Ich wünsche allen LeserInnen schöne, erholsame, kreative Feiertage und kann leider ein Weihnachtsgeschenk nicht überreichen …
Es gibt ein Buch, das ich sehr schätze: die „Unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino. M.E. eines der schönsten Bücher der Weltliteratur. Es handelt sich um 55 kurze Skizzen „unsichtbarer Städte“, die Marco Polo dem Tatarenkaiser Kublai Khan erzählt, eingebettet in einen philosophischen Dialog zwischen dem Khan und Polo. Im Web gibt es die italienische Urfassung gratis online, auch eine englische Fassung ist online frei.
Ich habe als Sprachwissenschaftler und Lehrer immer wieder mit diesen (für mich) traumhaften Texten gearbeitet und hatte bereits einige abgetippt. In den letzten Monaten habe ich die Sammlung vervollständigt und wollte sie – als eine Art Geschenk an die deutschsprachige Öffentlichkeit – auch online den LeserInnen zur Verfügung stellen. Leider darf ich das nicht. Und zwar …
Ich habe das Buch als dtv-Taschenbuch (erschienen 1985, im Todesjahr Calvinos, als ISBN 3-423-10413-9) 1986 gekauft, damals in der Übersetzung von Heinz Riedt. (Das Original ist 1972 erschienen, eine erste deutsche Fassung 1977.) Mittlerweile (seit 2007) gibt es vom Großmeister der Übersetzung aus dem Italienischen, Burkhart Kroeber, eine weitere deutsche Fassung im Hanser-Verlag (ISBN 978-3-446-20828-5, als Taschenbuch auch bei Fischer als ISBN 978-3-596-90527-0). Die Fassung von Riedt, die ich als die etwas „treuere“ erachte (und die vielleicht etwas weniger „kühne“) ist vergriffen und wird höchstwahrscheinlich nicht mehr aufgelegt.
In dieser Situation habe ich mir Chancen ausgerechnet, die Erlaubnis für eine konstenlose online-Version zu bekommen. Ich habe mich deswegen an dtv gewandt. Mit ein bisschen Verzögerung hat mich dtv an den Hanser-Verlag weitergeleitet. Ich habe dem Hanser-Verlag am 14.12. geschrieben:
Sehr geehrte Damen und Herren,
kurz: ich möchte „Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino in der Übersetzung von Heinz Riedt online zur Verfügung stellen. Darf ich das? (Ich habe mich in dieser Angelegenheit zunächst an dtv gewandt – s.u.; da wurde ich heute an Sie verwiesen.)
Grund: eines der m.E. schönsten Bücher der Weltgeschichte, Italo Calvinos „Die unsichtbaren Städte“ (erschienen 1972, in der ursprünglichen Übersetzung von Heinz Riedt 1977) gibt es offenbar nicht online. Ich finde das sehr schade. Auf Italienisch gibt es das […]; auf Englisch auch […] ).
Warum nicht auf Deutsch? Ich weiß schon: Rechte.
Ich habe als Sprachwissenschaftler und Lehrer immer wieder mit den Texten gearbeitet und einige davon deshalb auch ab und zu abgetippt. Ich wäre in der Lage, in einigen Wochen den Gesamttext auf Deutsch (in der Übersetzung von Riedt) online der Welt zur Verfügung zu stellen – wenn ich die Erlaubnis dazu bekomme. Ich verfolge keinerlei kommerzielles Interesse damit.
Ich würde natürlich in einer online-Version die Quelle genau angeben; ich könnte darauf hinweisen, dass es bei Hanser eine neuere Ausgabe in der Übersetzung von Kroeber gibt. Weder dem dtv noch Hanser würde ein kommerzieller Schaden entstehen, denn die Übersetzung von Riedt ist ja vergriffen und wird nicht mehr neu aufgelegt; der Hinweis auf die Neuausgabe wäre allenfalls eine Werbung für diese.
Also: darf ich das? (Oder können Sie selbst eine online-Ausgabe veranlassen?)
Mit freundlichen Grüßen
michael bürkle
Hanser hat schnell reagiert. Schon am nächsten Tag war die Antwort da:
Lieber Herr Bürkle,
vielen Dank für Ihre Anfrage, aber es ist weder im Interesse von Verlagen noch Autoren, Texte kosten- und honorarfrei ins Internet zu stellen.
Es wird hart dafür gekämpft, dass sowohl Autoren, als auch Übersetzer und andere Urheber angemessen für ihre Leistung vergütet werden.
Das geht nur, wenn die Menschen bereit sind für diese Leistungen zu zahlen.
Daher erhalten Sie keine Erlaubnis für Ihr Vorhaben.
