Migrantischer Antisemitismus?
Im „Einserkastl“ des Standard von vorgestern (19.10.) schrieb der erfahrene Journalist Hans Rauscher an sich über die SPÖ, in einer Art Nebenbemerkung aber auch über den „virulenten Antisemitismus der muslimischen Zuwanderer hierzulande“.
Das ist eine sehr pauschalisierende Wertung, eines Hans Rauscher an sich unwürdig. Aber man könnte der Frage nachgehen. Sind muslimische Zuwanderer in Österreich eher antisemitisch eingestellt als sogenannte „Einheimische“? Ich bin mir da nicht sicher; ich kenne keine repräsentativen Forschungen dazu. Untersuchungen aus Deutschland (z.B. „Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft“ oder „Antisemitismus unter Menschen mit Migrationshintergrund und Muslim*innen“) zeigen ambivalente Ergebnisse; ein Papier des „Österreichischen Integrationsfonds“ aus 2020 sieht besondere Gefahren bei Menschen aus Ländern, in denen Antisemitismus als „ein gesellschaftlich tief verwurzelter Judenhass sowie Ablehnung gegen Israel herrscht, der oft auch noch vom Staat selbst geschürt wird.“
So einfach ist die Sache also nicht; es kommt auch auf die Art des Antisemitismus an. Und wir können uns da nicht einfach auf „die Migranten“ ausreden. Natürlich gibt es muslimischen Antisemitismus und migrantischen Antisemitismus, aber auch christlichen oder einheimischen (oder atheistischen?).
Wie umgehen?
Wir haben es offenbar mit mindestens zwei verschiedenen „Sorten“ Antisemitismus zu tun. Bei Migrant*innen scheint das in der Regel ein „antizionistischer“, auf den Staat Israel bezogener Antisemitismus zu sein; bei „Einheimischen“ scheint mir eher ein „Antisemitismus ohne Juden“ vorzuliegen: der jüdische Teil der Bevölkerung ist nämlich in Österreich minimal, kaum wahrnehmbar. (Auch im politisch linken Spektrum findet sich eine Art antizionistischer Antisemitismus und eine plumpe Gegenreaktion, die jede Kritik an der Politik einer israelischen Regierung als Antisemitismus denunziert.)
Wir brauchen Begegnung: im wahrsten Sinn des Wortes. Eine österreichische Politik gegen (migrantischen und einheimischen) Antisemitismus hat das Problem, dass kaum jemand Juden oder Jüdinnen kennt. Wenn man keine kennt, lassen sich darauf alle möglichen Vorurteile und Klischees aufbauen; Materialien dazu gibt es aus dem Nationalsozialismus und seinen Restbeständen genug. Wer Jüdinnen oder Juden kennen lernt, kann schnell viele Vorurteile abwerfen.
Auch im Umgehen mit einem antizionistischen Antisemitismus bräuchten wir Begegnung. Insofern können Initiativen wie das „Muslim Jewish Leadership Council“ (MJLC) hilfreich sein – aber nicht, wenn sie den religionsbezogenen Beitrag an der Nahost-Krise wegdiskutieren wollen.
Wir brauchen an sich einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Kinder und Jugendlichen – und im Prinzip auch für viele Erwachsene: in dem müssen Antisemitismus in seinen verschiedenen Formen und Rassismus zentrale Themen sein. So ein Ethikunterricht kann nur bedingt durch einen Religionsunterricht ersetzt werden: es müsste ein Religionsunterricht sein, der sich auf gemeinsame ethische Maßstäbe verständigt. Ich traue vielen katholischen, evangelischen, islamischen, buddhistischen Religionslehrer*innen das zu – aber nicht allen und nicht selbstverständlich und von vornherein.
[…] 21.10.: Muslimischer Antisemitismus […]