KI und Deutsch
Gestern habe ich den Link zu einer Umfrage über Probleme, die KI – die „Künstliche Intelligenz“ – bei Deutsch-Lehrer*innen verursacht, erhalten. Ich finde es interessant und begrüßenswert, dass sich die Arbeitsgemeinschaften der Lehrer*innen um die Auswirkungen der KI auf den Unterricht kümmern.
Fragen
Interessant – und zwar nicht nur für D-Lehrer*innen – finde ich zunächst die Fragen. Es wurden folgende 21 Fragen gestellt:
- In welchem Bundesland unterrichten Sie?
- Wie viele Jahre unterrichten Sie schon?
- Wo befindet sich Ihre Schule?
- Als wie versiert würden Sie sich im Bereich der Digitalisierung und ihren Anwendungen bezeichnen?
- Haben Sie in Ihrer Unterrichtstätigkeit (Vorbereitung, Stunde, Nachbereitung) schon künstliche Intelligenz eingesetzt?
- Falls Sie mit „ja“ geantwortet haben, geben Sie bitte stichwortartig an, wofür Sie die KI konkret genutzt haben.
- Haben Sie schon einmal festgestellt, dass Ihre Schüler:innen KI-Anwendungen verwenden?
- Falls Sie mit „ja“ geantwortet haben, woran wurde das Ihrer Meinung nach deutlich?
- Behandeln Sie das Thema „Künstliche Intelligenz“ in Ihrem Unterricht?
- Welche dieser Möglichkeiten von ChatGPT oder anderen KI-Anwendungen nutzen Sie im Unterricht bevorzugt oder bieten Sie Ihren Schüler:innen an, um ihre Leistungen zu verbessern?
- Hat der leichtere Zugang zu KI Ihre Unterrichtsmethoden und Unterrrichtsziele verändert?
- Falls Sie mit „ja“ geantwortet haben, was hat sich konkret verändert?
- Gerade das Zusammenspiel von KI und VWA wurde zuletzt häufig diskutiert. Folgend finden Sie einige Bedenken, die im Diskurs immer wieder geäußert werden. Welchen dieser Bedenken stimmen Sie besonders zu? Bitte kreuzen Sie fünf Antworten an.
- Immer wieder werden aber auch positive Aspekte genannt. Welchen dieser Aspekte stimmen Sie besonders zu? Bitte kreuzen Sie fünf Antworten an.
- Werden diese Aspekte, vor allem aber die Fragen nach Urheberrecht und Plagiat im Rahmen von VWA und Hausübungen, in Ihrer Schule diskutiert?
- Welche Auswirkungen sollten diese Bedenken konkret auf die VWA, die 3. Säule der Matura, haben?
- Inwieweit glauben Sie, dass der Einsatz von KI die Zukunft des Bildungssystems beeinflussen wird? 1: gar nicht 6: es wird kein Stein auf dem anderen bleiben
- Folgend finden Sie einige mögliche positive Auswirkungen der KI auf das Bildungssystem. Kreuzen Sie an, welchen Aussagen Sie zustimmen. Welchen stimmen Sie besonders zu? Bitte kreuzen Sie fünf Antworten an!
- Folgend finden Sie einige mögliche negative Auswirkungen der KI auf das Bildungssystem. Welchen stimmen Sie besonders zu? Bitte kreuzen Sie fünf Antworten an!
- Wie sollen Lehrpersonen am besten auf diese Herausforderungen vorbereitet werden?
- Die Entwicklungen auf dem Gebiet der KI haben auch Auswirkungen auf unsere Testformate. Daher stellt sich die Frage, welche Testformate geeignet sind, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Bitte erklären Sie zum Abschluss dieser Befragung, was sich Ihrer Meinung nach ändern sollte (Formate, LBVo, …).
Meine Antworten
Ich habe mich keinem Bundesland zugeordnet; ich habe eine Unterrichtserfahrung von über 30 Jahren angegeben (bei 0-5, 6-10, 11-20, 21-30, über 30); meine Schule einer „Großstadt“ (über 100.000 EW) zugeordnet und mich im Bereich Digitalisierung als „sehr kompetent“ bezeichnet. (Bei Frage 4 hätte es noch „ausreichend kompetent“, „Grundlagen“, „(noch) nicht sehr kompetent“ und „Dieses Thema ist mir nicht wichtig“ gegeben. Vor allem das letzte item ist lustig: offenbar wird völlig Inkompetenz mit „Thema ist unwichtig“ übersetzt.)