Mit der Bitte um Verständnis und besten Grüßen
…
Ich wollte nicht sofort aufgeben und habe noch am 15.12. versucht, argumentativ etwas nachzulegen:
Sehr geehrte Frau …,
ich sehe das auch so, dass AutorInnen, ÜbersetzerInnen angemessen bezahlt werden müssen. (Ich bin selbst Autor.) Ich hätte mir deshalb nie angemaßt, nach den Rechten für die aktuelle Übersetzung von Burkhard Kroeber, die sich im Handel befindet, zu fragen. Aber die Übersetzung von Riedt ist vergriffen und wird (da bin ich mir sicher) nicht mehr aufgelegt. Insofern würde durch meine Aktivität niemandem eine angemessene Vergütung entgehen. Im Gegenteil: es würde die Übersetzung von Kroeber noch beworben.
Insofern bitte ich um neuerliche Prüfung meines Anliegens.
Schade wäre eine Ablehung m.E. auch aus der Perspektive des deutschen Literaturbetriebs, weil es online-Versionen in Italienisch und Englisch ja gibt.
Mit freundlichen Grüßen
michael bürkle
Aber Hanser blieb stur. Am 19.12. kam:
Lieber Herr Bürkle,
Leider muss ich Ihr Anliegen erneut ablehnen, auch eine konkurrierende Übersetzung soll nicht kostenfrei online stehen.
Wir bitten Sie von weiteren derartigen Anfragen abzusehen, da wir aus u.g. Gründen keine kostenfreie Gesamtveröffentlichung unserer Werke wünschen.
Beste Grüße
…
Okay. Kann man halt nichts machen. Italienisch gibts online, Englisch gibts online, aber nicht einmal ein vergriffenes deutsches Exemplar ist online möglich. Im Deutschen zählen „die Rechte“; eine Umwegrentabilität kann man nicht erkennen. Klar bin ich auch der Überzeugung, dass Urheberrechte gewahrt werden müssen. Aber wenn das Ding vergriffen ist und nicht mehr aufgelegt wird …
(??? Kann mich vielleicht eine gute Juristin / ein guter Jurist beraten ??? Immerhin ist die Übersetzung von Riedt schon 32 Jahre alt.)
Schade. Ich hab dann noch nach dem Preis gefragt und seither warte ich wieder:
Liebe Frau …,
schade. Sie (bzw. der Hanser Verlag) tun damit dem Nachlass von Italo Calvino, der Vermittlung der italienischen Literatur im deutschen Sprachraum und letztlich auch dem Hanser Verlag nichts Gutes. Aber das muss der Hanser Verlag natürlich selber & besser wissen.
Letzte Frage: wie viel würds mich denn kosten, um die „Unsichtbaren Städte“ in der Übersetzung von Riedt online stellen zu dürfen?
MfG
mb
Ich warte. Und bin gespannt auf den Preis.
Meine Lieblingsstadt: Ottavia, Nr. 26 Die subtilen Städte 5 Wollt Ihr mir glauben, gut. Jetzt will ich Euch sagen, wie Ottavia beschaffen ist, die Spinnennetz-Stadt. Da ist ein Abgrund zwischen zwei abschüssigen Bergen: Die Stadt liegt über der Leere, ist mit Tauen und Ketten und Stegen an den beiden Bergrücken festgemacht. Man läuft über die Holzplanken und gibt acht, daß man den Fuß nicht in die Zwischenräume setzt, oder man hält sich an den hanfenen Netzmaschen fest. Unten ist Hunderte und Hunderte von Metern nichts: Ein paar Wolken ziehen dahin; noch weiter unten kann man den Boden der Schlucht erkennen.… Mehr »
Der Dialog zwischen Kublai Khan und Marco Polo endet mit der Passage: Des Groß-Khans Atlas enthält auch die Karten der verheißenen, im Geiste besuchten, aber noch nicht entdeckten oder gegründeten Gebiet: die Nova Atlantis, die Utopia, die Civitas Solis, die Oceana, Tamoé, Harmonie, New Lanark, Icaria. Kublai fragte Marco: »Du, der du ringsum forschest und siehst und vermerkst, kannst mir wohl sagen, zu welchen von all diesen Zukünften uns die guten Winde treiben werden.« »Für diese Häfen könnte ich weder eine Route auf der Karte eintragen noch ein Ankunftsdatum bestimmen. Manchmal genügt mir eine Lichtung in einer maßlosen Landschaft, ein… Mehr »
noch 2 fehler sind mir beim abtippen aufgefallen: bei Dorotea (Nr. 3, Die Städte und der Wunsch 1) heißt es auf s. 12 des büchleins „die Frauen hatte schöne Zähne“, und bei Isaura (Nr. 10, Die subtilen Städte 1) heißt es auf s. 26 unten „in den sich drehende Gleitrollen“. diese fehler hab ich in der mir nun vorliegenden gesamtfassung verbessert; inwieweit mir beim abtippen / übernehmen selbst fehler passiert sind, weiß ich nicht. ab und zu finde ich welche, aber es werden immer weniger. schön wärs, das einer community zu gemeinsamer fehlersuche (und gemeinsamem textgenuss) übergeben zu können. texte… Mehr »