„Ohne Ostern ist Weihnachten nur ein Kindergeburtstag“
sehr nett
Gestern haben wir eine nette – jedenfalls sehr nett gemeinte – Osterkarte bekommen:
Ich hab das lustig gefunden; die Irritation mit Weihnachten (das ja in gewissem Sinn durchaus eine Art Kindergeburtstag meint) war nett.
Auf der Rückseite dann der Text:
Klar ist Weihachten kein Kindergeburtstag. Außer der von Jesus. Doch was an Ostern geschah, stellt tatsächlich alles andere in den Schatten: Jesus starb, damit wir nicht mehr sterben müssen. So steht es in der Bibel (Johannes 11, 25-26). Und er ist vom Tod auferstanden, damit wir den Tod nicht mehr fürchten brauchen, sondern uns über ein ewiges Leben freuen können.
In diesem Sinne: Frohe Ostern!
Da werden in ein paar Zeilen zentrale Inhalte der christlichen „Heilslehre“ zusammengefasst. Wie praktisch!
Die Karte stammt von der „Stiftung Marburger Medien“, einer christlichen konfessionsübergreifenden Stiftung, die christliche Gemeinden und Organisationen bei der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Also eine Art christliche p.r.-Agentur.
aber im Ernst?
Was die Karte behauptet, hält keiner Überprüfung stand. Ja, Weihnachten feiert die Geburt eines sogenannten Kindes „Jesus“, aber wann und wo das gewesen sein soll, das liegt völlig im Dunkeln. Da gibt es nur Aufzeichnungen von Gerüchten, die frühestens in der Mitte des ersten Jahrhunderts entstanden sind. Es kann schon sein, dass irgendwann um das Jahr „null“ irgendwo in der Nähe von Bethlehem ein Kind geboren wurde, dessen Vater ein Tischler aus Nazareth war.
„Jesus starb, damit wir nicht mehr sterben müssen“. Wie soll das gehen? Müssen wir nicht alle sterben? Ich denke schon. Die Zellsysteme, die den menschlichen Körper ausmachen, haben immer ein Ablaufdatum. Aber das Christentum glaubt da offenbar an eine Art „Seele“, die unabhängig vom Körper überleben kann. Ich kann das nicht glauben: das ist eine nette Illusion, ein Wunschdenken, aber wenn, dann hat das nichts mit dem Tod eines „Jesus“ an einem Kreuz zu tun. Das ist doch hanebüchener Unsinn, dass einer – der „Sohn Gottes“ (!) – sterben musste, damit alle anderen – vergangene und zukünftige Menschen – nicht sterben müssen. Was für ein unsinniger „Handel“ wäre das? Und dann lehrt das Christentum, dass er gar nicht wirklich gestorben sei, sondern „auferstanden“. Also was jetzt?
Gibt es ein Leben nach dem Tod? Kommt drauf an, was man unter „Tod“ versteht. Wenn „Tod“ das Ende des Lebens ist, ist danach kein Leben mehr; so einfach ist das. Wenn „Tod“ der Übergang in irgendein anderes „Leben“ sein soll, ist er kein Ende. Sondern ein Übergang. Aber niemand weiß, welche Art von Übergang das sein soll; keine / keiner ist je zurückgekommen. Was wissen wir über das „Leben nach dem Tod“? Nichts! (Das meinte auch Werner Pirchner auf dem halben Doppelalbum!, ca. 40:00-40:20)
Beweis: „So steht es in der Bibel“. In der Bibel steht viel, auch viel Widersprüchliches. Auch Unsinniges und Falsches. Auch Weises, gebe ich gern zu. Die 4 Evangelien z.B. sind an markanten Stellen verschieden, obwohl 3 davon (Markus, Matthäus, Lukas) zu guten Teilen von einander abgeschrieben haben. Aber eben mit einigen mehr oder minder absichtlichen („publikumsbedingten“) Kopierfehlern. Und mehrere Jahrzehnte nach den Ereignissen, die sie beschreiben. Wir wissen alle, was jahrzehntelange mündliche Überlieferungen bewirken: Fehler, Widersprüche, Auslassungen, Erfindungen. Kein Mensch weiß, was um das Jahr 30 herum da wirklich passiert ist. Und historisch verlässliche Berichte gibt es keinen einzigen, auch nicht den von Flavius Josephus.
