michael bürkle

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Michael Bürkle

Nachhilfe als Normalfall!

Griechenland

Wir haben bei Freunden in Griechenland ein Prinzip des staatlichen Schulsystems kennen gelernt: Die Kinder gehen am Vormittag in die staatliche Schule und werden dort von schlecht bezahlten Lehrpersonen unterrichtet. Am Nachmittag besuchen die Kinder eine relativ teure Privatschule und werden dort von den gleichen Lehrpersonen unterrichtet, die sich damit das Zubrot auf ein ordentliches Gehalt verdienen.

Und in Österreich?

Da ist das Ganze nicht so systemhaft, sondern eher chaotisch. Aber praktisch die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen bekommt am Nachmittag sogenannte „Nachhilfe“. Entweder bezahlte oder – an der Schule in Form einer sog. „Nachmittagsbetreuung“ – unbezahlte. ORF online fasst zusammen:

Die bezahlte Nachhilfe teilt sich dabei auf klassische Vor-Ort-Angebote (18 Prozent) und Onlinenachhilfe (sieben Prozent) auf, wobei manche Kinder beides nutzen. Gratisnachhilfe an der Schule nahmen 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Anspruch, private unbezahlte Nachhilfe 14 Prozent, jeweils zwei Prozent hatten unbezahlte Onlinenachhilfe oder Gratisnachhilfe an einer anderen Institution als der Schule (z. B. Volkshochschule). Auch hier gibt es jeweils Überlappungen.

Das Ausmaß? Ein Riesen-Business! „Im Schnitt rund 750 Euro pro Schulkind“ pro Jahr. 168 Millionen Euro pro Jahr!

Ich gestehe …

Ich gestehe: ich bin da auch beteiligt, seit Jahrzehnten. Allerdings habe ich nur private unbezahlte Nachhilfe gegeben und habe damit viele Kinder und Jugendlichen des gesamten Freundeskreises in Mathe (und manchmal ein bisschen darüber hinaus) zur Matura gebracht. Einzige Bedingung: die jungen Leute mussten den Wunsch selbst äußern; ich habe keine Termine mit den Eltern ausgemacht. Die Arbeit mit den Kindern und den Jugendlichen hat mir oft großen Spaß gemacht.

Nun habe ich schon die ersten Kinder aus der Enkelgeneration. Das Prinzip für meine „Nachhilfe“ ist immer noch das Gleiche; und auch die Verhältnisse in den Schulen haben sich offensichtlich nur wenig geändert. Ja, manche Kinder machen Mathe jetzt schon mit dem Notepad, aber der Unterricht hat sich deswegen noch nicht wirklich geändert.

Aber eigentlich demonstrieren diese Verhältnisse drastisch ein Versagen des Schulsystems. Kinder und Jugendliche werden am Vormittag mit Lernstoffen abgefüllt. Zum Verstehen ist zu wenig Zeit: nämlich für die Kinder zum Verstehen des Stoffs und für die Lehrpersonen zum Verstehen der Kinder. Wenn Kinder Probleme haben, kommt immer noch oft der Hinweis auf die Notwendigkeit von Nachhilfe. Auch so kann man sicherstellen, dass sich „Bildung vererbt“.

Wir brauchen eine allgemeine Ganztagsschule für alle Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 14. Eine Schule, die über den Tag Unterrichtsphasen, Lernphasen, Kunst- und Sportphasen, Sozialphasen und Erholungsphasen verteilt. Eine menschliche Schule. Auch die Lehrpersonen sollen da sein: sie sollen einen ordentlichen, individuellen Arbeitsplatz haben, wo sie ihre Vor- und Nachbereitungen erledigen können und für ihre „Klient*innen“ auch ansprechbar sind.


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