In der 1. Klasse ist das Märchen mit seinen typischen Merkmalen Thema des Deutschunterrichts. Ich habe in meiner 1c, einer Klasse mit Offenem Lernen, zur 3. Schularbeit am 24. April auch Märchen schreiben lassen. Den Kindern waren die Textsorten (ein Brief einer Märchengestalt, oder: eine Nacherzählung, oder: eine Modernisierung, oder: die Erfindung eines Märchens) bekannt, nicht aber die konkrete Inhaltsvorgabe. Die Texte entstanden also im Wesentlichen spontan.
Kinder erzählen liebend gern und zum großen Teil auch sehr geschickt, wenn man sie lässt. Der Durchschnitt der Textlänge in dieser Schularbeit betrug 303 Wörter (!!!; der längste Text war 474 Wörter lang!) Inhaltlich und im Ausdruck waren die meisten Texte gut (oder sehr gut); (z.T. erhebliche) Unterschiede gab und gibt es natürlich im Bereich „Sprach- und Schreibrichtigkeit“. Ich beziehe aber die Rechtschreib-, Grammatik- und Interpunktionsfehler in der ersten Klasse nicht voll in die Note ein, um die Kreativität der jungen AutorInnen nicht zu sehr zu bremsen.
In der Folge stelle ich aus einer Vielzahl gelungener Märchentexte drei in meinen Augen besonders reizvolle vor. Die Texte sind hier zwar in verbesserter Form abgedruckt; allerdings war ein Text praktisch fehlerlos und liegt also quasi im Originalwortlaut vor; einer enthielt nur sehr wenige Fehler und einer doch einige.
Alle Texte behandeln Thema 4: „Erfinde eine Märchengeschichte, die folgende Elemente enthält: Schüler / Schülerin, schlechtes Zeugnis, Fee, 3 Wünsche.“
* * *
Es fing damit an, dass eine Mutter, die zwei Kinder hatte, gespannt in ihrem Lieblingssessel saß und auf ihre Kinder, die heute ihr Zeugnis bekommen sollten, wartete.
Bald darauf läutete auch schon die Glocke. Die Mutter eilte hinaus zur Tür und drückte ganz langsam die Klinke herunter. Katharina, die um fünf Minuten älter war als ihre Schwester Miriam, lief auf ihre Mutter zu, umarmte sie und zeigte ihr stolz ihren Vorzug. Miriam dagegen drückte ihr Zeugnis fest an sich und ging mit tränenverschmiertem Gesicht an den beiden anderen vorbei. Als ihre Mutter das sah, riss sie ihrer Tochter das Zeugnis aus der Hand und wurde kreidebleich, als sie die schlechten Noten sah.
Und Tag für Tag ging das jetzt so, dass die Mutter Miriam jeden Tag zum lernen zwang und ihre Zwillingsschwester sie immer verspottete.
Eines Tages, als die Mutter der beiden ausging, beschlossen Katharina und Miriam, in den Wald zu gehen. Sie nahmen sich eine Fackel mit und folgten einem schmalen Pfad immer tiefer in den Wald hinein, bis sie zu einem kleinen See kamen. Dort setzten sie sich ins nasse Gras und blickten hinaus aufs dunkle Wasser.
Plötzlich tauchte etwas gleißend Helles aus dem Wasser. Es war eindeutig eine Fee. Sie kam auf die beiden zu und blickte ihnen lange ins Gesicht.
Katharina war vor Schreck aufgesprungen, doch Miriam blieb von der Schönheit der Fee wie gelähmt am Boden sitzen. Die Fee erklärte ihnen: Wer der beiden sich traute mit ihr in den See hinab zu tauchen, habe drei Wünsche frei. Natürlich erklärten sich beide sofort dazu bereit, also nahm die Fee beide mit in den See.
Als sie ungefähr drei Meter getaucht waren, bekam es Katharina mit der Angst zu tun und tauchte wieder auf. Miriam jedoch riss sich zusammen und irgendwann berührten ihre Füße tatsächlich den Grund.
Nun fragte die Fee, was Miriam sich wünschte. Diese jedoch war sprachlos. Schließlich brachte sie es doch noch zustande, ihre Wünsche auszusprechen. „Also, ich wünsche mir, dass ich in Zukunft besser in der Schule bin, ich wünsche mir, dass ich bei meiner Mutter ein bisschen beliebter bin und ich wünsche mir, dass ich gleich berechtigt werde wie meine Schwester!“
Und so lebte sie glücklich bis an ihr Lebensende.
(A.W.)
* * *
Vernunft, Vernunft!
Es war einmal eine Schülerin, die hieß Franziska. „Franziska, steh auf!“, das war ihre Mutter. Franziska stand auf, doch eigentlich wäre sie viel lieber im Bett geblieben und hätte verschlafen. Heute war nämlich der letzte Schultag und sie sollte ihr Zeugnis bekommen.
Franzi war schon im Gymnasium und deshalb wusste sie ungefähr, wie ihr Zeugnis ausschauen würde. Es sah aber nicht gerade gut aus und deshalb hatte sie ihrer Mutter nichts von ihren Noten erzählt.
Als sie in der Schule ankam, waren schon alle sehr aufgeregt. Mit Mühe kämpfte sie sich durch die Stunden vor Englisch. In Englisch sollte sie ihr Zeugnis bekommen.