„Er“ sei auferstanden. Das ist nicht möglich, wenn „Er“ vorher tot war. Aber „auferstanden“ sei er mit einer Art Zweck oder Absicht: „damit wir den Tod nicht mehr fürchten brauchen“. Schrecklich! Aus meiner Sicht würde ich nichts mehr fürchten als ein „ewiges Leben“; nicht sterben können muss furchtbar sein, zum Fürchten! Die Hölle! (Ganz abgesehen davon, dass es physikalisch-biologisch unmöglich ist.) Man kann das beim irischen Aufklärer und Satiriker Jonathan Swift im Rahmen der dritten Reise Gullivers nachlesen: die Struldburgs auf der Insel Luggnagg leben ewig und haben ihre Probleme damit:
Die meisten Struldbrugs werden traurig, wenn sie das Alter von dreißig Jahren überschritten haben; mit achtzig beneiden sie diejenigen, die sterben können; mit zweihundert Jahren können sie, da sich die Sprache ständig verändert, mit den Sterblichen kein Gespräch mehr führen […]
eine andere Sicht auf den Tod
Es gibt eine Interpretation des Sterbens, die eher jüdisch ist und ein ewiges Leben dadurch annimmt, dass man in seinen Wirkungen immer erhalten bleibt. Ja, mag sein. Einstein ist nicht wirklich tot; seine Relativitätstheorie erhält ihn am Leben. Mozart ist nicht wirklich tot, denn seine Musik lebt weiter. Nicht einmal die mythologische Kassandra ist tot, denn sie lebt im Roman Christa Wolfs und auch diese durch ihn. Ich finde das an sich einen gescheiten Gedanken, aber natürlich schwinden in allen Fällen Erinnerungen und Wirkungen dahin, mehr oder weniger schnell. Und wenn sich die Sonne in ca. 6 Milliarden Jahren aufbläht und die Erde verschlingt, ist alles irgendwie – „weg“.
grundsätzlich
Das Christentum erzählt über Erlösung und ewiges Leben und den Stellenwert des Todes blanken Unsinn. Man hat über Jahrhunderte hindurch Menschen auf ein „Leben nach dem Tod“ („im Himmel“) vertröstet, damit man sie im Leben vor dem Tod nach Strich und Faden politisch und ökonomisch ausbeuten (lassen) konnte. Auch ein „modernes“, scheinbar halbwegs aufgeklärtes Christentum hat sich aus diesem Gebäude von Lügen und / oder Wahnvorstellungen nicht befreit. Im besten Fall werden diese Lügen und Wahnvorstellungen in Psychotherapien transferiert und adaptiert.
Eines muss man dem Christentum freilich lassen: es hat sich aus dem bronzezeitlichen alttestamentarischen Prinzip des „Aug um Aug, Zahn um Zahn“, das spätantik-frühmittelalterlich vom Islam wieder aufgenommen worden ist, an sich explizit verabschiedet. In der sog. „Bergpredigt“ (Matth 5,38-42) heißt es:
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.
Sehr viele „Christen“ haben sich daran nicht gehalten; leider! Menschen wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King haben sich daran orientiert und haben das in politischer Praxis gelebt. Beide waren erfolgreich, beide sind aber auch für ihre Leistungen umgebracht worden. Das Judentum und der Islam verharren dagegen im „Aug um Auge“ – und dieses Prinzip macht mittelfristig alle blind. Seine Auswirkungen sehen wir (z.B.) in Israel und Palästina. Alle drei abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum, Islam – sind für historische Katastrophen mitverantwortlich.
Die Osterkarte
Zurück zur Osterkarte. Sie ist lustig & nett, aber sie ist ein modernes Propagandaprodukt einer überkonfessionellen christlichen p.r.-Agentur. Das ist Werbung. Und Werbung enthält eben keine Wahrheiten.
Ich will nicht missverstanden werden: ich will niemandem seine Religion wegnehmen, wenn er oder sie diese Religion braucht – solange das eine Religion ist, die nicht im Zeichen einer Missionierung physische oder psychische Gewalt anwendet. Aber man muss religiöse Versprechungen vernünftig hinterfragen können.