michael bürkle

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Michael Bürkle

Die „Nr. 2“ als Job

Ich war in meiner beruflichen Laufbahn Lehrer, vor allem. Dann 4 Jahre Geschäftsführer einer politischen Partei. Dann 5 Jahre Administrator einer Schule. (Jetzt sogar Direktor.)

Ein typisches Berufsbild

Ich habe festgestellt, dass es ein wichtiges Berufsbild gibt, das sich in meiner Berufslaufbahn wiederholt hat. Es ist das Berufsbild dessen, der für die Funktion, für das Funktionieren des Apparats zuständig ist.

In der politischen Partei heißt das heute „Geschäftsführer“ (früher auch „Sekretär“: Generalsekretär; Zentralsekretär). Auch im Wirtschaftsleben heißt das so.

Als Geschäftsführer bist du nicht die Vorzeigespitze, der Repräsentant nach außen – das ist in einer politischen Partei der Obmann / Vorsitzende / Sprecher, in einem Wirtschaftsbetrieb der Eigentümer(-Vertreter), evtl. der „geschäftsführende Gesellschafter“, wenn es irgendwie zusammenfallen muss.

Aber dein Job ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • du bist nie „fertig“; man könnte immer noch etwas tun oder getan haben
  • du bist letztlich für alles verantwortlich
  • deine Arbeit wird vor allem dann bemerkt, wenn etwas schief gegangen ist, nicht geklappt hat

Auch als Administrator einer Schule hast du so einen Job. Im Prinzip. Die Vertretung nach außen ist die Direktorin; sie hält die Reden; sie empfängt Besuche, sie unterzeichnet; sie plant im Großen. Du kümmerst dich um das Funktionieren nach innen; du planst auch, aber eher im Kleinen, „nach innen“.

Auch da stimmt:

  • du bist nie „fertig“; man könnte immer noch etwas tun oder getan haben
  • du bist letztlich für alles verantwortlich
  • deine Fehler werden bemerkt, eine Fehlerlosigkeit kaum

Diese Aufteilung zieht sich durch unser gesamtes politisch-ökonomisches System. Sie schafft – das ist ein wichtiger Nebeneffekt – die Möglichkeit, Rollen zu teilen: good cop, bad cop. In der Logik der Parteien ist der / die Vorsitzende in der Regel der good cop, der Kompromisse ermöglicht, Konzilianz zeigt, Zusammenarbeit symbolisiert, Koalitionen eingeht. Die Geschäftsführer übernehmen die Rolle des bad cop: sie sind angriffig, formulieren die Konfrontation. (Das kann in der konkreten Situation auch wechseln: in der FPÖ zur Zeit des Jörg Haider war es umgekehrt: da war der Obmann der aggressive, der sich fallweise dann von anderen, Geschäftsführern, relativieren ließ. Auch die oppositionelle Strache-FPÖ funktionierte lange so, bis sich der Obmann als Vizekanzler staatstragend aufzuführen begann. Wie sehr es ihm gelungen ist, wissen wir inzwischen.)

Varianten

Überhaupt ist das Wechselspiel aus „Nr. 1“ nach außen und „Nr. 2“ nach innen durchaus Varianten unterworfen. Die Verfasstheit des Systems lässt Spielräume zu. Ich übernehme als Direktor z.B. Teilbereiche der Administrationsarbeit: z.B. Maturaanmeldung incl. der notwendigen Überprüfungen. Ich lasse mich andrerseits in der Repräsentanzfunktion als Schulleiter in der Maturakommission systematisch immer wieder vertreten. Man kann die Rollen dynamisch handhaben.

Bezahlung, Anerkennung

In der Schule ist es so, dass AdministratorInnen kaum (nur ein bisschen) weniger verdienen als DirektorInnen. Das Gehaltsniveau ist vergleichbar. Mit ein bisschen Glück kommt ein Administrator in Summe sogar auf ein bisschen mehr als ein Direktor.

(Als Direktor habe ich heute im Übrigen gegenüber meiner Vorgängerin einen wesentlichen Vorteil: ich habe den besseren Administrator. Kollegin E.B. konterte: „jede Zeit hat den Administrator, den sie verdient.“)

In der Privatwirtschaft kann das sehr differieren. Mit Sonderzahlungen etc. ist dort viel möglich. Hierarchische Ebene und Gehalt können sich entkoppeln.

Ein weiterer solcher Job

Es gibt noch einen Job, der ein sehr ähnliches Leistungsprofil aufweist wie Geschäftsführer / Administrator: Hausfrau. Auch für die Hausfrau gilt:

  • ihre Arbeit ist nie fertig
  • sie ist für alles verantwortlich
  • die Arbeit wird vor allem dann bemerkt, wenn etwas nicht getan ist

Außerdem waren Hausfrauen zumindest früher auch immer wieder und offiziell die „Nummer 2“. Als „Haushaltsvorstand“ trug sich der Mann des Hauses ins Volkszählungsformular ein. (Oft genug gesehen.)

