Die Frage aus dem Forum
Heute traf ich in einem Forum auf die Frage eines guten Bekannten. Er fragte:
Wer kann mir das psychologisch erklären. Die Wälder brennen, es gibt Dürre und Starkregen. Aber „Diese Länder erhöhen (!) das Tempolimit auf Autobahnen“
Er bezog sich damit auf einen Artikel in oe24: „Diese Länder erhöhen (!) das Tempolimit auf Autobahnen“. Den hatte ich noch nicht gelesen. Ich lese manche Medien erst, wenn ich Schmutzzulage bekomme. Sonst tu ich mir das nicht an.
Zunächst ist festzustellen: der Artikel bezieht sich auf Italien und Tschechien. Er enthält ganz am Anfang einen sachlichen Fehler, wenn er den italienischen Verkehrsminister Salvini für 30 hält. Das wär der vielleicht gerne, aber er ist 50. Wenn in solchen banalen Dingen schon Fehler passieren: wie wird das erst bei den komplexeren sein? – frage ich mich da.
Dann: bereits im Rubrum gibt der Artikel zu, dass es einen „aktuellen Trend Richtung niedrigere Tempolimits“ gebe. Das stimmt. Immer mehr Menschen stimmen so einer Forderung zu. Und es heißt, dass Italien und Tschechien „gegen den Strom“ fahren. Ja: wenn die in Italien und Tschechien höhere Geschwindigkeiten auf Autobahnen zulassen wollen, schwimmen sie gegen den Strom; genau.
Für Italien meint der Artikel, dass es noch „offen“ sei, wann „der Vorschlag auf das politische Parkett gehievt“ werde. Ein schönes Bild: es deutet an, wie schwer das für das italienische Parlament werden könnte. Aber in Tschechien sei die Sache durch, da dürfe man „auf neu sanierten (aktuell lediglich 50 Kilometer)“ Autobahnabschnitten 150 „brettern“. Da geht es dann offensichtlich nicht mehr um „fahren“.
Also: die Sache ist noch gar nicht durch. Nicht in Italien und in Tschechien nur marginal. Das ist Journalismus Modell „oe24“.
Meine schnelle Antwort
Ich hatte eine parat. Ich schrieb:
Lieber …, das ist „einfach“. Es gibt eine kurze Version (für hier) und eine lange (für meinen Blog). Die kurze:
Das ist der reine Egoismus gepaart mit Populismus. Zunächst Egoismus: wenn ich 130 oder 150 fahren darf, dann bin ich etwas schneller am Ziel und schnelles Fahren erzeugt ein Gefühl der Macht bzw. „Potenz“. Außerdem trägt mein persönlicher 150er praktisch nichts zum Klimawandel bei. Was die anderen tun, ist mir wurscht.
Populismus: indem wir 150 erlauben, holen wir uns die Stimmen der (vielen) Dummen, die glauben, dass sie mit 150 schneller und potenter sind.
Zugegeben: etwas einfach auf die populär dargestellte „Durchschnittspsyche“ eines männlichen Wesens abgestellt, aber ich glaube schon, dass das nahe an die Realität herankommt. Ich bekam auch schnell einen Daumen👍dafür.
Die etwas ausführlichere Antwort
Da ist zunächst der Kontext. Ich habe oben klar gemacht, dass der Zeitungsbericht in seiner Darstellung allenfalls zweitklassig ist. Er ist auch kein Bericht: ich halte ihn für den Versuch, gegen eine Geschwindigkeitsreduktion auf 100 auf Autobahnen zu „argumentieren“ – was schwierig ist, weil es keine wirklichen Argumente dafür gibt. Es entsteht auch kein Argument; es entsteht bloß ein Verweis auf mögliche Veränderungen in zwei Nachbarstaaten. In der weiteren Diskussion im Forum hab ich dann sogar geschrieben, dass ich glaube, dass „diese ‚Berichterstattung‘ ein bezahlter Artikel der Auto-Lobby“ sei; ich könne das zwar nur unterstellen und nicht beweisen. Aber jedenfalls wird hier nicht nur über Politik berichtet, sondern es soll Politik gemacht werden.
Dass Geschwindigkeit mit (vor allem) männlicher Psyche und Machtvorstellung sehr viel zu tun hat, muss – glaube ich – nicht bewiesen werden; dazu gibt es zu viel Evidenz. Rennfahrer in Formel 1 und im Rallyesport und bei privaten Rennen mit Privatautos auf öffentlichen Straßen: das betrifft praktisch ausschließlich Männer und ist offensichtlich ein Ergebnis einiger Erziehungsmuster in unserer Gesellschaft. (Es hängt nicht am Y-Chromosom; keineswegs alle Männer haben diesen Vogel.)
Man braucht allerdings nicht nur den Geschwindigkeits-Vogel, man braucht auch veritablen Egoismus dazu. Man muss in der Lage sein, gesellschaftliche Notwendigkeiten zugunsten des eigenen Vergnügens schlicht auszublenden. Ja, viele Männer schaffen das – sie werden zum „ICH“ erzogen; Frauen tun sich da – grosso modo – deutlich schwerer; ihre Erziehung kennt noch ein relativ präsentes „wir“.
Und dann braucht es noch den Populismus, der glaubt, diese dummen Menschen – tut mir leid, ich kanns nicht anders sehen – bei Wahlen als Stimmen abholen zu können. Ich bin mir da gar nicht sicher, wie gut das funktioniert. Vielleicht irren sich die Populisten – sie sind ja auch nur Menschen. (Ja, das sind sie; das muss man so sehen.)
Ich meine, die Idee, Geschwindigkeiten zu erhöhen, stammt aus einem simpel gestrickten Populismus, der einer gewissen Wählerschicht ermöglichen will „Macht“ oder „Potenz“ zu simulieren. Außerdem gehört zum Populismus, dass er je gar keine Probleme lösen will; er will Problemen populär ausweichen. Er will lediglich Wahlergebnisse optimieren: die der jeweils nächsten Wahl. Weiter will der Populismus gar nicht denken.
Wie gut das funktioniert, weiß ich nicht. Man wird sehen. Es kann sein, dass die Klimaänderungen so schnell werden, dass das den Geschwindigkeitsrausch einiger weniger Beschränkter mehr als befriedigt. Dass der Klimawandel auf die Überholspur geht und die Salvinis, Nehammers, Wittings staunend im Vergessen zurücklässt. Aber einstweilen stehen sie der Vernunft noch im Weg.
[…] mir muss es röhren.“ Darüber spreche auch ich, wenn ich erkläre, wie und warum Länder wie Tschechien und Italien überlegen, Tempo 150 auf Autobahnen […]