… ein 16 Jahre altes Dokument, das in meinen Leben eine wichtige und lustige Rolle gespielt hat …
1. Das paper
ein Positionspapier aus der Lehrerfortbildung …
hierarchisches Projektmanagement |
anarchisches |
Auftraggeber definiert einen Auftrag |
Individuum [oder Gruppe] erkennt eine Notwendigkeit / eine Chance |
Auftraggeber sucht sich bzw. |
Prinzip der freien Assoziation: Bildung einer Gruppe durch Überzeugung |
Kerngruppe übernimmt |
Prinzip der Verantwortung zu ungeteilter Hand bei allen Mitarbeitenden |
Kerngruppe delegiert Teilaufgaben |
Integration Interessierter |
klare, statische |
Vermittlung von Kompetenzen an alle, die daran interessiert sind; dynamischer Austausch von Kompetenzen und Rollen |
Kontrolle durch Kerngruppe bzw. Auftraggeber |
gegenseitiges Feedback |
Instanzen |
direkte, symmetrische Kommunikation zwischen allen Mitgliedern |
Spezialisierung und Arbeitsteilung nach Notwendigkeiten |
Spezialisierung und Arbeitsteilung nach Begabungen |
Motivationsworkshops und Leistungsanreize |
Motivation |
Dienstanweisungen |
Gruppenbeschlüsse |
Minimierung von Verwaltungszeit |
Minimierung von Unklarheit und Uninformiertheit |
Vorteil: Leistungen in leitender Funktion werden in unserer Gesellschaft anerkannt und belohnt |
Nachteil: Gefahr der Selbstausbeutung; Leistungen aus Motivation werden als selbstverständlich angenommen |
Vorteil: Kompatibilität mit wesentlichen Teilen unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur |
Nachteil: In explizit bzw. formal hierarchischen Strukturen oft kaum bzw. nur informell durchführbar |
– – –
2. Die Entstehung
Wie kommt es zu so einer Gegenüberstellung?
In einer Lehrerfortbildung – es muss 1999 gewesen sein – hatten wir einen workshop zum Thema „Projektmanagement“. Ziel war offensichtlich, in die Lehrerfortbildung Elemente der Managementausbildung zu integrieren. Ich hab am workshop selbst nicht teilgenommen.
Bei der Schlusspräsentation aller workshops demonstrierte die Projektmanagement-Gruppe, was sie erarbeitet hatte. Auf der Bühne stand der workshop-Leiter und teilte mit, dass ein Projekt einen Auftraggeber brauche. Er stelle jetzt diesen dar und zeigte ein Taferl mit einem „A“. Dazu brauche ein Projekt eine „Kerngruppe“; die bildeten die TeilnehmerInnen des workshops; sie kamen auf die Bühne und gruppierten sich sitzend um den Auftraggeber und bekamen Taferln mit einem „K“. Aber es brauche auch noch Subgruppen; da wurden LehrerInnen aus dem Publikum geholt und um die Ks und den A gruppiert; außerdem bekamen sie Taferln mit einem „S“ in die Hand. Schluss der Präsentation.
Nachfrage eines Kollegen / einer Kollegin (ich weiß nicht mehr wer), was die Subgruppen zu tun hätten. Antwort von der Bühne: „Die bekommen Aufträge“. Andächtiges Schweigen.
Ich hab das Ganze spontan für einen ziemlichen Schwachsinn gehalten und hab mich dann gemeldet. Ich habe mich für die Information und die Präsentation bedankt und das als gutes Beispiel für „hierarchisches Projektmanagement“ bezeichnet. Außerdem habe ich für die nächste Lehrerfortbildung einen workshop zu „anarchischem Projektmanagement“ angekündigt und angeboten, den selbst abzuhalten: ziemlicher Wirbel unter den KollegInnen; es fielen Sätze wie „Davon haben wir eh schon genug“.
Auf der Heimfahrt nach der Lehrerfortbildung sind mir die wesentlichen Elemente der Gegenüberstellung eingefallen; zuhause hab ichs dann zusammengeschrieben … und abgelegt. Ich wusste nicht, was ich damit tun sollte.
3. Die Anwendung!
Im Jahr darauf schrieben die Tiroler Grünen das erste Mal in ihrer Geschichte die Stelle eines Landesgeschäftsführers aus. Der Job interessierte mich und ich bewarb mich – und legte die obige Gegenüberstellung als Unterlage meiner Bewerbung bei! Ich hab das dann im Grünen Hearing auch noch erläutert. Die Tiroler Grünen haben mich darauf trotzdem (!!!, oder deswegen?) zu ihrem ersten Geschäftsführer gewählt.
Sie sind damit insgesamt nicht ganz schlecht gefahren. Wir haben bei der Nationalratswahl 2002 (nach „Knittelfeld“) in Tirol 11,6% erzielt (das war damals viel!) und bei der Landtagswahl 2003 mit 15,6% ein Rekordergebnis in Österreich, das fast 10 Jahre lang (bis Salzburg 2013) nicht übertroffen wurde. Außerdem war nach meiner Amtszeit die Partei schuldenfrei, technisch gut ausgestattet und strukturell gut organisiert.
Tatsächlich habe ich das Ideal eines anarchischen Managements keineswegs immer erreicht, aber doch immer angestrebt. Anarchie im Sinne von Herrschaftslosigkeit (oder nach Immanuel Kant: „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“) ist aus meiner Sicht erstrebenswert und keineswegs identisch mit Chaos und das gerade Gegenteil von Gewalt.
Veröffentlicht wurde das noch nie; erst jetzt.
Diese Gegenüberstellung kenne ich auch noch – damit hast du uns in der GAJ einmal auf die Reise in Richtung Anarchie geschickt 🙂
ah ja; hatte ich ganz vergessen. war ein sehr netter abend damals.
der landesgeschäftsführer als verführer der jugend! das ist ja fast schon sokratisch. ich hoff, mir bleibt der schierlingsbecher erspart.
m.b.
[…] Lit.: Bürkle, Michael (2015): Projektmanagement: hierarchisch vs. anarchisch. […]