansicht à… Mehr »

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