Moderator bei Jugendlichen
Ich bin als Moderator einer Podiumsdiskussion eingeladen worden – man hat bei den Scientists for Future angefragt und nur sehr wenige waren bereit. Am Podium wird klimaaktivistische und politische Prominenz sitzen. Wir schauen uns zuerst einen Film an: „Generation Change“ und werden dann über Möglichkeiten, Chancen und womöglich auch Hindernisse der Klimapolitik diskutieren – zunächst am Podium, dann auch mit 16-, 17-jährigen Schüler*innen als Publikum.
Ich würde den jungen Menschen gerne Mut machen. Ich rechne damit, dass sich viele junge Menschen für ihre Zukunft interessieren. Ich rechne damit, dass viele sehr unsicher sind in der Frage, wie man diese Zukunft noch zum Besten wenden kann. Ich rechne auch damit, dass einige nicht mehr glauben, dass man diese Zukunft noch retten kann.
Ich selbst bin ja auch skeptisch. Aber bei mir ist das nicht so schlimm: ich bin 66.
Wie erklärt man das?
Wir – „praktisch alle“ Staaten der Welt – haben uns an sich ein 1,5-Grad-Ziel gesetzt. Wir sollten die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad gegenüber dem Mittelwert von 1850 bis 1900 begrenzen. Das ist der Pariser Vertrag; auch die USA traten ihm unter Präsident Obama bei; unter Trump traten die USA aus, unter Biden wieder ein.
ABER – die Kipp-Punkte
Aber es gibt ein großes ABER: wir – die Staaten der Welt – halten uns nicht an die vereinbarten Ziele. Es wird immer klarer, dass wir die 1,5-Grad-Grenze bald schon erreichen werden und bis 2100 also klar verfehlen. Es geschieht einfach viel zu wenig und das viel zu langsam – vor allem zu wenig an Politik, gewiss auch zu wenig an individuellem Bemühen bei vielen Menschen.
Kann ich den Jugendlichen erklären, dass wir wenigstens versuchen sollten, nicht über 2 Grad Erhitzung zu kommen? Kann ich ihnen erklären, dass 1,8 Grad zwar „blöder“ ist als 1,7 Grad, aber immer noch „besser“ als 1,9 Grad?
Gut: ich bin ja nur Moderator. Ich muss da gar nix erklären. Das tun die anderen auf dem Podium. Ich muss nur steuern, Redezeiten gerecht verteilen, darauf achten, dass keine Fragen vergessen oder unter den Tisch gekehrt werden – was man halt als Moderator („Mäßiger“) so macht.
Wie viel Zeit haben wir?
Aber ist eine Erhitzung um 1,9 Grad wirklich „besser“ als eine um 2 Grad? Kann man das so linear denken? Je mehr, desto schlechter; je weniger, desto besser. Ist das so?
Das ist eben gar nicht sicher. Denn die Folgen der Erhitzung steigen nicht „linear“ mit der Hitze. Ab bestimmten Temperaturen werden Prozesse in Bewegung gesetzt, die ganze Systeme zum Absturz bringen. Man nennt diese Punkte „Kipp-Punkte“. Wenn Teilsysteme (der Weltökologie) – nur zum Beispiel – ab 1,9 Grad zusammenbrechen, dann ist es fast egal, ob die Erhitzung 1,9 Grad, 1,95 Grad oder 2 Grad beträgt: das System „kippt“. Was dann nicht egal (gewesen) wäre: ob es 1,8 Grad oder 1,9 Grad sind. Bei 1,8 steht der Berg noch, bei 1,9 zerbröselt er. Bei 1,8 gibt es noch den See, bei 1,9 vertrocknet er. Und so weiter, und immer nur zum Beispiel.
Das Problem ist: es gibt einige Teilsysteme der Weltökologie. Und niemand weiß ganz genau, wo jeweils die Kipp-Punkte liegen. Und wenn ein Teilsystem „kippt“, dann ist das de facto irreversibel: auch wenn wir die Erde dann nachträglich wieder kühlen könnten, würde sich das Problem nicht lösen. Konkret: wenn – wie beim Fluchthorn in Galtür – unter zu großer Hitze der Permafrost in einem Berg auftaut und den Berg einstürzen lässt, wird auch eine nachträgliche Kühlung den Berg nicht wieder aufrichten. Was unten ist, bleibt unten. Was ausgetrocknet ist, ist ohne Wasser. Was hin ist, ist hin. Immer nur zum Beispiel.
Ich kann den Jugendlichen nicht guten Gewissens sagen, dass 1,9 Grad halt ein bisserl schlechter sind als 1,8 Grad, aber immer noch besser als 2 Grad. Es kann sein, dass 1,9 Grad ganz wesentlich schlechtere Folgen haben als 1,8 Grad und 2 Grad kaum schlimmere.
Das haben auch viele Politiker noch nicht einmal im Ansatz verstanden. Und es ist unklar, wie viel Zeit wir noch haben und wie viel Zeit wir schon versch…wendet haben: unwiederbringlich. Wenn es bei diesem einen Gipfel des Fluchthorns bleibt, würde sich die Katastrophe ja im Rahmen halten. Aber das garantiert niemand.
Mut machen – wie?
Was ziemlich sicher ist: wir – als Menschheit – könnten noch die Wende schaffen. Auch wenn wir 2, 3 Kipp-Punkte überschreiten, verändern wir die Welt, vermutlich zum Schlechteren, aber nicht unbedingt gleich die ganze. Die Veränderungen gehen nicht kontinuierlich – ein „bisserl mehr“ ist nicht unbedingt ein „bisserl schlimmer“: ein „bisserl mehr“ kann „viel schlimmer“ bedeuten. Muss es aber nicht.
Es kann sich lohnen zu kämpfen. Der Lohn kann enorm sein. Nicht-Kämpfen bringt sicher eine Niederlage, und die ist sicher bitter. Leider: unsere Generation übergibt die Biosphäre in sehr kritischem Zustand. Wir – als Generation – haben einiges verkackt – freilich nicht alle gleichermaßen. Wir werden vor unseren Enkelinnen und Enkeln stehen wie die Großeltern, die man gefragt hat, was sie 1940 getan oder nicht getan haben.