Ich habe Frage 5 wahrheitsgemäß verneint und damit Frage 6 übersprungen. Frage 7 habe ich bejaht und das in Frage 8 folgendermaßen ausgeführt: „durch ungewöhnliche und überraschend aufgetretene „kompetenzen“ in englisch in einem text, den ein schüler als VWA einreichen wollte. (abgewiesen, weil textgenese nicht nachvollziehbar!)“. Tatsächlich hatte ich – nicht als Deutschlehrer, aber als Direktor – einen solchen Fall.
Frage 9 habe ich übersprungen – ich gebe als Pensionist ja keinen Unterricht mehr; in Frage 10 habe ich von den angebotenen Möglichkeiten (Schreibübungen / Textüberarbeitung; Sprachschatzerweiterung; Sprachvergleich, Diskussionsanregungen; Leseverständnis; (inter)kulturelles Lernen; Kreativunterricht (Drehbücher, Kunstimpulse, Theater, Songwriting, …); Grammatik-Check) keines angekreuzt. (Ich habe als Deutschlehrer zwar schon vor vielen Jahren viel mit Schreibübungen und Textüberarbeitung digital gearbeitet, auch in Bezug auf Leseverständnis, aber nicht mit KI, sondern mit dem simplen Werkzeug Textverarbeitung.) In Frage 11 habe ich ein „nein“ angegeben und damit Frage 12 übersprungen.
In Frage 13 – „Zusammenspiel“ KI vs. VWA – habe ich bei den angegebenen Bedenken (Plagiat: Unüberprüfbarkeit des KI-Anteils, mangelnde Transparenz und Nachvollziehbarkeit, Datenqualität und -verzerrung, Manipulationsrisiko, mangelndes kritisches Denken oder mangelnde Analysefähigkeit, Verständnisschwierigkeiten bei der Interpretation komplexer KI-generierter Informationen, Ethik und Verantwortung hinsichtlich Datenschutz, Diskriminierungsaspekte, Gleichberechtigung beim Zugang zu (digitalen) Ressourcen, Überabhängigkeit von Technologie) die hier kursiv gedruckten angekreuzt – ja: ich sehe da erhebliche Anforderungen an VWA-Betreuer*innen auf die Schule zukommen.
In Frage 14 wird nach positiven Aspekten der KI v.a. im Zusammenhang mit der VWA gefragt – welchen man „besonders zustimmt“. Angekreuzt habe ich zunächst nichts vom Angebotenen (Literaturrecherche und -systematisierung; Dateninterpretation; Ideenfindung; Konzeptklärung; Schreibunterstützung; methodische Beratung; Hilfe beim Einhalten wissenschaftlicher Standards; Feedback und Revision; sprachliche Korrektur; multidisziplinäre Perspektiven). Deshalb wollte sich aber dann der Fragebogen nicht abschicken lassen – man musste sich da zu mindestens einem item entscheiden! Ich habe dann noch „Sonstiges“ gefunden und ergänzt „ich stimme keinem dieser aspekte besonders zu“). Ich bin absolut sicher, dass keiner dieser Aspekte im Rahmen einer VWA durch KI „besonders gefördert“ wird. Ja: Vieles mag „einfacher“ werden, aber es ist dann halt eine andere, eine künstliche „Intelligenz“, die da wirkt.
Frage 15 bekam ein „ja“: ja selbstverständlich ist KI ein Thema für den Unterricht. Frage 16 bekam ein „jeder eingriff von KI muss belegt werden. das erfordert eine genaue betreuung“ als Antwort.
In Frage 17 sollte man auf einer Skala von 6 Punkten den Einfluss der KI auf den Unterricht bewerten – von 1 wie „gar nicht“ bis zu 6 „es wird kein Stein auf dem anderen bleiben“. Ich gab da einen 3er. Ja natürlich wird es Änderungen geben, so wie jede technologische Änderung sich im Unterricht auswirkt.
In Frage 18 ging es darum, welchen möglichen positiven Auswirkungen der KI auf das Bildungssystem man „besonders zustimmt“. Die Frage nimmt offenbar Hoffnungen auf, die v.a. junge Deutschlehrer*innen an die KI haben. Es gab Vorgegebenes; das hier kursiv gedruckte habe ich angekreuzt: individuelle Lernunterstützung durch maßgeschneiderte Ressourcen; Barrierefreiheit (z.B. Untertitel, Lesehilfen, …); gesteigerte Effizienz bei Lehrpersonen durch Automatisierung von Routinen (Bewertung, Klassenbuch, …); Sprachunterstützung: Übersetzung in verschiedene Sprachen, Anpassung von Texten an verschiedene Sprachniveaus; datenbasierte Entscheidungsfindung; frühzeitige Erkennung von Lernschwierigkeiten; interaktives Lernen durch KI-basierte Spiele und Simulationen; Kreativitätsboost durch motivierende Schnellimpulse oder Hilfen, wenn der Prozess ins Stocken kommt; ganzheitliches Lernen durch Verknüpfung von Lerninhalten über den gesamten Fächerkanon; Zukunftsorientierung durch den frühzeitigen Erwerb wichtiger Kompetenzen, die in der Arbeitswelt wichtig sein werden; Veränderung der Rolle der Lehrenden: Vom Vortragenden zum Begleitenden und Coach; rapide Zunahme der Medien(hinterfragungs)kompetenz und Selbstständigkeit.
