Am Freitag (2.6.) wurde in der Zeit im Bild 2 des ORF der Startenor Jonas Kaufmann (JK) als neuer, „designierter“ Intendant der Festspiele Erl vorgestellt und von Marie Claire Zimmermann (MCZ) interviewt. Das Interview – Transkript s.u. – hinterlässt kritische Fragen.
Zusammenfassung
Es ist Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner offenbar gelungen, mit dem sehr bekannten „Startenor“ Jonas Kaufmann einen mehr als vollwertigen Ersatz für den vermeintlichen Stardirigenten Gustav Kuhn zu finden. Kuhns Tätigkeit hatte in Erl 2018 ja zu zahlreichen Skandalen – oder einem einzigen monströsen Multi-Skandal – geführt: sehr sorgfältig dokumentiert auf dietiwag.org des Tiroler Bloggers Markus Wilhelm (thread 1, thread 2). Es ging um sexuelle Übergriffe auf Musikerinnen, um „Lohndumping, […] Lohnwucher, Scheinselbständigkeit, Abgabenhinterziehung, […] Verstoß gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz, Arbeitsverfassungsgesetz, Arbeitszeitgesetz, Arbeitsruhezeitgesetz, Urlaubsgesetz, […] Umgehung des Dienstvertrages, Aushebelung des Urheberrechtsgesetzes usw.“ und letztlich auch um Plagiatsvorwürfe gegen Kuhn bzw. seine Dissertation. Es kam zu einer Menge an Klagen gegen Wilhelm, die dieser fast alle gewann.
Jonas Kaufmann übernimmt also eine Hypothek; der Ruf Erls ist ramponiert; es geht darum, ihn aufzupolieren.
Zunächst gibt Kaufmann zu (JK 4), die Zeit bis zum Beginn seiner Intendanz im Herbst sei sehr knapp bemessen und er müsse „also sehen, was [ihm] am Musikmarkt noch übrigbleibt von großartigen KollegInnen“. Kaufmann wolle für das Sommerprogramm bei Richard Wagner bleiben – warum eigentlich Wagner? Der wird doch schon in Bayreuth hinauf und hinunter gespielt – und beim italienischen Belcanto (Donizetti, Rossini, Bellini, Verdi). Für den Winter, wo nur das Festspielhaus zur Verfügung stehe, wolle man sich auf „kleinere Produktionen“ konzentrieren, „einen sehr bekannten Titel […] Oder zwei, um eben den Bedürfnissen gerecht zu werden von Menschen, die vielleicht nicht jeden Tag in die Oper gehen. Dinge, die man auch als Halb-Laie genießen kann.“ Also Dinge für „Halb-Laien“ – Freunde von mir haben das für ganz schön herablassend empfunden.
Zimmermann fragt dann nach den Marktbedingungen für Oper (MCZ 5): „Haben wir einen genügend großen Markt?“ Und Kaufmann (JK 6) vertraut da vage auf eine „extrem hohe Kultur-Affinität“ der österreichischen Bevölkerung und darauf, dass man zwischen Bregenz und Salzburg „vielleicht in einen Slot hinein“ geraten könne und auf „vielleicht durch den Namen Kaufmann produzierten Vorschusslorbeeren eine Ernte einfahren“ könne. Also sehr fundiert scheint mir das nicht: viel vielleicht.
Zimmermann kommt dann noch auf die jüngere Skandal-Vergangenheit Erls zu sprechen (MCZ 7). Sie spricht von „Machtmissbrauch“. Kaufmann (JK 8) antwortet darauf mit einer „Ombudsperson“ und „Compliance-Regeln“ – Dinge, die schon nach Kuhn eingeführt wurden, aber es sei „mit nichts zu garantieren“. Kaufmann bezieht die Frage nach dem Machtmissbrauch offenbar vor allem auf den sexuellen Missbrauch und bezieht das auch auf die „Machtposition“ als Intendant, in der man „vielleicht unbewusst, vielleicht bewusst“ Druck ausüben könne. Den Fragenkomplex der Ausbeutung von Künstler*innen (Lohndumping, Lohnwucher, Verstoß gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz, Arbeitsverfassungsgesetz, Arbeitszeitgesetz, Arbeitsruhezeitgesetz, Urlaubsgesetz) versucht Kaufmann stillschweigend zu umschiffen. Kaufmann räsoniert über „diese gefährliche Zwickmühle“ „auf der Bühne Dinge zu tun um des Erfolgs des Stückes willen, die dann aber schon über die Grenze des Akzeptablen hinausgehen“. Und das in einer Doppelrolle als Sänger und Intendant?
Insgesamt: vielleicht gibt es einen Zeit-slot, in dem Künstler, die noch übrig geblieben sind, in Erl auftreten können. Er will im Sommer Wagner machen – offenbar für „großes“ Publikum – und im Winter Kleineres, auch „für Halb-Laien“. Kaufmann traut sich zu, „vielleicht bewusst“ Druck auszuüben, vielleicht aber auch unbewusst. Und man wird sich genau ansehen müssen, wie in Erl die Arbeitsgesetze eingehalten werden und die Löhne bezahlt werden und wie man mit der „Grenze des Akzeptablen“ umgeht. Und wie Steuergelder eingesetzt werden.
Insgesamt macht das für mich keinen wirklich soliden Eindruck und stimmt mich nur wenig optimistisch.
Der Wortlaut des Interviews
nach den Untertiteln in der ZiB 2.
MCZ 1
Jonas Kaufmann, den designierten Intendanten der Festspiele, begrüße ich jetzt in unserem Landesstudio in Salzburg.