Die Lehrerin rief sie auf: „Franziska Schöner, bitte herauskommen.“ Als sie ihr das Zeugnis in die Hand drückte und Franziska zu ihrem Platz zurück ging, rannten alle ihre Freundinnen zu ihr. Franzi warf einen kurzen Blick auf das Blatt, wegem dem sie so aufgeregt war. 1 Fünfer, 4 Vierer, viele Dreier und nur wenige Einser und Zweier.
Als Franziska nach Haus ging mit dem schlechten Zeugnis in der Hand, hatte sie keine guten Gedanken: Ihre Mutter würde verlangen ihr Zeugnis zu sehen, würde sich ärgern, dass Franziska ihr nichts erzählt hatte und sie würde ihr verbieten, mit ihrer Freundin nach Wien fahren zu dürfen. Dann kam noch dazu, dass …
Doch was war das? Auf dem Zeugnis, das sie in der Hand hielt, saß so etwas wie ein Schmetterling. Nur, dass das Ding, das auf ihrem Zeugnis saß, einen Körper wie ein Mensch hatte. Nur viel, viel kleiner. Und es hatte Flügel. Schöne Flügel.
„Hallo, ich bin Sheila, eine Fee; wie ich sehe, sieht dein Zeungis nicht gerade gut aus, Schätzchen. Da ich allen Kindern helfe, die in der Schule Probleme haben, hast auch du drei Wünsche frei.“ „Ääähm, einmal langsam, du bist wirklich eine Fee, so eine, die zaubern kann, dann wünsche ich mir einen Computer, Computerspiele und einen Fernseher“, sagte Franziska freudig.
„Nicht so voreilig, Schätzchen. Hier geht es eigentlich um dein Zeugnis. Sei doch mal vernünftig.“
„Also, wenn du meine Noten verzauberst, das funktioniert nie. Deshalb wünsche ich mir, dass Mama nicht sauer ist. Ich wünsche mir, dass ich es nächstes Jahr besser mache und ich wünsche mir, dass ich im Sommer trotzdem mit meiner Freundin nach Wien fahren darf“, wünschte sich Franziska. Darauf sagte die Fee: „Siehst du, Schätzchen, das ist vernünftig! Ich werde dir die drei Wünsche erfüllen und nun ab nach Hause mit dir!“
Franziska lief so schnell sie konnte nach Hause und alles war so, wie sie es sich gewünscht hatte.
Damit sie die Fee nie vergaß, malte sie ein Bild von ihr, gab es in einen goldenen Bilderrahmen und hängte diesen über ihrem Bett auf, wo er für immer bleiben sollte.
Und vielleicht, wenn du Glück hast und auch ganz fest daran glaubst, vielleicht begegnet dir dann auch einmal eine Fee.
(T.B.)
* * *
Es waren einmal eine Schülerin und ein Schüler. Die gingen in die 1C in der Sillgasse. Sie waren allerbeste Freunde.
Doch eines Tages bekamen sie ihre Halbjahreszeugnisse, beide hatte alles Fünfer bekommen. Sie gingen gerade den Schulweg hinunter und erzählten sich jammernd, was ihre Mütter dazu sagen würden. Die Schülerin klagte: „Ich bekomme sicher eine Woche Hausarrest.“ Der Schüler erwiderte: „Das ist noch gar nichts, ich fahre jetzt sicher nicht in das Legoland nach Deutschland.“
„Ich habe euch jammern gehört“, sagte plötzlich eine Stimme. „Wer und wo b-b-bist du?“, stotterten die Kinder. Hinter einem Baum kam eine Fee hervor und sprach: „Ich gewähre euch drei Wünsche, überlegt sie euch gut.“
Die beiden Freunde tuschelten kurz, doch gleich sprach der Schüler: „Ich will alles Einser im Zeugnis haben.“ Das Mädchen fügte schnell hinzu: „Ich auch.“ Da schwang die Fee zweimal den Zauberstab und plötzlich hatten sie alles Einser. Die beiden waren außer sich vor Freude und hüpften im Kreis herum.
Nun sprach die Fee: „Was ist mit dem letzten Wunsch?“ Der Junge wollte gerade den Mund aufmachen, da sagte das Mädchen: „Das ist natürlich mein Wunsch.“ „Was redest du da, das ist meiner“, erwiderte der Junge. So fingen sie an zu streiten. Zuerst njur zaghaft, doch dann beschimpften sie sich sogar. Die Fee hatte Mitleid mit den beiden und sagte: „Ich gebe euch bis morgen Zeit.“ Dann war sie verschwunden.
Die ganze Nacht überlegten die zwei, was sie sich wünschen sollten. Doch kaum trafen sie sich in der Früh wieder um auf die Fee zu warten, stritten sie schon wieder.
Als die Fee dann auftauchte, bemerkten sie sie am Anfang gar nicht. Jetzt räusperte sich die Fee: „Nun, was wünscht ihr euch?“ Die Schüler waren schon so zerstritten, dass sie wie aus einem Munde riefen: „Ich wünschte, diese ganze Wünscherei hätte nie begonnen!“
Da schwang die Fee den Zauberstab. Augenblicklich war sie verschwunden und beide hatten wieder alles Fünfer. Doch es machte ihnen nichts aus, denn sie waren wieder Freunde.
(C.M.)
erschienen in: Jahresbericht des Gymnasiums Sillgasse 2006/07