michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Politik und Recht …

Kant vs. Kickl

Und Immanuel Kant sprach:

Das Recht muss nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Rechte angepasst werden. Alle Politik muss ihr Knie vor dem Rechte beugen.

Doch Herbert Kickl meinte:

Das Recht hat der Politik zu folgen, und nicht die Politik dem Recht.

Also: Wer folgt wem? Folgt das Recht der Politik? Oder die Politik dem Recht? Folgen wir Kant oder Kickl?

Ich war im Rahmen einer politischen Fortbildung vor Kurzem in einem Rollenspiel aufgefordert, die Kickl’sche Position zu vertreten: Das Recht folgt der Politik. Es ist mir offenbar überzeugend gelungen und hat sogar Spaß gemacht. Ich hab behauptet, dass die Politik die Gesetze machen muss, angefangen von der Straßenverkehrsordnung, und dass diese Gesetze dann „das Recht“ sind, das den Beschlüssen der Politik folgt. Auch Menschenrechte seien politisch bestimmt; die sähen in anderen Kulturen und Zivilisationen, also anderen politischen Systemen etwas anders aus als bei uns. Und natürlich bestimmen auch politische Beschlüsse von Gesetzen, was z.B. als Korruption zu werten ist und was nicht.

Was meint Kant?

Kant sagt, dass es Recht gibt und dass eine Politik, die gegen das geltende Recht verstößt, nicht akzeptabel ist. Die Politik hat das „Knie zu beugen“. Auch die Politik muss bzw. die Politiker müssen sich an Gesetze halten.

Kant spricht hier auch nicht von „folgen“; das Verb folgen ist mehrdeutig und hier missverständlich. „A folgt B“: das kann temporal sein: Nach B kommt A. Das kann auch kausal sein. Weil B ist, muss auch A sein. A folgt aus B. Das kann sogar logisch sein. Wenn B, dann A. Aus B folgt logisch A. Aber Kant spricht gar nicht von folgen. Kant ist klug.

Kant hat natürlich recht. Die Politik muss sich an die Gesetze halten; sie steht nicht über den Gesetzen, wie Herrscher einst über den Gesetzen für das „gemeine Volk“ gestanden sind. Das meint Kant und er hat recht. Dem Recht folgt die Politik; die Politik hat dem Recht zu gehorchen. Klar! Logo!

Was meint Kickl?

Ich weiß es nicht genau. Vielleicht meint er das, was ich meinen Fortbildungskolleginnen verbraten habe: dass die Politik Gesetze machen müsse, die sind dann „das Recht“, also folgt das Recht der Politik.

Damit ist aber nicht gemeint, dass die Politiker sich nicht an die Gesetze halten müssen. Aber sie können die Gesetze verändern, dann ändert sich das Recht und unter Umständen sind nach einer Gesetzesänderung Dinge erlaubt, die vorher verboten waren oder Dinge verboten, die vorher erlaubt waren. Man kann das bei Trump sehen. Der wird Präsident und kann mit seiner Mehrheit im Parlament Gesetze so ändern, dass er für diverse Untaten nicht mehr belangt werden kann. Das Recht folgt hier der Politik; dem autoritären Staat ist Tür & Tor geöffnet.

Wenn Kickl davon spricht, dass das Recht der Politik folgt, tut er das, um seinen Spielraum als Politiker über die Gesetzeslage hinaus zu erweitern. Das ist natürlich illegitim; das ist falsch. Es geht ihm darum, z.B. die Menschenrechte durch politisch beschlossene Maßnahmen „anzupassen“. Auch die Menschenrechte müssten – laut Kickl – der Politik folgen. Die Politiker bestimmen dann z.B., was wann wie als Menschenrecht gilt. So hätte das Kickl gern.

Aber das darf nicht sein; dann ist das Recht der Willkür der Politik(er) ausgesetzt. Was Kickl will, ist der autoritäre Staat – wo die Politik als „die Autorität“ das Recht bestimmt.

Und wie ist das jetzt wirklich?

