Am 29. April, ein Freitag, war mein letzter Arbeitstag; am Samstag 30. April war mein letzter Dienst-Tag; seit Sonntag, 1. Mai, Staatsfeiertag & „Tag der Arbeit“ bin ich in Pension. „Mein Lehrkörper“: meine Kolleginnen und Kollegen, haben mich ganz besonders verabschiedet. Ganz besonders …
Der 1. Teil: die Sänfte
Für Freitag 29.4. nachmittags lud mich die Personalvetretung zu einer „kleinen Abschiedsfeier“ ein; ich solle am Nachmittag anwesend sein. War ich. Ich fand auf meinem Schreibtisch noch einen Briefumschlag: ein Schreiben der Landesbildungsdirektion, das eine Ernennungsurkunde meiner Nachfolgerin als Direktorin zur Oberstudienrätin enthielt, ebenso eine Ernennungsurkunde zum Oberstudienrat für mich und ein Begleitschreiben, in dem man gratulierte und mitteilte, dass man leider niemanden zur Überreichung der Urkunden schicken könne.
Es ging die Tür auf und 4 Kollegen betraten mit einer „Sänfte“ die Direktion: einem Sessel, an dem auf beiden Seiten Tragestangen befestigt waren. Ich wurde aufgefordert, Platz zu nehmen – die beiden Ernennungsurkunden nahm ich mit – und die Kollegen trugen mich aus der Direktion hinaus, den langen Gang hinunter, die Treppe hinab bis in den Hof. Dort war bereits ein Buffet vorbereitet; durch ein Spalier an Kolleginnen und Kollegen wurde ich ins Zentrum der „Arena“ getragen.
(29.4.22: Mein „Abgang“ aus der Direktion.)
Ich hielt noch eine sehr kurze Ansprache, in der ich meine Nachfolgerin zur Oberstudienrätin ernannte und ihr die Ernennungsurkunde überreichte; darauf überreichte ich meine Ernennungsurkunde vor vielen Zeug*innen noch mir selbst und ernannte mich damit zum Oberstudienrat. Dann gab ich das Buffet frei.
Es war ein sehr feines, nettes kleines Festl mit Köstlichkeiten vom Buffet. Mit einem sehr symbolischen „Abgang“, für den ich keinen Schritt machen musste. Ich bin nicht gegangen.
Doch das sei noch nicht alles, versicherte man mir.
Der 2. Teil: die Haberer
Am Donnerstag, 8. Juli, fand bereits ohne mich die Schlusskonferenz der Schule statt. Ich war aber auf danach eingeladen. Mir war klar: auch Kollegin C.R. ging in Pension und würde verabschiedet werden.
Der Abschied von C.R. fand auch würdig statt: ein Lied war umgedichtet worden, die Englisch-Kolleginnen hatten was vorbereitet, die Deutsch-Kolleginnen ebenso. Kollegin C.R. hatte sehr viele junge Kolleginnen und Kollegen sanft und nachhaltig in den Lehrberuf eingeführt, ganz ohne offizielle Funktionszuweisung.
Dann wurde ich auf die Bühne gebeten. Zunächst bekam ich von zahlreichen Kolleg*innen Goldmedaillen (natürlich aus Karton) mit entsprechenden Danke-Notizen umgehängt – Grundtenor in verschiedenen Schattierungen: „dafür, dass du unser Selbsvertrauen gestärkt hast“. Dann formierte sich ein Chor und sang …
Der Chor sang einen der letzten Hits des Großen Willi Resetarits (gemeinsam mit Ernst Molden): Awarakadawara. Aber der Text war doch stark adaptiert: Awarakadawara ist an sich ein düsterer Text, in dem ein Wiener Sandler davon singt, dass er seine „Haberer“ sucht und nicht findet und dass er alleine im Regen steht. Im Refrain heißt es:
Awarakadawara, wo san meine Hawara,
wo san meine Freind, wann die Sunn ned scheint?
Hokuspokus fidibus: i foar mitn schwoazn Autobus,
wo san die Kollegen wann i aussa muass in Regn?
Die Fragen finden im Originaltext keine positive Antwort. Der, der da aus dem Bus muss, wandert durch mehrere Wiener Bezirke und bleibt doch alleine im Regen.
Kollegin C.R. hatte dem Text aber einen wesentlichen Spin verliehen, der den düsteren Song zu einer Hymne an ein funktionierendes Team umformulierte. In der Version für mich wurde der Refrain zu …
Awarakadawara, mia san deine Hawara,
mia san deine Freind, wann die Sunn ned scheint.
Hokuspokus fidibus: mia woartn scho beim Autobus,
mia san die Kollegen, dia di aussa holn im Regn.
Die Strophen zwischen den Refrains hatten Bezug zu meiner Tätigkeit als Direktor: gegenüber der LBD, im Lockdown usw.
Ich habe am selben Tag noch hinterbracht bekommen, wer diesen Geniestreich verfasst hatte: es war C.R. Ich bedankte mich bei ihr per Mail sehr herzlich und ein paar Tage später auch noch beim gesamten Kollegium:
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mich noch einmal ausdrücklich für die extrem warmherzigen und wertschätzenden Verabschiedungen bedanken. Wunderbar!
