Matthias Gondan-Rochon hat gestern eine Rede gehalten
Gestern fand in Innsbruck um 17 Uhr eine Demonstration zum Klimawandel statt. Im Rahmen dieser Demo kam es zu einem student march; Matthias Gondan-Rochon hielt dabei folgende Rede:
Wir werden gebraucht.
Der Klimawandel oder besser, die Klimakatastrophe ist da, und sie tötet Menschen. Nur im Jahr 2022 hatten wir 60.000 hitzebedingte Todesfälle in Europa. Betroffen sind alte Menschen, betroffen sind Menschen mit Erkrankungen, betroffen sind Menschen, die im Freien arbeiten und Sport treiben, betroffen sind Frauen, betroffen sind Menschen mit wenig Geld. Zu den Todesfällen kommen noch Verletzungen bzw. gesundheitliche Schädigungen, die nicht tödlich enden.
Und jetzt schauen wir auf die Ergebnisse der EU-Wahl und stellen fest, in vielen Staaten haben diejenigen hinzugewonnen, die …
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- den Klimawandel komplett leugnen
- die Folgen der Klimakrise verharmlosen
- die Verantwortung für die Klimakrise wegschieben (China ist Schuld!)
- gerne auch die Lösung des Problems auf das Individuum abwälzen, so à la, auf jeden kommt es an. Als ob es den Planeten retten würde, wenn man sich noch eine fünfte Mülltonne in den Hof stellt.
- ineffektive Lösungen propagieren, was weiß ich, schön weiter Öl buddeln und dann irgendwo in Südamerika ein paar Bäume pflanzen oder anderer Kompensationskäse
- vom Thema ablenken, à la, Klimaschutz kostet uns Arbeitsplätze (was Quatsch ist, weil Klimaschutz schafft Arbeitsplätze)
- auf irgendwelche technologischen Lösungen verweisen, die es noch lange nicht gibt und vielleicht nie geben wird, irgendwelche CO2-Staubsauger
- kapitulieren. Gestern noch Klimawandelleugner, heute, „jetzt kann man eh nichts mehr machen“.
- Ausländer raus schreien und Österreich raus aus der EU
Was mich als „politisierten Psychologen“ beschäftigt: Warum wählen so viele Menschen gegen ihre ureigenen Interessen? Es ist ja nicht so, dass wir als Gesellschaft irgendwelche positiven Ergebnisse erwarten können. Die werden nicht dafür sorgen, dass die Mieten bezahlbar bleiben. Die werden nicht dafür sorgen, dass die Krankenhäuser technisch und personell gut ausgestattet sind. Die werden nicht dafür sorgen, dass alte Menschen auskömmliche Renten haben. Was läuft schief?
Ihr seht, Ihr werdet gebraucht. Wir werden gebraucht.
Wir sehen, dass die Politik die Klimaerwärmung nicht ernst nimmt und nicht wirksam eindämmt. Wir sehen auch, dass wenig unternommen wird, um Städte hitzefest zu machen, es werden viel zu wenig Überschwemmungsflächen für Flüsse geschaffen, insgesamt auch viel zu wenig Resilienzmaßnahmen ergriffen. Stattdessen lassen sich Politiker in Gummistiefeln fotografieren und „Landesvater“ spielen. Wie wird das erst wenn die Klimakrise eskaliert? Die Maßnahmen, die wir heute versäumen, werden morgen noch tiefgreifender ausfallen, dann in der Folge vielleicht noch mehr Opposition hervorbringen. Wenn erst einmal große Teile der Äquatorregion schlicht zu warm sind, um dort zu leben, werden die Menschen dort nicht geduldig dasitzen und auf den Tod warten. Es wird neue Kriege geben, Vertreibung, Flucht – Hochkonjunktur für die Rechtsextremen.
Ihr seht, Ihr werdet gebraucht. Wir werden gebraucht.
Wir werden auch für positive Erzählungen gebraucht, Utopien statt Dytopien. Die Welt könnte viel schöner sein, auch Österreich, wenn man z.B. aufs Hafelekar steigen könnte, ohne dass man die ganze Zeit die Autobahngeräusche hört. Wenn der Himmel über Tirol nicht die ganze Zeit von Kondensstreifen zugemalt wäre. Wenn die Menschen auf dem Land ordentlichen öffentlichen Verkehr hätten. Wir wären auch gesünder, wenn wir nicht jeden halben Kilometer mit dem Auto fahren würden. Das sind die Geschichten, die wir unseren Kindern erzählen werden, und wir werden ihnen erzählen: Wir waren dabei, wir waren Teil dieses Umbaus. Ich bin nicht naiv. Es wird ungemütlich werden. Selbst eine „nur“ 2° wärmere Welt wird ungemütlich. Das ist keine sauber aufgeräumte Solarzellen-Siedlung, wo irgendwelche Hipster mit dem Lastenrad ihre Kinder zum Baby-Yoga bringen.
Ihr seht, Ihr werdet gebraucht. Wir werden gebraucht.
Die Klimakrise wird uns noch lange beschäftigen. Aber Ihr seid Teil der Lösung, wir alle sind Teil dieser lebenswichtigen gesellschaftlichen Veränderung. Wir werden gebraucht.
Aus meiner Sicht ist dem nichts hinzuzufügen. Ich danke Matthias Gondan-Rochon, dem Universitätsprofessor für Quantitative Methoden am Inst. f. Psychologie der Uni Innsbruck, für diese Rede, für seine Erlaubnis sie hier abzudrucken und für seinen Einsatz.