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Michael Bürkle

Bringt KI die wikipedia um?

wikipedia

Die Wikipedia ist die online-Enzyklopädie schlechthin. Sie sammelt als „Schwarm-Intelligenz“ Wissen; jede und jeder kann beitragen. Es gibt allerdings Qualitätsmaßstäbe, die eingehalten werden müssen. Eingebrachtes Wissen muss (a) relevant sein und (b) durch Belege und Quellenangaben gesichert sein. Das ist die wirkliche Stärke der wikipedia: das Wissen unterliegt einer dauernden Qualitätskontrolle.

Aber gerät das durch KI in Gefahr, wie der ORF heute in „KI verändert Wikipedia für immer“ nahelegt?

Qualitätssicherung

Man kann es probieren: man kann zu irgendeinem Inhalt seriös klingendes „Wissen“ in die wikipedia eintragen. Im Normalfall wird das nicht lange überleben: Minuten; Stunden; besten- bzw. schlimmstenfalls Tage. Es gibt sogenannte „Administratoren“, die sehr schnell zweifelhafte Beiträge als solche erkennen und markieren oder einfach löschen. Diese Administrator*innen sind von der community der eingetragenen wikipedia-user gewählte Menschen. Daneben gibt es viele erfahrene user, die Beiträge „sichten“ können; d.h. sie können vermerken, ob ein Beitrag auf den ersten Blick offenbar die Qualitätskriterien erfüllt – ohne dass damit bereits eine genaue Qualitätsprüfung verbunden wäre.

Ich habe früher viel in der wikipedia gearbeitet und mir ist deshalb eines Tages die Rolle eines Sichters zugewachsen, ohne dass ich mich je darum beworben hätte. Als Administrator habe ich noch nie kandidiert; das war mir zu viel Arbeit.

wikipedia als Internet-Präsenz?

Vor ein paar Wochen hat mir jemand gesagt, dass sich die Rolle der wikipedia als Internet-Präsenz für Literaten in letzter Zeit stark verändert habe. Der Satz ist verdächtig. Die wikipedia ist nicht als Internet-Präsenz gedacht; sie ersetzt keine „homepage“. Der Satz sagt, dass manche Literatur-Schaffende die wikipedia grundlegend missverstanden haben: als billiges Medium der Selbstdarstellung. Das ist sie aber nicht; jedenfalls ist das nicht ihre Absicht. Ich bin tatsächlich auch schon gebeten worden, „als Administrator“ publizierte Werke von Schriftsteller*innen einzutragen. Ich habe dann klargestellt, dass ich nicht Administrator bin und habe das als normaler user eingetragen, wenn es den wikipedia-Richtlinen entsprochen hat, also relevant genug war.

Das gilt freilich nicht nur für Literat*innen; auch manche Politiker*innen schauen sehr darauf, (1.) dass und (2.) wie sie in der wikipedia präsent sind. Es ist dauernde Arbeit, solche quasi-Internet-Präsenzen auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Es gibt dafür gute Methoden. Man muss es halt tun.

Ich sehe die wikipedia als eines der besten Beispiele für das gute Funktionieren von „Schwarm-Intelligenz“.

die KI als Gefahr?

Nun sehen manche Menschen Künstliche Intelligenz (KI oder AI) als Gefahr für die wikipedia. Der ORF hat das gerade thematisiert. Tatsächlich kann man sich heute von Software wie ChatGPT plausibel klingende Texte schreiben lassen. Die können auch haarsträubende Fehler enthalten: die KI ist so gut, wie man sie sich züchtet. Da kann man auch Literaturquellen faken lassen. Mit miesen Vorgaben entstehen miese Texte; steuert man die KI gut, kann sie Gutes produzieren.

Ich fürchte da aber nicht um die Qualität der wikipedia. Es ist letztlich egal, wer einen Text schreibt, so lange die Qualitätskriterien für Texte eingehalten werden. Textverarbeitung ist (seit es sie gibt) ein gutes Instrument für die technische Qualität von (einfachen) Texten; KI ist ein gutes Instrument für die strukturelle Qualität von (einfachen) Texten. Wichtig ist z.B., ob es zu den Behauptungen eines Texts entsprechende Quellenangaben gibt – und das lässt sich überprüfen.

Der österreichische Staat hat KI als Vorwand verwendet um die Vorwissenschaftliche Arbeit im Rahmen der Reifeprüfung abzulösen. Das war ein Vorwand. Das Problem war nicht KI; das Problem waren schlechte Betreuungsprozesse – deren Auswirkungen ich bisweilen als Maturavorsitzender begutachten durfte. Einem schlechten Betreuer wird nicht auffallen, dass Texte nicht „original“ sind; eine gute Betreuerin sieht den Textwerdungsprozess und weiß, was echt ist und was nicht. Dort hätte man ansetzen müssen: bei der Qualität der Betreuung, nicht bei der Furcht vor KI.

KI würde dann für die wikipedia eine Gefahr, wenn die Betreuung der Textqualität durch die vielen freiwilligen Administrator*innen schwinden würde. Dabei ist es unerheblich, wie viel eines Textes durch KI formuliert worden ist: wenn die KI die Qualitätskriterien eingehalten hat, ist es gut; wenn sie geschludert hat, gehört es raus.

Wenn die wikipedia-interne Qualitätskontrolle schwindet, wird die wikipedia aber auf jeden Fall schlechter: mit oder ohne KI.


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