Sie sind auf den großen Bühnen der Welt zu Hause. Was zieht Sie nach Erl?JK 2
Es ist eine neue Herausforderung, die ich wahrscheinlich tief im Inneren schon immer gesucht habe. Das Singen macht mir Spaß. Aber ich will versuchen, ein kleines bisschen weniger auf der Bühne zu stehen und mehr daheim zu sein. Erl ist, von Wien aus betrachtet, vor der Haustür von Salzburg. Und als diese Idee aufkam, was für mich am Anfang etwas völlig Fremdes war, hat sich in wenigen Tagen und Wochen dann immer weiterentwickelt und mich hat der Gedanke nicht mehr losgelassen. So habe ich meinen Hut in den Ring geworfen und die Kommission überzeugen können. Auch wenn sich der Titel Intendant noch seltsam anfühlt.
MCZ 3
Der Name Jonas Kaufmann wird auch über die Grenzen von Tirol hinweg anziehend wirken. Was soll im Sommer passieren und was soll im Winter passieren?
JK 4
Natürlich habe ich schon intern ein Papier, was mir bis zum Ende meiner Amtszeit 2030 vorschwebt. Aber ob das alles genau so passiert, kann man noch nicht sagen. Es ist in der Opernwelt alles langfristig geplant. Dementsprechend ist der Herbst ’24, der Beginn meiner Amtszeit sehr knapp. Ich muss also sehen, was mir am Musikmarkt noch übrigbleibt von großartigen KollegInnen. Das Programm wird im Sommer Wagner heißen. Neben den Wagner-Opern, den bekannten zehn, die wir hoffentlich alle früher oder später wieder präsentieren können, wird es dann Begleitung vom Belcanto geben. Ob das Donizetti, Rossini oder Bellini ist oder ein Verdi. Es gibt Zeitgenossen von Wagner. Und die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Und auch Zeitgenössisches. Es soll ein buntes, hochkarätiges Programm im Sommer werden. Und im Winter werden wir keinen Wagner spielen, weil man da „nur“ im Festspielehaus ist und das eher für kleinere Produktionen ideal scheint. Ich kann mir vorstellen, einen sehr bekannten Titel zu spielen. Oder zwei, um eben den Bedürfnissen gerecht zu werden von Menschen, die vielleicht nicht jeden Tag in die Oper gehen. Dinge, die man auch als Halb-Laie genießen kann.
MCZ 5
Jetzt gibt es in Österreich einige Festivals und Festspiele, auch einige Theater und Opernhäuser. Und nach der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass nicht alle Häuser ihr Publikum zurückbekommen konnten. Haben wir einen genügend großen Markt?
JK 6
Also ich weiß, dass es international überall einen Rückgang in Sachen Kultur- oder Musikbesuchen gibt. Österreich ist da noch das Land der Glückseligen im Verhältnis zu anderen Ländern, weil hier doch irgendwie eine eine extrem hohe Kultur-Affinität über die gesamte Bevölkerungsbreite stark verbreitet ist. Und das müssen wir ausnutzen. Es gibt viele Mitbewerber übers Jahr verteilt. Und wir wollen nicht versuchen, das Gleiche und noch mehr zu machen, wie man vielleicht in Bregenz oder in Salzburg zu sehen bekommt. Aber in den paar Wochen, die wir im Sommer zur Verfügung haben, geraten wir vielleicht in einen Slot hinein, in dem eben nicht alle anderen auch spielen und in denen wir die Chance haben, gute Produktionen, gute Sänger zu einer Kombination zu schnüren, die es so attraktiv macht, dass wir nach den vielleicht durch den Namen Kaufmann produzierten Vorschusslorbeeren auch eine Ernte einfahren dürfen.
MCZ 7
Ein ernstes Thema möchte ich noch ansprechen. Vor einigen Jahren hat es in Erl eine Debatte und Machtmissbrauch gegeben. Mittlerweile gibt es aus verschiedenen Bereichen, auch aus verschiedenen Bereichen in der Kultur Beschwerden, Skandale. Was muss geschehen, um Machtmissbrauch hintanzuhalten? Werden Sie etwas implementieren, ein Konzept, das solche Dinge verhindert?
JK 8
Es ist ein sehr sensibles Thema. Es ist gerade in dem Berufszweig der Musiker und der Schauspieler ein großes Thema, weil da teilweise bis an die Erschöpfungsgrenze Grenze gearbeitet wird. Und es gibt offenbar niemanden, der dann die Akteure schützt, sondern man diesem allgemeinen Druck nachgibt und weiterarbeitet. Das ist ein sanfteres Feld, das ich da anspreche, als das, was damals anscheinend in Erl passiert ist. Es ist mit nichts zu garantieren. Aber wir haben eine Ombudsperson in Erl installiert. Es gibt Compliance-Regeln. Es wird alles sehr streng überwacht. Und das hat auch seinen Grund. Ich mache mir wenig Sorgen um Erl persönlich, weil durch diesen Skandal es einer der ersten Plätze war, an denen die Aufmerksamkeit für solche Dinge viel höher geworden ist, als man das zu der Zeit noch im Kulturbetrieb gehalten hat. Aber es ist richtig, man muss sehr aufpassen. Ich als Intendant bin jetzt genau in so einer Machtposition, von der aus man vielleicht unbewusst, vielleicht bewusst, eben diesen Druck auf andere ausüben kann. Und wenn ich dann vielleicht in Personalunion als Intendant und Sänger auch noch auf der Bühne stehe, muss ich noch vorsichtiger sein, dass ich nicht in diese gefährliche Zwickmühle komme, auf der Bühne Dinge zu tun um des Erfolgs des Stückes willen, die dann aber schon über die Grenze des Akzeptablen hinausgehen. Natürlich muss ich in diesem Bewusstsein sehr vorsichtig vorgehen. Und dabei trotzdem versuchen, möglichst nahes, realistisches Theater zu kreieren.