michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

„stolz darauf X zu sein“

Was für ein mittelalterliches „Argument“

Der türkische Fußballspieler Demiral ist von der UEFA für 2 Spiele gesperrt worden, weil er als Siegesgeste den „Wolfsgruß“ gezeigt hat.

Der sog. Wolfsgruß ist ein Zeichen der vermutlich größten rechtsextremen Organisation im deutschen Sprachraum, der türkischen „Grauen Wölfe“. Die Grauen Wölfe sind rechtsextrem, rassistisch und gewaltbereit; sie sehen Kurden, Juden, Christen, Armenier, Griechen, Kommunisten, Freimaurer als Feinde. (Also alles, was nicht als genuin-türkisch wahrgenommen wird: alles, was irgendwie „anders“ ist. Das ist Mittelalter, tiefstes, düsteres Mittelalter.)

Demiral hat sich quasi entschuldigt: die Geste habe keine politische Bedeutung gehabt, sie habe nur mit seiner „türkischen Identität“ zu tun:

ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste

Ich glaube Demiral nicht, dass er so naiv ist. Das ist der Versuch, die Geste nachträglich herunterzuspielen. Der wusste schon, was er andeuten wollte. Und ich finde die Reaktion der UEFA mehr als angemessen. Ich würde auch deutsche (und österreichische) Spieler sperren, die mit dem „deutschen Gruß“ an-, auf- oder abtreten. Dummheit entschuldigt nicht alles.

Das „Argument“

Er sei stolz darauf, Türke zu sein, gibt Demiral vor. Was für Gründe gibt es stolz darauf zu sein, dass man Türke ist?

Was kann Demiral dafür, Türke zu sein? Nichts; er wurde als solcher geboren. Ist Türke zu sein eine Leistung? Nein, ich denke nicht. Die Türkei ist ein zutiefst korruptes Staatswesen, das es seit Generationen nicht schafft, eine halbwegs anständige und gerechte Politik zu verankern. Beim letzten Erdbeben hat man gesehen, wie durch und durch korrupt das Bauwesen ist. Die wirtschaftliche Leistung der Türkei ist katastrophal: viele Menschen leben in Verelendung; die Inflation ist enorm; andere schwelgen in Reichtum. Darauf stolz sein?

(Gut: es mag eine Leistung sein, in derart misslichen Verhältnissen zu überleben. Aber stolz darauf?)

Bin ich stolz darauf, Vorarlberger oder Tiroler (oder Österreicher) zu sein?

Ich bin als Vorarlberger auf die Welt gekommen und habe als Vorarlberger maturiert. Sogar gehbehindert bin ich als Vorarlberger geworden. Bin ich stolz darauf? Nein. Die Vorarlberger sind – Klischee! – ein fleißiges Völkchen, das in der Zähmung des Rheins und der Überwindung des Arlbergs einiges geleistet hat, aber ich war da nirgends beteiligt, ich hab da nichts beigetragen. Die Vorarlberger gelten auch als sehr sparsam – um nicht zu sagen geizig. Ich bin das – glaub ich – nicht, aber sehe auch da keinen Grund ein stolzer Vorarlberger zu sein.

Mit ca. 20 wurde ich Tiroler, indem ich meinen ordentlichen Wohnsitz nach Innsbruck verlegte. (Ich weiß: manche Leute meinen, dass man erst nach 3 Generationen Tiroler werden kann.) Bin ich stolz darauf, Tiroler zu sein? Ich könnte, denn Tiroler zu sein hab ich mir ja ausgesucht. Ich habe in Tirol sogar manches geleistet: ich habe an der Universität geforscht und gelehrt: 16 Jahre lang; ich habe die Tiroler Grünen 4 Jahre lang als Geschäftsführer gemanagt (und 2003 das beste grüne LTW-Ergebnis ever mitverantwortet); ich war in einer großen Tiroler Gemeinde 6 Jahre lang Gemeinderat; ich war Lehrer und habe eine wichtige Schule – das Abendgymnasium Innsbruck – 6 Jahre als Direktor gemanagt und dabei schwierige Zeiten (z.B. Corona) gemeistert. Aber ich habe das alles nicht „als Tiroler“ gemacht, sondern als interessierter Mensch und engagierter Bürger. Weder meine Geschäftsführung noch meine Direktion waren von Zeichen des Tirolertums durchtränkt; ich bin ohne Trachtenjanker ausgekommen.

