Der ORF, der Bayrische Rundfunk, der Norddeutsche Rundfunk und ARTE haben eine 6-teilige Serie „Schnee“ gebracht. Mystery im Klimawandel?
Mystery
Einerseits eine wilde Mystery-Geschichte: Familie aus Wien – Mutter Lucia, Vater Matthi, Tochter Alma (asthmakrank), Sohn Jonas – zieht sich in die Tiroler Berge zurück, in den Heimatort des Vaters. Die Mutter will die frei werdende Stelle als Gemeindeärztin übernehmen; für den Vater plant dessen Vater die Übernahme von Hotel und Schiliftstruktur; Alma soll ihr Asthma überwinden.
Schnell geschehen unheimliche Dinge. Töchterchen Alma sieht eine Frau, die sonst niemand sieht; Wölfe bewegen sich geradezu zutraulich um das Dorf; manchmal tauchen sie dort auf, wo gerade noch ein Mensch war; die Frau, die Alma sieht und von der sie einen Ring bekommt, stellt sich als die tote Marianne heraus, die vor etwa 40 Jahren als Umweltaktivistin umgekommen ist – sie wollte ein Naturschutzgebiet, das schon damals den Interessen des Tourismus entgegen gestanden wäre. Aber ihre Leiche apert aus: die Obduktion, die Lucia als Gemeindeärztin betreibt, ergibt, dass sie schwanger war und ermordet worden ist.
Der Tag der Geburt Lucias ist der gleiche wie der Todestag Mariannes; der Fötus von Mariannes Tochter hat einen Blutschwamm an der Stelle, an der auch Lucia einen hat. Lucia spricht mit Jakob, mit dem Marianne liiert war – aber Jakob soll seit vielen Jahren tot sein: ein zweiter „Untoter“. Gegen Schluss wankt Lucia, die zusammengebrochen und von einem Wolf wieder geweckt worden war, unter der Begleitung des Wolfs mit ihrer verletzten Tochter Alma auf den Armen ins Dorf.
Alma liest sich in einem Sagenbuch die Geschichte der Schützerin des beherrschenden Berges an und sieht sich bald selbst in dieser Rolle. Damit stellt sie sich gegen die Interessen ihrer Großeltern, die den Gletscher erschließen und dafür auch Bergrücken wegsprengen wollen. Und auch Lucia kann als Mutter die Rolle, die sich ihre Tochter zugewachsen ließ, nicht annehmen, jedenfalls nicht gleich.
Klimawandel?
Schnee wird als Geschichte dargestellt, die den Klimawandel thematisiert. Das stimmt – aber nur oberflächlich. Im Dorf sieht man keinen Schnee; deshalb soll der Gletscher mit einer Gondelbahn erschlossen werden. Aber auf den Straßen sieht man viel rinnendes Wasser – es sieht nach davon rinnendem Schnee aus. Die Gemeindeversammlung beschließt mit großer Mehrheit den Bau der neuen Gondelbahn, also erhebliche Investitionen in einen Schitourismus, die sich in der Zukunft rechnen müssen: ein durchaus modernes Szenario.
Das ist der eine Aspekt: der Klimawandel zwingt das Dorf zu fragwürdigen Investitionen. Der andere: durch den Klimawandel apert eine Leiche aus und wird ein Verbrechen aufgedeckt.
Eine feministische Geschichte
Die Handlungsträger*innen sind weitgehend Frauen: die Ärztin und Mutter Lucia, die Tochter Alma, die Hotelbesitzerin und Großmutter Maria, die Kaufladenbesitzerin Valentina, die Lehrerin Toni, die auch eine ehemalige Flamme Matthis ist, die (Un-)Tote Marianne, deren Mutter Aurelia. Männer sind – mit Ausnahme des Polizisten Prochaska – allenfalls ausführende Sekundanten: Vater Matthi, Großvater und Hotelier Bruno; dazu noch ein paar kleinere Rollen.
Auch der Stab war sehr weiblich. Die Geschichte wurde „entwickelt“ von Barbara Albert und Ursula Wolschlager, Regie führten Esther Rauch und Catalina Molina; auch Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produktion sind durchaus weiblich dominiert.
In Summe
In Summe ist das eine wilde Mystery-Geschichte mit deutlichem feministischen Einschlag. Ja, das kann man so erzählen; durchaus spannend und mit guten bis ausgezeichneten Schauspielerinnen (generisch!) besetzt. Manches erinnert mich an Spielbergs Shining: das Hotel in den Bergen, die Eskalation der Geschichte, Bilder sich windender Bergstraßen.
Ich habe eine Kritik: ich würde mir wünschen, den Klimawandel nicht nur als Kulisse für eine mysteriöse Kriminal-Geschichte zu sehen. Der Klimawandel hat an sich nämlich nichts Mysteriöses: er ist höchst real. Er ist in unserer Gesellschaft Ursache für verzweifelte Strategien, die ihn aufhalten wollen (oder die sich mit ihm arrangieren wollen). Da wird auf der politisch-ökonomischen Bühne oder hinter dieser Bühne getrickst und geschoben; mit dem Klimawandel kann man auch belügen, betrügen und unsaubere Geschäfte machen. Das gehört auch in Filmen dargestellt.