Dementsprechend ging es in Frage 19 um mögliche negative Auswirkungen. Auch da konnte man 5 items ankreuzen, denen man „besonders“ zustimmte; das war mir zu wenig. Angeboten waren 12 items; die 7 hier kursiven habe ich angekreuzt: Veränderung der Rolle der Lehrenden: Anpassungsschwierigkeiten, Autoritätsverlust; Datenschutzbedenken und Fragen, was mit den Daten von allen Beteiligten passiert; digitale Kluft zwischen jenen mit guten und jenen mit unzureichenden Ressourcen; Verlust der menschlichen Interaktion und Beeinträchtigung der sozialen Entwicklung der Schüler:innen; Einheitsbrei durch überhand nehmende Standardisierung; Leistungsdruck durch überwachende, analysierende und bewertende KI; Ethik und Vorurteile: KI kann Diskriminierungen widerspiegeln, die in den Daten vorhanden sind, auf denen sie trainiert wurden; Kosten und Ressourcen (Anschaffung, Wartung, Fortbildung, …); Überwachung, Kontrolle und Eingriff in Privatsphäre; Verlust der Fähigkeit des selbstständigen und kritischen Denkens; rapider Anstieg von Plagiaten; Cybermobbing.
In Frage 20 wurde nach Möglichkeiten der Fortbildung gefragt – ich habe mich für „Lehrveranstaltungen an den Pädagogischen Hochschulen“ und für „schulinterne Fortbildungen“ entschieden. In der abschließenden Frage 21 wurde nach der Veränderung von Testformaten gefragt: da habe ich „verlagerung des schwerpunkts von aufgabestellungen in richtung NI (natürliche intelligenz)“ vorgeschlagen.
Hype, Hoffnung und Ängste
Die Fragen zeigen den momentanen Hype um die KI und die Hoffnungen und Ängste vieler Lehrpersonen.
Ich erhoffe mir – wie man sieht – vom Einsatz der KI sehr wenig: Unterricht wird nicht leichter und auch die Verwaltung des Unterrichts und seiner Ergebnisse nicht wirklich. Lehrerinnen und Lehrer (aller Fächer) müssen aber zusätzliche Kompetenzen entwickeln – nicht so sehr im Bereich KI, sondern eher im Bereich Beratung und Betreuung. Der Weg „vom Vortragenden zum Coach“ hat schon lange begonnen – das ist keine Neuigkeit durch die KI. Der „Lehrervortrag“ ist ein Relikt alter Zeiten: das werden viele ältere Kolleginnen und Kollegen vielleicht noch lernen müssen, aber das müssten sie an sich schon längst, nicht erst seit dem Aufkommen von „KI“. Beratung und Betreuung setzen aber eine gewisse interessierte Zuwendung voraus.
Ein Modellbeispiel kann ein Erlebnis sein, das ich als Direktor hatte. Ein Studierender legte eine Arbeit vor, die er als VWA angerechnet haben wollte. Seine Englischnoten waren mittelprächtig; das Englisch des vorgelegten Texts war wesentlich besser. Die Argumentationen im Text waren manchmal nachvollziehbar, oft aber auch nicht, obwohl sie scheinbar vernünftig klangen und sich um wohlklingenden Bildungswortschatz rankten. Eine Betreuung – wie für eine VWA vorgesehen – gab es nicht: der Text hatte keine nachvollziehbare Entstehungsgeschichte, die Genese des Texts lag im Dunkeln. Ich habe ihn letztlich deshalb abgelehnt, nicht ohne mich davor mit Argumentations- und Sprachqualität intensiv auseinanderzusetzen. Im Rahmen einer wirklichen VWA muss so eine Auseinandersetzung stattfinden und dann macht es auch nichts aus, wenn einmal ein Textausschnitt aus einem KI-Programm stammt (und auch so korrekt zitiert wird).