Wenn Sie das Gymnasium nie begonnen oder aus irgendeinem Grund nicht geschafft haben – es gibt die Lösung. Das „Gymnasium für Berufstätige“ oder im Volksmund „Abendgymnasium“. Voraussetzung: mindestens 17, Pflichtschulabschluss.
Aber was ist, wenn Sie den Pflichtschulabschluss nicht (geschafft) haben? Da gibts (fast) nix.
Wir brauchen die Mittelschule für Berufstätige. Geführt als Abendschule („Abendmittelschule“), berufsbegleitend; Mindestalter 16 (schlage ich vor). Kurssystem, modular wie das Abendgymnasium.
Ist das eine Lücke? Gibt es da Bedarf?
Ja, das ist eine Lücke, ja, da gibt es Bedarf. In letzter Zeit verstärkt durch Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Afrika. Aber es gibt den Bedarf auch für Einheimische, die mit 13, 14 so desorientiert waren, dass sie den Hauptschulabschluss nicht geschafft haben. Das sind nicht wenige!
Flüchtlinge kommen oft mit der Meinung, dass ein gewisses Sprachniveau in Deutsch (A2?, B1) „reicht“. Nicht unbedingt. Der Pflichtschulabschluss umfasst auch Kenntnisse in Englisch, in Mathematik, in Geschichte, in Naturwissenschaften. Oder Flüchtlinge kommen mit der Information, 11 Schuljahre in ihrem Herkunftsland besucht zu haben? Was bedeuten 11 Schuljahre in einem krisen- oder kriegsgeschüttelten Land? Was bedeuten 8 Jahre Schule, wenn das eine Koranschule war? Ich frage manchmal „How long have you been learning Englisch in your country?“ und erzeuge damit ganz verschiedene Effekte. Von ratlosen Blicken bis zu ganz gut verständlichen Antworten auf Englisch. Ich lege manchmal eine Gleichung wie
5 x + 3 = 21
vor – und erzeuge ganz verschiedene Effekte: vor Ratlosigkeit bis zu flüssigem, richtigem Rechnen. Manchmal wird dann die entstehende Gleichung
5 x = 18
für unlösbar erklärt; manche lösen sie anstandslos.
Ich schreibe manchmal die Zahl 1945 hin und frage nach, ob ihnen diese Zahl etwas sagt. Manchen sagt sie was; manchen überhaupt nichts. Ja, die hatten Geschichte gelernt. Aber welche?
Und ich nehme an, dass das bei vielen einheimischen Menschen nicht viel anders wäre.
Wie wird das Problem jetzt gelöst?
Es gibt natürlich Kurse für den Hauptschulabschluss. Die kosten in der Regel was; manchmal gibts auch Förderungen. Erwachsenenbildungsinstitutionen wie das bfi sind hier aktiv. Das ist auch gut so; jedenfalls als Notlösung.
Für Flüchtlinge richten die Landesschulräte „Übergangsklassen“ ein, die an Gymnasien geführt werden. Auch wir hatten eine „Ü1“ – für Studierende mit fehlenden oder geringen Deutschkenntnissen. Es hat sich gezeigt, dass es fast aussichtslos war, so eine Ü1-Gruppe innerhalb eines Schuljahres auf das Niveau Pflichtschulabschluss zu bringen. Wir werden die Gruppe voraussichtlich als Ü2-Klasse weiter- und hoffentlich zum Pflichtschulabschluss führen.
Es gibt an Abendgymasien Versuche, eigene Übergangsstufen zu gestalten, die Rutsche zu legen. Aber als Abendgymnasien sind das an sich systemfremde Dinge – wir sind eigentlich für die „Oberstufe“ zuständig, nicht für die Unterstufe. Wir begeben uns als Abendgymnasien auch in diffizile Grenzbereiche, die interessant und nötig sind, aber schwierig zu machen.
Es gibt also diverse Bemühungen, den Pflichtschulabschluss für Menschen, die schon ein bisschen älter sind, nachholbar zu machen. Ich glaube, dass das auch eine Verantwortung der Republik wäre. Ich habe nichts dagegen, wenn die Republik hier mit privaten Erwachsenenbildungsinstitutionen zusammenarbeitet; aber das Angebot sollte für alle Betroffenen prinzipiell kostenlos sein. Wir brauchen einen gemeinsamen Nenner für alle diese Versuche. Ich kenne als Direktor des Abendgymnasiums Innsbruck die nötigen formellen Schritte.