Es gibt zwischen Geschäftsführer und Hausfrau allerdings einen wesentlichen Unterschied: die Bezahlung. Liegt es an der schlechten marketing-Arbeit von Generationen von Frauen, die sich mit Hausfrau abspeisen ließen, wo sie doch Geschäftsführerinnen waren? Die Arbeit der Haushaltsgeschäftsführerin wird immer noch gar nicht, mies oder gnadenhalber bezahlt. Es ändert sich ein bisschen was, aber es geht sehr langsam. (In Wirklichkeit löst sich die Rolle Hausfrau auf, auch das Konstrukt Haushalt. Beide „gehen arbeiten“; um „die Kinder kümmern“ sich beide – oder auch beide nicht wirklich. Der Staat muss in Form von Kinderbetreuung Wesentliches übernehmen. Schon verständlich: alle haben ein Interesse an einem eigenen Gehalt und daran, im Sozialversicherungssystem vorhanden zu sein. Die „reine Hausfrau“ ist das nicht.)

ich?

Ich war Geschäftsführer, ich war Administrator. War ich je „Hausfrau“? Naja: Ich habe durchaus in den Wohngemeinschaften meiner Jugendjahre – bis ich etwa 30 war – meinen Haushalt allein geführt. Insofern kenne ich die Arbeit; ich weiß, worum man sich kümmern muss. Ich hab da durchaus auch Haushaltsarbeiten von Mitbewohnern mit übernommen.

Ich kann aber nicht sagen, dass ich als Vater gleichermaßen Haushaltsarbeit übernommen habe wie meine Frau; ganz sicher nicht. Der Rückfall in alte Rollenmuster war allzu leicht: auch Gehälter und mögliche bzw. unmögliche Karriereschritte spielten eine Rolle.

„The prisoner“

Ich muss zwischen 12 und 16 gewesen sein, als mich eine Fernsehserie unglaublich packte, die der ORF am Vorabend sendete. Die Wirkung hält bis heute an: „Nummer 6“. Englisch hieß sie „The prisoner“, aber das wurde mir erst viel später klar. Entstanden ist sie 1967; sie gilt heute als „avantgardistisches Produkt einer frühen Postmoderne“ – aber auch davon ahnte ich nichts.

In „Nummer 6“ quittiert ein Agent seinen Dienst und wird darauf hin an einen geheimnisvollen Ort, in ein „idyllisches“ Dorf entführt und bekommt die Nummer 6. Alle BewohnerInnen haben keine Namen, nur Nummern. Nummer 6 versucht über 17 Folgen, hinter das Geheimnis zu kommen – wo ist er? wer hat ihn entführt? wozu das alles? – und scheitert jedes Mal. (Inwiefern er in Folge 17 erfolgreich wird, bleibt unklar; das Ende ist rätselhaft.)

Der Chef des Dorfes „heißt“ … „Nummer 2“. Eine „Nummer 1“ gibt es nicht, allenfalls gesichtslos am Ende der Telefonleitung, mit der Nummer 2 telefoniert.

6: Who are you?
2: I am the new number 2.
6: Who is number 1?
2: You are number 6.

ist eine wiederkehrender Dialogteil im Vorspann jeder Episode.

Es gibt in den 17 Episoden der Serie verschiedene „Nummern 2“. (Meistens wechseln die Darsteller; meistens, nicht immer, sind es Männer – schon damals aber auch Frauen! Manche Nummer 2 taucht in verschiedenen Episoden wiederholt auf.) Bei manchen Nummern 2 merkt man, dass sie auf die Meinung des Chefs, der nie gezeigten Nummer 1, sehr angewiesen sind; sie sind letztlich abhängige, unsichere, servile Figuren. Es gibt aber auch durchaus starke, selbstbewusste „Nummern 2“, die die Nummer 1 in ein undefiniertes Abseits verschieben und (fast) vergessen lassen. Formell beginnt die reale Hierarchie aber immer mit 2, nicht mit 1.

Warum mich das damals schon so fasziniert hat?

Alternativen?

Die Fernsehserie „Nummer 6“ spitzte das Denken in Hierarchien als düstere Vision zu, anschaulich durch das Durchnummerieren der Charaktere. Das staatlich verankerte Denken in „Nummer 2“ und „Nummer 1“ tut es auch, so lange es in diesem Schema bleibt und Varianten und Variation nicht mitdenkt.

Meiner Erfahrung nach gibt es Alternativen zu Hierarchien: Anarchien. Netzwerke.


Lit.: Bürkle, Michael (2015): Projektmanagement: hierarchisch vs. anarchisch.


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