… auch wenn er sich no ned auskennt
Heute ein Interview mit Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (ÖVP) im Standard (S. 7). Herr Tursky (* 1988) ist ja einer der Jüngsten in der Regierung; womöglich eine „Zukunftshoffnung“ der ÖVP. Bevor er Digitalisierungsstaatssekretär wurde, war er Mitarbeiter im Team Platter – als dieser noch LH und Parteiobmann war.
Im Interview erläutert Herr Tursky als quasi-Bildungsminister seine „Pläne für eine digitale Schule“.
Bildung und Digitalisierung
Zunächst setzen sich der Standard und Tursky zwischen alle Stühle, nämlich inmitten „von Robotern, 8K-Monitoren und Kühlschränken, die ihren Inhalt dank künstlicher Intelligenz erkennen“, also, nach Standard, an den „Puls der Digitalisierung“. Wie nett und sinnbildlich. Dann Tursky: „Prinzipiell ist die Bildung Schlüssel für die Digitalisierung.“ Da verwechselt er Ursache und Folge. Ich denke, die Digitalisierung ist ein Schlüssel zur Bildung – allerdings nicht der einzige. Für Tursky ist Bildung – was versteht er überhaupt darunter und davon? – ein Zweck, eine Werkzeug für die Digitalisierung. Vielleicht sollte man mit dem jungen Mann einmal Bildung definieren?
Dann ein richtiger Satz des Sekretärs: „Wir müssen vom Kindergarten bis ins Altersheim die Menschen dort abholen, wo ihr Kenntnisstand ist.“ Ja, eh: wenn man sie nicht dort abholt, wo sie sind, kommen sie nicht an Bord. Dann: „Und wir müssen sie digital abholen.“ Das wird schwierig: wenn du jemand digital abholen willst – was ist damit gemeint? Wenn die Menschen noch nicht „digital sind“, muss man sie dann nicht „analog abholen“? Tursky: „90 Prozent der Berufe erfordern heute digitale Grundkenntnisse, die ein Drittel der Österreicher aber nicht hat.“ Ja, wie will er denn dieses Drittel „digital abholen“? Tursky: „Früher haben wir von Globalisierungsverlierern und -gewinnern gesprochen, wir werden in Zukunft von Digitalisierungsgewinnern reden.“ Nein: wir können auch heute schon von Digitalisierungsverlierern sprechen und die Globalisierung wird auch trotz Tursky das Thema bleiben – in einer globalen Klimakatastrophe.
Schlüssel?
Der Standard fragt: „Was muss sich in der Bildung in Österreich ändern?“ Tursky darauf: „Die Bildung ist ein absoluter Schlüssel dafür.“ Wofür? Keine Antwort. Er spricht dann von einer digitalen Bildungsreform; die beginne „bei der Infrastruktur. Natürlich muss der Overheadprojektor und ab einer gewissen Schulstufe auch die Kreidetafel verschwinden. Es steht nicht mehr in jeder Schule ein Overheadprojektor oder eine Kreidetafel, das ist mir bewusst, aber es soll diese Dinge in keiner Schule mehr geben.“
Hier ortet Tursky offenbar die zentralen Symptome einer problematischen Schule – das ist aber der falsche Ort. Ja, der Overheadprojektor war ein technisches Zwischenstück zwischen Tafel und Beamer, aber die Tafel ist ganz sicher nicht das Problem der Schule oder der Schulen.
Change-Moment und Mind-Change …
Tursky: „Die digitale Grundbildung ist der Schlüssel, sie kann ein Change-Moment sein, den wir nutzen müssen. Wir bekommen gerade viele junge Lehrer auf den Markt, die sehr motiviert sind, da bewegt sich schon sehr viel. Und natürlich glaube ich schon, dass wir auch in der Schule einen Mind-Change zusammenbringen, dass Bildung digital ist.“
Der Sekretär kann Bildungs-Neudeutsch; supi. Ja, Herr Tursky beobachtet „junge Lehrer auf dem Markt“. Wer Lehrer (und Lehrerinnen wohl auch) als Marktgegenstände betrachtet, plant an der Realität vorbei. Junge Lehrerinnen und Lehrer sind keine Marktgegenstände, sondern wertvoll ausgebildete Bildungsarbeiterinnen und -arbeiter, die ein vernünftiges Arbeitsumfeld brauchen. Schule ist aber nicht nur Unterricht; Schule muss sich mit der alltäglichen gesellschaftlichen Realität auseinandersetzen. Da braucht es nicht nur Lehrer*innen, sondern auch Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen an den Schulen – und die lassen sich nicht durch Tablets oder Whiteboards und Whitescreens ersetzen. Junge Lehrer*innen müssen heute zu einem relativ geringen Gehalt deutlich mehr unterrichten als unsereins früher: sehr viele schmeißen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen den Job auch bald wieder hin. (Hat sich der Sekretär schon nach dem Grund dafür gefragt?) Wer eine Schulstunde (durchaus realistisch!) mit insgesamt einer Stunde Vorbereitung und Nachbearbeitung (Korrekturen, Feedbacks etc.) hochrechnet, kommt heute schnell auf eine 50-Stunden-Woche – da sind dann administrative Tätigkeiten noch nicht mitgerechnet.
