Eine Mehrheit für Klima- und Umweltschutz?
Die Letzte Generation sagt, dass es ihr nicht darum gehe, für Klima- und Umweltschutz eine Mehrheit zu schaffen. Diese Mehrheit sei schon da:
Die Mehrheit für Klima- und Umweltschutz müssen wir nicht schaffen – diese Mehrheit ist in der Bevölkerung schon da, wie zahlreiche Umfragen und die Ergebnisse des Klimarats zeigen. Aber trotz dieser Mehrheit handelt die Politik nicht, weil sie lieber auf die fossile Lobby hört. Wir leisten zivilen Widerstand, damit die wissenschaftlichen Fakten nicht länger ignoriert werden.
Adressat der LG-Proteste sei also nicht so sehr die Bevölkerung, sondern „die Politik“.
Stimmt das Argument? Ich glaube, das hängt davon ab, wie man fragt. Wenn man nach dem Für und Wider von Klima- und Umweltschutz fragt, wird man wohl eine gute Mehrheit dafür bekommen. Wenn man nach dem Für und Wider von konkreten Maßnahmen fragt, sieht das schon etwas anders aus, nehme ich an. Sobald Menschen „Komfortverlust“ fürchten, werden sie bei der Zustimmung zu den Maßnahmen skeptisch – ist meine Erfahrung. Ein Beispiel: Tempo 100 auf Autobahnen, eine der Kernforderungen der LG und m.E. höchst vernünftig.
Druck auf „die Politik“?
Die LG sagt:
Ziviler Widerstand ist kein Beliebtheitswettbewerb. Wir wollen dafür sorgen, dass die tödliche Bedrohung durch die Klimakrise nicht länger totgeschwiegen werden kann. Dafür müssen wir nicht beliebt sein – nur unübersehbar.
Ja, das funktioniert – bis in die Medien. Gerade der mediale Boulevard springt auf die „Klimakleber“ sehr gerne an und auf. „Krone“, „Oesterreich“ und „heute“ müssen der LG als Schlagzeilenlieferantin dankbar sein. Allerdings berichten die Medien insgesamt weniger über die Klimakrise, als über die Aktionen und die empfundenen Störungen – und über die Maßnahmen, die gegen die Klimaaktivist*innen notwendig seien.
In 9 Monaten LG (Dezember – August) ist es m.E. noch nicht gelungen, innerhalb der politischen Parteien wesentliche Meinungsumschwünge zu lancieren – mit einer Ausnahme. Woran liegt das? M.E. daran, dass wir bereits in einem Wahljahr stecken – spätestens im September 2024 wird ein neuer Nationalrat gewählt. Es laufen bereits Vorwahlkämpfe: Parteienvertreter touren durch die Bundesländer und „führen Gespräche“. Die einzige Partei, die in Bezug auf die Klimakrise Positionen wesentlich verändert hat, ist die SPÖ: weil sie auch ihren Vorsitz geändert hat.
Aber die Positionen der anderen Parteien sind eingemauert; vor der Wahl erscheinen mir deutliche Änderungen systemimmanent unmöglich. Ein Beispiel: auch wenn Nehammer plötzlich verstehen würde, dass der Verbrennungsmotor eines der Hauptprobleme ist: er wäre in seiner Position eingemauert und könnte vor der Wahl daran nichts ändern, weil er damit Glaubwürdigkeit und Stimmen riskieren würde. (Jedenfalls sehen das die Parteistrategen so.)
Wenn das stimmt, fährt die Strategie der LG ins Leere. Dann würde es jetzt nicht mehr darum gehen, die Ignoranz der Politiker zu brechen – das ist vergebene Mühe, sondern den Wähler*innen für 2024 klarzumachen, was die wichtigsten nächsten Schritte sind. Da geht es auch darum, klarzumachen, wen man nicht wählen darf. Es geht nicht um eine Wahlempfehlung – die kann es nicht geben. Aber es muss klar werden, welche politischen Positionen in den Abgrund führen (und welche möglicherweise nicht).
Was bewirken Straßenblockaden?
Straßenblockaden halten das Thema Klimawandel wach; das ist ihr Zweck und das stimmt auch. Es geht aber m.E. nicht mehr nur darum, das Thema wach zu halten, sondern Wähler*innen für politische Veränderungen gegen den Klimawandel zu gewinnen. Ob das mit Straßenblockaden geht, bezweifle ich zunehmend. Straßenblockaden spalten „die Politik“ und die Bevölkerung: in Scharfmacher und mögliche Diskurspartner.
Straßenblockaden polarisieren und die Polarisierung ist nicht nur eine in für oder gegen Klimapolitik, sondern auch in für oder gegen Störung. Und dem Menschen ist das Hemd näher als der Rock. Deshalb kann eine zunehmende Polarisierung der Klimabewegung schaden.
Was statt dessen?
Es geht weiterhin darum, das Thema Klimawandel wach und in der Diskussion zu halten. Es geht aber auch darum, nicht massenhaft Menschen zu vertreiben, sondern eine vernünftige Kommunikation zu ermöglichen. (Vernünftige Kommunikation ist mit Menschen, die unter Stress stehen, oft schwierig.)
Ein sehr erfolgversprechender Ansatz erscheint mir eine Art „Koalition“ mit dem Kunst- und Kulturbereich – sowohl mit der sog. „Hochkultur“ als auch mit der „Kleinkunst“ – als auch mit populären Kunstformen. Da hat die Klimabewegung Verbündete. Es hat da auch schon erfolgreiche Versuche gegeben; auf denen kann man aufbauen. Ein gelungenes Beispiel ist das Urban Brass Festival Strafiato, das vom 6.-9.7. in Innsbruck stattfand, den Klimawandel an sich thematisierte und da noch von den „Scientists for Future“ (und der „Letzten Generation“) unterstützt wurde.
Verbündete hat die Klimabewegung auch im Bildungsbereich, sowohl in den Schulen als auch an den Hochschulen und Universitäten. Im September beginnen neue Schuljahre und neue Semester: das kann man konstruktiv nützen. Man kann Unterricht thematisch umfunktionieren; man kann Unterricht auch dazu benützen, Inhalte unters Volk zu bringen. Man kann da mit den Menschen vor Ort – Schüler*innen, Lehrer*innen, Professor*innen, Studierenden – kooperieren: man muss nicht alles selbst machen.