Bin ich wenisgstens stolz darauf, Österreicher zu sein? Nicht wirklich. Österreich hat nicht nur Mozart hervorgebracht, sondern auch Hitler. Viele führende Nazis waren – nein: nicht „Österreicher“, sondern – „aus der Ostmark“. Da muss man nicht stolz darauf sein, auch nicht auf die erkleckliche Zahl an identitären und sog. „freiheitlichen“ Neo-Nazis, die es in Österreich gibt. Österreich hat es geschafft, der Weltgeschichte vorzugaukeln, dass Hitler Deutscher war und Beethoven Österreicher. Stolz darauf? Hat Österreich für die Weltgeschichte Bedeutendes geleistet? Ja, ein paar Dinge gibt es schon: Musik, Literatur, Psychoanalyse, Physik, Bildende Kunst. Aber stolz darauf? Ich hab in diesen Bereichen nichts geleistet. Stolz auf die österreichische Fußball-Nationalmannschaft 2024? Die spielt derzeit sehr gut und engagiert; es ist echt schön zuzusehen.

Festhalten möchte ich: im Vergleich zu Ländern wie der Türkei schaffen wir es noch, die Verarmung großer Teile der Bevölkerung halbwegs zu bremsen und immer wieder einiges an System-Ungerechtigkeiten auszugleichen. Wir sind ein relativ korruptionsarmes Land (Platz 21 im Korruptionsindex von Transparency International); das liegt wohl auch daran, dass viele Österreicher*innen eine hohe Steuerdisziplin haben und dass wir eine eigene Staatsanwaltschaft für Wirtschafts- und Korruptionsdelikte eingerichtet haben. (Die war auch notwendig!) Allerdings ist die Pressefreiheit gesunken … Aber nicht umsonst kommen viele Türkinnen und Türken gerne nach Österreich und bleiben dann auch. Stolz bin ich auf Österreich im Ganzen aber noch nicht wirklich: zu viel läuft falsch.

Relativ stolz fühle ich mich als Europäer, aber auch da bin ich mit Vielem nicht zufrieden.

Nationalstolz

Nationalstolz und Patriotismus sind mittelalterliche, vor-aufklärerische Konzepte. Wir sollten als Mensch darauf stolz sein können, Mensch zu sein – nicht nur biologisch, sondern politisch-ethisch-sozial. Aber auch da gibt es ABERs. Sind wir als Menschen klug genug, die Biosphäre, den Lebensraum unseres Planeten nicht zu zerstören? Ich bin mir da gar nicht mehr sicher. In uns Menschen ist offenbar eine Art Grund-Egoismus angelegt, der viele daran hindert, über den eigenen Vorteil hinaus an den Vorteil der Gemeinschaft zu denken. Das hat sich für uns im Neandertal – oder wo auch immer – zunächst als Vorteil herausgestellt und eingeprägt und zum individuellen Überleben beigetragen: aber wir sind nicht mehr im Neandertal. Auch im Neandertal haben wir nicht nur individuell überlebt, sondern vor allem in funktionierenden Gemeinschaften: in Sippen und Stämmen, als Teil von Sozialstrukturen. Unsere Stärke als Mensch war und ist, dass wir gut funktionierende und komplexe Gemeinschaften bauen können (oder könnten). Trotzdem denken zu viele von uns eher an den kurzfristigen Aktien-Gewinn als an nachhaltige Investitionen. Dieser Grund-Egoismus lässt uns mit dem Auto fahren und dem Flugzeug fliegen, wo wir ökonom- und logischer und gesünder mit dem Rad oder der Bahn fahren könnten.

Heinz Erhardt dazu

Der deutsche Humorist, Komiker und Satiriker Heinz Erhardt (1909-1979) hat zur deutschen Filmliteratur viel Unsinn und Blödelei beigetragen und zur deutschen Literatur zahllose gereimte Verse. Zum Nationalstolz hat er einen wichtigen Beitrag verfasst: „Flecke“.

Flecke

Gott, voller Weisheit, hehr und mild
schuf uns nach seinem Ebenbild
Gewiß, wir Menschen sind gescheit,
doch wo ist unsre Menschlichkeit?
Erscheint uns jemand edel, groß,
so täuscht das: er verstellt sich bloß!
Erst wenn er Böses tut und spricht,
zeigt er sein wahres Angesicht!-

Um obiges nun zu beweisen,
laßt alphabetisch uns verreisen,
dann kann man sehn, was so geschah!
Wir fangen vorne an, bei A ! ! !