Eine neue Schule
Hier müsste man ansetzen: die Digitalisierung ist nicht das Problem; das Problem sind menschenfeindliche Arbeitsbedingungen – für Lernende wie für Lehrende. Das Problem ist, dass es zu wenig Möglichkeit für Kommunikation unter Lehrenden und mit Lernenden gibt – und das ist kein technisches Problem. Unterricht ohne (gute!) Kommunikation zwischen Menschen geht aber nicht. Das Problem ist auch, dass Schule in uralte, völlig überholte Formen gepresst wird: in sogenannte „Klassen“. Diesbezüglich gäbe es im österreichischen Schulsystem vielversprechende Reformansätze – z.B. an den „klassenlosen Abendgymnasien“; allein: sie werden kaum gesehen. Das Problem ist auch, dass Kinder im Alter von 10 auf konkurrierende Bildungswege aufgeteilt werden und dass damit Bildung vererbbar wird. (Ein Teilproblem davon sind die überbordenden Nachhilfe-Schwarzmärkte an den Gymnasien.) Das Problem ist auch, dass Schulen sich als vormittägliche Lerntrichter begreifen und am Nachmittag eine Art „Nachmittagsbetreuung“ anbieten – statt den Schultag in Lern-, Sport-, Kunst- und Ruhephasen, die sich über den gesamten Tag verteilen, aufzuteilen. Welche Parteien wehren sich gegen diese – an sich gar nicht mehr so – neuen Ideen? Es ist vor allem die ÖVP, der auch Tursky angehört.
Will Tursky die „digitale Schule“, damit er sich um die wirklichen Probleme nicht mehr kümmern muss? (Muss er aber eh nicht. Er ist eh nur für Digitalisierung zuständig.)
Ich bin dafür, in die Digitalisierung der Schule zu investieren, wenn gleichzeitig im gleichen Ausmaß in die Reform des Systems Schule investiert wird.
Der Ausbau
Der Rest des Interviews dreht sich dann um den Ausbau der Internet-Technologie in Österreich. Jaja: da soll sich der Herr Staatssekretär gern darum kümmen. Eine gute Infrastruktur ist eine der Voraussetzungen für gute Schulen. Aber nicht die einzige.
Die „digitale“ Schule
Ja, klar: unsere Welt wird immer „digitaler“ i.S.v. immer mehr digital verwaltet. Das ist unvermeidlich; darauf müssen wir uns einstellen. Aber Bildung und Wissen „sind“ nicht digital: sie sind analog und digital; es gibt beides. Schulen sind auch nicht nur analoge und digitale „Daten“ oder Datensammlungen, sondern sie bestehen auch aus Beziehungen, Kommunikationen, Interaktionen. Die kann man mehr oder weniger digital unterstützen, aber nicht ersetzen.
Ich weiß (auf der Basis des Interviews) nicht, wie viel Ahnung Herr Tursky von Digitalisierung hat. Von Schule hat er sehr wenig: er war dort.
Der Sekretär hat noch zu einiges lernen. Der Standard (Interviewer: Peter Zellinger) auch.
[…] Er hat die Abschaffung von Tafeln gefordert. Ich hab das auch schon kommentiert: „Dem Sekretär ist nix zu schwär …“ oder auch im Kreidekreis, der Zeitschrift der Österreichischen LehrerInnenInitiative (ÖLI), dort […]
[…] gelegentlich als Ersatz-Bildungsminister und hat einen äußerst eingeschränkten Begriff davon, was Bildung ist. Des Kanzlers Äußerungen in seiner Rede sind da – bescheiden. Aber ich sehe keine Grünen, […]
[…] Es gibt ein wunderbares Medikament gegen Auswüchse der KI: NI! „Natürliche Intelligenz“. Wenn eine VWA-Betreuung nicht nur als lästige Pflichtübung, sondern mit angewandter NI erfolgt, fürchte ich mich nicht vor KI-Produkten. Aber NI braucht natürlich Bildung: breite, vernetzte, interessierte Bildung, die Zeit bekommt. Nicht nur Ausbildung. Weit über Digitalisierung hinaus. Manche heutige „Bildungspolitiker“ (Anführungszeichen!) verwechseln Bildung mit Digitalisierung. […]
[…] er kann jetzt offenbar durch die „halbe“ Frau Plakolm ersetzt werden. Mir ist er am 5.9.22 schon aufgefallen, aber nicht […]