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Michael Bürkle

„Der Schwarm“ als Symbol

Der ORF bringt im Hauptabendprogramm am 6.3., 7.3. und (heute) am 8.3. insgesamt alle 8 Folgen einer Serie „Der Schwarm“ – an 3 Abenden hintereinander insgesamt 6 Stunden Film! (Ein massiver Programm-Schwerpunkt!) Es handelt sich dabei um eine (ziemlich freie) Verfilmung des gleichnamigen Romans von Frank Schätzing aus 2004, erstellt von einer Gruppe von Fernsehanstalten, der auch das ZDF und der ORF angehörten.

Inhalt

„Yrr“, eine bisher unbekannte Intelligenz aus schwarmartig auftretenden Einzellern, bedroht die Menschheit; die Ozeane scheinen sich an der Menschheit rächen zu wollen. Meerestiere (Wale, Muscheln, Krabben; aber auch Würmer, Bakterien) verhalten sich völlig ungewöhnlich und gefährden die Menschheit: zunächst Boote und Frachtschiffe, dann ganze Küstenlandschaften. Eine Gruppe von Wissenschaftler*innen analysiert die Phänomene richtig als Produkt einer nicht-menschlichen Intelligenz und nennt diese Yrr; ihr gelingt die Kontaktaufnahme und der Abschluss einer Art fragilen Waffenstillstands.

Aktualität?

Der Roman von Schätzing greift heute fast jedem Menschen geläufige Themen auf: die Klimakatastrophe, Pandemien, Wirtschaftskrisen, Überschwemmungen. Viele Dialoge des Films könnten genau so im Rahmen eines Gesprächs über die Klimakatastrophe stattfinden. Yrr ist das unheimliche, unmenschliche Fremde, das mit einer fremdartigen Schwarmintelligenz ausgestattet und mit dem Kommunikation zunächst kaum denkbar ist. Probleme im Endzeitstadium: Wer kennt das heute nicht?

Der Mensch muss gegen diese / dieses / diesen Yrr kämpfen und sich mit ihm / ihr / ihnen auf eine Art Koexistenz einigen. Das greift natürlich Ängste auf, die in der Klimakatastrophe auch auftauchen und die auch schon aus der Corona-Pandemie bekannt sind. Insofern ist das massive Zeitbudget, das der ORF für den Film zur Verfügung stellt, verständlich.

Nicht-Aktualität?

Im „Schwarm“ ist der Feind der Menschheit ein aus Einzellern bestehendes schwarmartiges Lebewesen, das aber Teil der Natur ist. Es ist intelligent und fähig, lebensgefährliche Krankheiten zu erzeugen – Bakterien-Pandemien, die durch Schwärme von Krabben übertragen werden; es ist auch in der Lage, z.B. durch Würmer Berghänge abzugraben und durch die rutschenden Massen Tsunamis zu erzeugen; es ist in der Lage, Wale auf Aggressivität umzupolen. Es scheint geradezu allmächtig zu sein. Eine Art schwacher Friedensschluss ist aber möglich.

Man könnte versucht sein, Yrr als Metapher für ein wild gewordenes Ökosystem zu erkennen. Ist „die Natur“ der Feind der Menschheit?

Hier beginnt die Aktualität zu schwinden. Die Biosphäre des Planeten, das Ökosystem ist ja nicht unser Feind, sondern unsere Lebensbasis. Aber es gibt eine schwarmartige „Intelligenz“ auf diesem Planeten, die Pandemien erzeugt, Erde ins Rutschen bringt, großräumige Überschwemmungen und riesige Waldbrände verursacht. Das ist – zunächst einmal und naiv gedacht – die Menschheit selbst: homo sapiens als Infektion! Ist Yrr schlicht und einfach eine Metapher für die Menschheit?

Das wäre zu einfach und falsch gedacht – finde ich. Nicht die Menschheit ist diese schwarmartige Intelligenz. Es ist der globalisierte Kapitalismus, der den gesamten Planeten umfasst, der in Sekunden weltweit handelt – weit jenseits einer Kontrolle oder Aufsicht durch gewählte, leigitimierte Institutionen. Jede einzelne „Zelle“ dieses Systems hat – wie bei Yrr – eine beschränkte, nicht besonders gefährliche Intelligenz; aber die schwarmartige Intelligenz – oder auch die schwarmartige Aggressivität, die schwarmartige Bösartigkeit – dieses Gesamtsystems kann alles ins Wanken bringen, alles zerstören. Die Frage nach Schätzing wäre: ist mit diesem Yrr eine Art Waffenstillstand möglich? Oder müssten wir dieses Yrr zerstören?

Es ist eine Synthese denkbar: Nicht die Menschheit ist der Feind. Aber ein menschliches Produkt.

Das Buch

Das Buch von Schätzing ist aus dem Jahr 2004 und in gewissem Sinn seiner Zeit um etwa 15 Jahre voraus. Es spricht Erfahrungen und Ängste an, die wir aus den letzten Jahren sehr gut kennen – wir, im globalen Norden. (Im globalen Süden kennt die Menschheit das schon viel länger.) Es nimmt durchaus Motive aus anderer science-fiction-Literatur auf; es ist nicht so originell, wie das vielleicht klingt. Der Ozean auf einem Planeten als Lebewesen, das mit den Menschen auf ernste Konfrontation geht: das ist nicht neu; das hatten wir schon bei Stanisław Lems Solaris aus 1961 (und Tarkowskis Verfilmung aus 1972).

Schätzing sei mit der Verfilmung unzufrieden, heißt es; er habe sich als Drehbuchautor zurückgezogen. Zu viel Romanze, zu wenig Schwarm. Das Buch sei heute aktueller als 2004, meint er in einer Doku. Warum er das meint?

Ich kritisiere an der Grundkonzeption von Buch und Film das Abschieben der real existierenden Bedrohungen auf dem Planeten in eine Art mythologisierter Natur. Die dummen menschlichen Verhaltensweisen, die dummen menschlichen Strukturen werden kaum hinterfragt. Das ist schade. Ein reicher japanischer Philanthrop finanziert die Forscher*innen; filmgerecht löst eine Gruppe von Heldinnen und Helden die Sache. Filme brauchen heroes.


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[…] Menschheit für den Klimawandel mit Pandemien „bestraft“, ist vom ORF gerade über eine Verfilmung, die er mitproduziert hat, an drei aufeinanderfolgenden Abenden markant ins Fernseh-Hauptprogramm […]

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