Mir ist hinterbracht worden, dass für die Textversion des Resetarits-Molden-Songs Awarakadawara C. zuständig sei. Ich habe mich bei ihr bereits ausdrücklich für diesen Text bedankt. Er ist ein Geniestreich; er ist nicht so sehr ein Loblied auf einen Direktor, sondern – in der gewählten Variante des Refrains – eine Hymne an die Hawara, die „Freind san“, „wann de Sunn ned scheint“ und die Kollegen sind, die schon beim Bus warten und das „ich“, das in den Strophen Personenbezug bekommt, aus dem Regen abholen. C. hat da aus einer an sich recht düsteren Textvorlage eine Hymne an ein Team gemacht, das niemanden im Regen stehen lässt – völlig unabhängig, welche Teamfunktion er oder sie hat. Dass es als Lied für einen scheidenden Direktor gesungen wird, holt diesen noch einmal in das Team herein: hokuspokus fidibus. Im Prinzip ist es eine Hymne an Euch selbst, an diesen „Lehrkörper“, der mich durch 6 Jahre Direktion getragen hat (und den auch ich meinerseits nie im Regen stehen lassen wollte). Ihr habt mir dieses Lebensgefühl als Direktor und Teammitglied noch einmal zusammengefasst – vielen Dank! Und ich wünsche Euch, dass ihr mir und Euch selbst in diesem Sinn „Hawara“ bleibt: „Freind, wann de Sunn ned scheint“.
Alles Liebe vom Palmenstrand
michaelPS: Dazu passt noch ein „Kompliment durch Zuschreibung einer Unfähigkeit“, das mir A. gemacht hat. Auf meine etwas kokette Frage, ob zum Sattelberg auch schulfremde Personen mitkommen dürfen, hat sie mich angesehen und gesagt: „Du – wirst es nie schaffen, eine schulfremde Person zu werden.“
mb
Das stimmt alles so: mein Bild von der Tätigkeit eines Direktors war immer das eines Mitspielers im Team „mit einer Sonderfunktion“. Ich habe mich – mit ganz wenigen Ausnahmen – vom Team meines Lehrkörpers durch 6 Jahre Direktion „getragen“ gefühlt, und es ist mir offenbar gelungen, dieses Gefühl auch an die Kolleginnen und Kollegen zurückzugeben – obwohl eine gewisse „Verweigerung“ der Rolle des „Chefs“/ „Vorgesetzten“ / „Kommandanten“ anfangs durchaus gewöhnungsbedürftig war. Offenbar wurde niemand „im Regen stehen gelassen“. Dass es um Freind geht, „wann de Sunn ned scheint“, ist vor allem am Abendgymnasium sehr bezeichnend und umfassend, denn am Abend scheint die Sonne ja nicht mehr wirklich.
3. Das Interview
Als letzten Punkt meiner Verabschiedung präsentierten noch Kollege H. und Kollegin I. 15 Minuten Zusammenschnitt eines fast 2-stündigen Interviews, das sie mit mir am 28.4. geführt hatten. Beide sind erfahren in oral history und extrem geschickte Fragende, und sie haben aus mir Dinge herausgelockt, die ich nicht einfach so erzählen würde. Es war sogar für mich spannend zuzuhören, obwohl ich jedes Wort, das zu hören war, ja selbst gesprochen hatte (und meine eigene Mikrofon-Stimme nicht mag). Offensichtlich gelangweilt haben die 15 Minuten, die in etwa meine Laufbahn bis zur leitenden Tätigkeit am Abendgym zusammenfassten, niemanden. Ich habe dann noch das Interview auf DVD bekommen; man kann sichs ansehen. Ich muss in diversen settings nur allzu vermessene hagiographische Überhöhungen vermeiden.
4. Zusammenfassung
Ich glaube ganz im Ernst, dass es uns allen am Abendgymnasium Innsbruck gemeinsam gelungen ist, in unseren speziellen Funktionen sehr viele Fähigkeiten zu entwickeln und damit zu einem weit über die Maßen ausgezeicheten Team heranzureifen. „Team“ hieß da nie „toll, ein anderer machts“. In diesem Team sind auch viele Führungskompetenzen vorhanden, auch bei jungen Kolleginnen oder Kollegen. Sehr oft habe ich bemerkt, dass Dinge, die anstanden und wichtig waren, scheinbar „von selbst“ bereits erledigt worden waren. Es gibt aber kein „von selbst“: da war immer wer dahinter.
Ich habe mehrere ausgezeichnete Teams in meiner Laufbahn erlebt, aber keines in dieser Größe (um die 50 Personen) und in dieser Vielfalt.
Die Schilderung deiner Verabschiedung läßt eigentlich nur den Schluß zu, dass du nicht subjektiv betrachtet „alles“ richtig gemacht hast, wie es in Tirol (leider) noch immer sehr üblich ist, sondern „nur“ objektiv betrachtet sehr vieles.
Aber genau damit hast du offenbar deinen Job weit besser gemacht als z.B. gewisse Ex-Landesräte den ihren.
hi,
„nur objektiv sehr vieles“: vielen dank dafür; sehr nett formuliert.
„alles richtig“ hab ich sicher nicht gemacht. mir tät vielleicht schon was einfallen, wenn ich nachdenk.
lg
m