A (Amerika)

Amerika, du Land der Super-
lative und dort, wo James Cooper
zwar seinen „Lederstrumpf“ verfaßte,
man aber die Indianer haßte,
weshalb man sie, halb ausgerottet,
in Reservaten eingemottet,
sich dafür aber Schwarze kaufte,
sie schlug und zur Belohnung taufte,
doch heute meidet wie die Pest,
sie aber für sich sterben läßt –
wie beispielgebend stehst du da
für Menschlichkeit! O USA!

B (Briten)

Jedoch auch sie, die vielen Briten,
die Schott- und Engländer, sie bieten
für unser Thema Menschlichkeit
so manchen Stoff seit alter Zeit!
Nur waren’s statt Indianer Inder,
die sie ermordeten, auch Kinder;
und ähnlich Schreckliches erfuhren
danach die Iren und die Buren,
die man durch den Entzug des Fetts
verschmachten ließ in den Kazetts!
Jedoch bei Völkern, welche siegen,
wird sowas immer totgeschwiegen . . .

C (Christen)

Dann wäre da, bar jeden Ruhms,
so manche Tat des Christentums,
die, eben wegen seiner Lehre,
am besten unterblieben wäre!
Man denke da zum Beispiel an
Inquisition zuerst und dann
an Waffensegnung mit Gebeten,
um andre Gläubige zu töten!
Auch dieses: lieber Menschenmassen
verelenden und hungern lassen,
statt man Geburtenreglung übe –
auch das zeugt nicht von Menschenliebe!

D (Deutschland)

Nun: Wollt ihr, daß im Alphabet
es mit dem D jetzt weitergeht?
Ist es nicht besser, wenn ich ende?
Wascht nur in Unschuld eure Hände
und greift, kraft eigenen Ermessens,
zum güt’gen Handtuch des Vergessens . . .

Doch hilft das Waschen nicht und Reiben:
Die Flecke bleiben!

Man mag es als Form der Feigheit deuten, dass der Deutsche Erhardt im Deutschland-D abbricht. Andrerseits wäre das, was da in Reimen zu berichten wäre, für Reime nicht mehr geeignet. Es ist Erhardt nichts anderes übrig geblieben als abzubrechen: das Grauen, das hier kommen müsste, ist zu enorm. Aber im Abbruch stellt er natürlich auch das D als das Besondere heraus.

Man könnte da noch über viele „volksbezogene“ Texte nachdenken: über T wie Türken, über I wie Israel, über M wie Muslime oder J wie Juden. Lieber nicht. Lassen wirs bei der Andeutung der Möglichkeit. Es bleibt da kaum jemand, der da uneingeschränkt „stolz“ sein müsste.


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Whisker
Whisker
1 Monat alt

> Nationalstolz und Patriotismus sind mittelalterliche, vor-aufklärerische Konzepte. Da stimme ich nicht ganz zu, denn Patriotismus und Nationalismus sind bei weitem nicht dasselbe, sondern unterscheiden sich bei genauer Betrachtung durchaus recht deutlich voneinander. George Orwell z.B. erklärte den Unterschied in seinen 1945 erschienenen Essay „Notes on Nationalism“ meiner Meinung nach sehr gut: „Nationalism is not to be confused with patriotism. Both words are normally used in so vague a way that any definition is liable to be challenged, but one must draw a distinction between them, since two different and even opposing ideas are involved.By ‚patriotism‘ I mean devotion to… Mehr »

Whisker
Whisker
1 Monat alt

> Ich hab allerdings nicht „Nationalismus“ mit „Patriotismus“ gleichgesetzt,
> sondern „Nationalstolz“.

Stimmt, hast Recht – aber zumindest bei dem erwähnten Herrn sind die Begriffe „Nationalstolz“ und „Nationalismus“ wohl recht austauschbar, oder?

michael bürkle
michael bürkle
1 Monat alt
Reply to  Whisker

die neue eu-fraktion „PfE“ (Patrioten für Europa) tut dem Begriff Patriotismus natürlich auch nicht gut …

Whisker
Whisker
1 Monat alt

Natürlich nicht!

Denn genau die Parteien, die bei PfE dabei sind, betreiben mit dem Terminus „Patriot“ ja eben genau den Etiketternschwindel, auf den ich mich in meinem Posting bezogen habe.

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