„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“
Unter dem Titel „Der Populismus darf nicht triumphieren“ veröffentlicht der Standard gestern einen interessanten Gastkommentar. Die Autorin ist nicht irgendwer: Heidi Glück, PR-Beraterin, Kommunikationsexpertin und ehemalige Pressesprecherin von ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Sie sei auch „Kurz-nahe“ gewesen, kann man lesen. Dass Frau Glück einerseits ÖVP-nahe und andrerseits in ihrem Bereich Expertin ist, scheint unumstritten.
Desto interessanter ist ihr Kommentar.
Glück fordert von der Politikern*, den Menschen die Wahrheit über „das immer höher [werdende] Problemgebirge“ zu sagen. Die Wahrheit, zitiert Glück Ingeborg Bachmann, sei den Menschen zumutbar. Die Party sei vorbei: „Wir brauchen jemanden, der den Mut hat [das] zu sagen“. Statt dessen nehme der Populismus, das „Krebsübel der Krise“, zu.
„Die zumutbare Wahrheit aussprechen würde voraussetzen, dass alle politischen Akteure sich zur Ehrlichkeit bekennen. Doch das ist schlecht für das politische Geschäft“, meint Glück. Diese Analyse teile ich; auch ich habe den Eindruck, dass Wahrheitsvermeidung und kurzsichtiger Populismus „die jeweils nächste Wahlniederlage in Grenzen halten“ sollen.
Glück: „In der aktuellen Sturmflut von Problemen täte ein Umdenken not. Doch Vernunft scheint am Aussterben zu sein. Alle reden vom Umweltschutz, aber das Windrad am nächsten Hügel wird verhindert. Alle reden vom Aggressor Wladimir Putin, aber die Neutralität wird nicht einmal ernsthaft diskutiert. Alle reden von Eigenverantwortung, aber die Impfquote ist eine der geringsten in Europa. Seit Jahrzehnten wählen die Österreicherinnen und Österreicher meistens eine Politik der Reformverweigerung und des schuldenfinanzierten Wohlfahrtsstaates.“
Heidi Glück ist mittlerweile 60. Eine durchaus konservativ sozialisierte Kommunikationsexpertin erkennt spät eine „seit Jahrzehnten [betriebene] Politik der Reformverweigerung“. Ja, das stimmt. Nicht einig sind wir uns beim Wohlfahrtsstaat, den Glück als „schuldenfinanziert“ verunglimpft. Ich finde den Wohlfahrtsstaat weiterhin notwendig; ich würde ihn auf den Globus ausdehnen wollen, und mir ist klar, wer die Schulden bezahlen muss.
Einig sind wir bei den Feststellungen:
Die Party ist vorbei.
Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Zwei Populismen
Ich sehe zwei Sorten Populismus. Es gibt den politisch extremen, der den Menschen „einfache Lösungen“ einreden will, die keine sind. Das ist z.B. der xenophobe und rassistische Populismus der FPÖ oder der AfD, der den Menschen die „Ausländer“, die „Migranten“ als das Problem schlechthin einreden will. Das ist der Populismus einer FPÖ, die im Präsidentschaftswahlkampf „unser Österreich zurückholen“ will: als ob es einen Weg „zurück“ zu einem Zustand vor der Klimakatastrophe, der Pandemie, der Wirtschaftskrise, dem Ukrainekrieg gäbe.
Das ist der Populismus der „einfachen“, aber falschen „Lösungen“. Diesem Populismus ist die Wahrheit wurscht.
Es gibt auch den Populismus der Regierenden, die zwar die sich stellenden Probleme behandeln, aber sich nicht trauen, die wirklichen Ursachen und das wirkliche Ausmaß zu benennen und deshalb nur halbherzige, oberflächliche Lösungen zustandebringen. Die nicht klar machen, dass die Party vorbei und die Wahrheit zumutbar ist. Sie betreiben eine an konkreten Auswirkungen orientierte oberflächliche Politik, die die jeweils nächste Wahlniederlage in Grenzen halten soll. Das sind die Politiker*, die in Gummistiefeln beim Wegbaggern der Mure dabei stehen, aber nichts an den Ursachen des Klimawandels ändern wollen, weil das zu radikal ist und das die Menschen „noch nicht verstehen“.
Das ist der Populismus der halbherzigen, oberflächlichen, nicht an die Wurzeln des Problems gehenden Lösungen. Dieser Populismus kennt oder ahnt zumindest die Wahrheit, traut sich aber nicht.