michael bürkle

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Michael Bürkle

Richtiges. Und Falsches.

Die deutsche Links-Politikerin Sarah Wagenknecht und die Feministin und Verlegerin Alice Schwarzer haben ein „Manifest für den Frieden“ vorgelegt. Es enthält m.E. viel Richtiges und einiges Falsches. Über eine halbe Million Menschen hat dieses Manifest schon unterschrieben. Ich unterschreibe es nicht.

Das Manifest

Hier der Text des Manifests als Zitat eingerückt-kursiv, meine Einwände dazwischen.

Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine (10.2.2023). Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.

Ja, dieser Befund ist im Großen und Ganzen richtig. Wir sprechen von einer ungeheuren humanitären Katastrophe.

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?

Ja, auch der Befund, dass die ukrainische Bevölkerung von Russland überfallen worden ist, ist richtig. Und die Frage nach dem „wie lange noch?“ kann man schnell beantworten: möglichst sofort aufhören! Ja, die ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität; auch die Russinnen und Russen, die sich in Russland für Frieden einsetzen, brauchen übrigens unsere Solidarität.

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?

Ich habe die ukrainische Politik nie so verstanden, dass sie Russland „auf ganzer Linie besiegen“ will. Ich verstehe, dass sie fremde Truppen aus dem Land haben will. Hier wird mit einem Fragezeichen ein absichtliches Missverständnis erzeugt. Das absichtliche Missverständnis ist eine leider oft angewendete argumentative Strategie.

Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.

Sollen wir Atommächten gegenüber alles tolerieren? Ja, ein Atomkrieg wäre vielleicht der letzte. Aber schon mehrere Atommächte haben Kriege verloren. Etwa die USA in Afghanistan. Auch Russland auch in Afghanistan. Dass das so ist, liegt daran, dass das „Gleichgewicht des Schreckens“ aus dem 20. Jahrhundert noch nachwirkt. Jeder, der Atomwaffen einsetzt, muss befürchten, dass das ein Gegner auch tut und ein „letzter Krieg“ beginnt. Das ist das schreckliche am „Gleichgewicht des Schreckens“, dass wir dem gegenseitigen Schrecken vertrauen müssen.

Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!

Was heißt hier „den Krieg gewinnen“? Die Ukraine kann den Krieg gegen Russland sicher nicht gewinnen in dem Sinn, dass sie Russland erobert oder zerstört. Das ist m.W. auch nie Absicht gewesen. Aber sie kann den Krieg gewinnen in dem Sinn, dass sie den Überfall abwendet und zum status quo vor dem Überfall zurückkehrt. Hier ist wieder ein absichtliches Missverständnis beteiligt.

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Ja, das ist richtig. Ja, auch ich bin für Verhandlungen. Ich war schon kurz nach dem Beginn des Krieges für Verhandlungen. Beide Seiten sollen verhandeln. Ich habe auch schon vorgeschlagen worüber – und tue das unten wieder einmal.

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.

Schwierig. Bundeskanzler Scholz kann sich durchaus verteidigen, dass seine Politik der (eh extrem vorsichtigen) Unterstützung der Ukraine langfristig mehr Schaden vom deutschen Volk wendet als eine Einstellung dieser Unterstützung.

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.

Hier wird der Text ungenau. Geht es darum, weitere Waffenlieferungen zu verhindern? Also der Ukraine keine Waffen mehr zu liefern? Oder doch eine weitere Eskalation (Ausweitung) der Waffenlieferungen zu verhindern? Der Ukraine also nicht mehr Waffen als bisher zu liefern? Ich weiß nicht genau, was hier intendiert ist.

Ich denke, dass weiterhin Waffenlieferungen notwendig sind – wenn man einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen will. Wenn man der Ukraine keine Waffen mehr liefert, akzeptiert man den „brutalen Überfall“ und schreibt sein Zwischenergebnis fest.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht

Danke. Der Text enthält viel Richtiges, aber auch Falsches bzw. grob Missverständliches – und gefährliches Naives. Ich kann ihn so nicht unterschreiben. Waffenstillstand allein ermöglicht noch keine Verhandlungen auf Augenhöhe.

m.b.

Mein Vorschlag

1. Waffenstillstand. Sofort!
2. Rückzug aller Truppen in ihr jeweiliges Herkunftsland. Schnell!
3. Wiederherstellung der Ukraine in ihren Grenzen vor dem Krieg (und vor der Annexion der Krim)
4. Verhandlungen über eine Neutralität der Ukraine, etwa nach dem Muster Österreichs. (Kein NATO-Beitritt; EU-Beitritt möglich.)
5. Verhandlungen über eine Autonomie der russischsprachigen Bezirke Donezk, Luhansk und Krim nach dem Muster Südtirols.
6. Nach einigen Jahren der Abkühlung Volksabstimmungen in den autonomen Gebieten der Ukraine über die weitere Zugehörigkeit zur Ukraine.

Darüber muss man verhandeln können. Wir in Österreich können produktive, erfolgreiche Leitlinien beisteuern.

Schon mehrfach …

Ich habe so Ähnliches schon mehrfach vorgeschlagen und gefordert:

7.3.2022: „Kriegserklärung“
29.3.2022: Ein Friedensplan?
21.5.2022: Diplomatie – statt Krieg!
30.6.2022: „Kriegsmüde?“ – Ja, ich.
25.10.2022: Ukraine: mein Friedensplan


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