Naja: „Politik“ im weitesten Sinn als Organisation der Gemeinschaft schafft für die Gemeinschaft (die Sippe, den Stamm, den Staat) Gesetze. Insofern schaffen sich menschliche Gemeinschaften ein Recht – zunächst ohne Politik im engeren Sinn. Außer wir nehmen an, dass es ein „Naturrecht“ gibt, das in jedem Menschen steckt und das sein Verhalten – und also seine „Politik“ – an sich schon bestimmt.

Auf der Basis der Gesetze, des Rechts wird dann das soziale Verhalten geregelt. Das Recht bestimmt so „die Politik“. Wenn aber erkannt wird, dass sich das soziale Verhalten geändert hat und es andere Gesetze braucht, kann man gemeinsam die Gesetze / das Recht ändern. Dann „folgt“ das Recht der Politik. Aber dabei und danach müssen sich auch die Politiker an die Gesetze halten: die Politik folgt auch dann dem Recht. Bis eine neue Gesetzesänderung nötig ist.

So sind Recht und Politik wie zwei Füße. Die Gesellschaft geht vorwärts, indem sie den einen Fuß voranstellt und dann den anderen und dann den einen und dann den anderen … Recht und Politik haben ein dialektisches Verhältnis: sie sind These und Antithese und die Synthese besteht im Fortschritt. Sie folgen aufeinander.

Manchmal gibt es in diesem Prozess Brüche. Plötzlich ändert sich die Politik. Oder plötzlich ändert sich das Recht. Das kann man Revolution nennen, oder Rebellion, oder Krieg. Dann „stolpert“ die Menschheit, unter Umständen nach vorne.

Was nie gemeint ist: dass sich die Politiker das Recht „zurecht beugen“ können sollen. Wenn es notwendig ist, Gesetze zu ändern, hat das nach den dafür vorgesehenen Regeln zu erfolgen – und auf keinen Fall rückwirkend. Insofern hat das Recht nie der Politik zu folgen.

Noch ein Bild

Vielleicht besser als das Bild der 2 Füße, die beim Gehen abwechselnd bewegt werden, ist die Analogie von Standbein vs. Spielbein. Da ist das Recht das Standbein; das braucht man; von dem geht man aus. Man kann mit dem Spielbein (der Politik) einen neuen „Standpunkt“ suchen, wenn es nötig ist. Das geht aber nicht ohne das Standbein.

Zwei Missverständnisse

Ich glaube, es wird hier mit insgesamt 2 Missverständnissen gearbeitet. Das eine dreht sich um das Verb folgen, das andere um die Politik. Das Missverständnis um folgen habe ich eingangs kurz behandelt; das Missverständnis um die Politik besteht jedenfalls darin, dass mit ihr nicht „die Politiker“ gemeint sind, sondern die Vorgänge, die sich die Gemeinschaft für die Veränderung ihrer Regeln überlegt hat.

Sprache vs. Denken

Das Verhältnis von Recht und Politik ist m.E. eng verwandt mit dem von Sprache und Denken. Die berühmte Sapir-Whorf-Hypothese besagt, dass Sprache das Denken beeinflusst, dass also das Denken sozusagen der Sprache folgt. Das ist so vielleicht nicht wirklich falsch, aber m.E. unvollständig. Sprache und Denken beeinflussen einander und entwickeln sich miteinander: Schritt für Schritt. Ich denke, dass auch Sprache und Denken dialektisch miteinander verbunden sind: als These und Antithese; das eine geht nicht ohne das andere.


Links:

Die Presse: https://www.diepresse.com/5566984/asyl-recht-muss-politik-folgen-nicht-politik-dem-recht

Wiener Zeitung: https://www.wienerzeitung.at/h/kickl-versus-kant

Der Tagesanzeiger: https://www.tagesanzeiger.ch/das-recht-hat-der-politik-zu-folgen-und-nicht-die-politik-dem-recht-946627436098

Kickl im Parlament: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/NRSITZ/117/A_-_15_00_59_00250435.html


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