Politische Prokrastination

Kennen Sie das? Man hätte eine wichtige Arbeit zu erledigen, einen wichtigen Termin zu vereinbaren. Aber man tut alles andere: das geht vom Geschirr spülen über das Ausmalen der Wohnung zum Umgraben der Gartenbeete – nur damit man sich nicht mit der Seminararbeit bei der Frau Professorin, dem Kontrolltermin beim Arzt auseinandersetzen muss. Man nennt das Prokrastination oder Aufschieberitis.

Laut Wikipedia ist das eine pathologische Störung. Ein notwendiger Akt der Reife, des Reifens wäre es, solche Störungen wenigstens halbwegs in den Griff zu bekommen.

Das gibt es nicht nur als persönlich-individuellen Sachverhalt. Auch Regierungen, auch Staaten prokrastinieren und tun alles mögliche Andere, damit sie sich nicht den wichtigen Fragen stellen müssen.

Österreich

In Österreich hat die schwarztürkis-grüne Bundesregierung eine „ökosoziale Steuerreform“ in die Wege geleitet. Fast alle kriegen irgendwie mehr: die CO2-Bepreisung mittels Treibstoiffpreisen wird über „Klimaboni“ meistens mehr als ausgeglichen. Alle bekommen „mehr“: die kleinen Einkommen ein wenig mehr, die großen Einkommen viel mehr. Der ökologische Lenkungseffekt ist nicht vorhanden bis gering. Ministerin Gewessler (Grüne) hofft immerhin, dass sich die Menschen über Verhaltensänderungen „mehr vom Klimabonus“ erhalten. Ökologische NGOs halten die CO2-Bepreisung für viel zu gering.

Es ist eine schwarztürkis-grüne Steuerreform. Die Schwarztürkisen kümmern sich um ihre wohlhabend-bäuerliche Wählerklientel; die Grünen können immerhin verzeichnen, dass die CO2-Bepreisung wenigstens einmal im System verankert ist. Die CO2-Preise sollen mit der Zeit ja steigen.

Das ist Prokrastination. Man tut etwas, indem man den Anschein erweckt, etwas zu tun. Das sicher nicht reichen wird und das keinen Beitrag zu einer Problemlösung leisten wird. Wir werden mit der schwarztürkis-grünen Steuerreform das Klima nicht schützen können. Wir tun nur so.

Deutschland

In Deutschland geht das noch leichter. Die „großen Probleme unserer Zeit“ werden bestenfalls ab und zu erwähnt – und dabei bleibt es auch. Politische Themen sind sie nicht. Worüber spricht man statt dessen? Man spricht über …

Wer sondiert mit wem? Hat Laschet noch eine Chance auf Jamaika? Können die Grünen mit der FDP und kann die FDP mit den Grünen? Was meint die SPD? Wird Scholz Kanzler? Wer wird Finanzminister – Habeck oder Lindner? Bis wann steht die neue Regierung – Weihnachten? Hält Merkel noch die nächste Neujahrsansprache?

Auch das ist Prokrastination und bringt weder Deutschland noch die EU weiter. Man schiebt die Probleme vor sich her und beschäftigt sich und die Bürger*innen mit Farb- und Personalspielchen.