Ich bin kein Innsbrucker Bürger mehr; ich habe meinen ordentlichen Wohnsitz in Vorarlberg. Aber mit der Stadt, in der ich studiert habe, an deren Uni ich Assistent war, wo ich politischer Geschäftsführer und Lehrer und Schuldirektor war und in Pension gegangen bin, verbindet mich immer noch viel. Insofern sind mir die Wahlen am 14.4. nicht egal.
Wahlrecht und Kandidieren
Es kandidieren insgesamt 13 Listen; das ist eine mehr als bei der letzten Wahl 2018. Scheinbar hat sich nicht viel verändert, aber es sind Listen verschwunden und neue aufgetaucht. Auch im Wahlrecht hat sich einiges verändert: früher konnte man Kandidaturen „koppeln“: d.h. 2 oder mehr Listen wurden zunächst als eine ausgewertet und dann wurden die gemeinsam errungenen Mandate aufgeteilt. Damit konnte man Stimmenverluste minimieren: wenn die eine Liste etwa 3,6 (also 3) Mandate erzielt hätte und die andere 0,5 (also 0), ergab das immer noch 4 Mandate. Damit war auch eine gewisse Form der „Variabilität“ innerhalb eines „Lagers“ oder eine gewisse Form der Wählerirreführung möglich. Z.B. kandidierte der „Tiroler Seniorenbund“ gekoppelt mit der ÖVP, sozusagen als „Teil“ der ÖVP, aber scheinbar als eigene Liste.
Noch wichtiger: Früher gab es keine legistische Prozentgrenze für ein Mandat im Gemeinderat. Bei 40 Mandaten konnte man also – über den Daumen gepeilt – mit ca. 2,5% der gültigen Stimmen auf ein Mandat hoffen. Jetzt, für 2024, gibt es eine 4%-Hürde. Wer keine 4% erzielt, bekommt keine Mandate.
Das führt nun z.B. dazu, dass die Liste des ÖVP-Seniorenbunds wirklich in der ÖVP aufgegangen ist und nicht mehr (scheinbar) „eigenständig“, nämlich gekoppelt antritt. Das schwarz-türkise Lager hat gelernt: auch die ehemalige Bürgermeisterin-Liste „Für Innsbruck“ gibt es nicht mehr. Alle zusammen kandidieren unter dem Namen TURSKY. Aber der Lernprozess war nicht nachhaltig: er hat mit der Liste JA des schwarzen Ex-Vizebürgermeisters eine neue „Abspaltung“ generiert, die nun nicht mehr koppeln kann.
Die „Piraten“ sind weggefallen und eine Liste (scheinbar) der „Bürgerinitiativen“. Trotzdem sind es nun eine mehr.
Wer kandidiert?
Man findet auf der web site der Stadt schnell eine Liste der kandidierenden Listen und der jeweiligen Bürgermeister-Kandidaten (9) bzw. -Kandidatinnen (4). Es kandidieren:
Liste |
Name |
Kurzbez. |
Anz. |
Bgm- |
1 |
Georg Willi – Die Innsbrucker Grünen |
GRÜNE |
80 |
Georg Willi |
2 |
FPÖ – Rudi Federspiel |
FPÖ |
61 |
Markus Lassenberger |
3 |
Florian Tursky – Das Neue Innsbruck (Für Innsbruck, Volkspartei, Senioren) |
TURSKY |
80 |
Florian Tursky |
4 |
NEOS Innsbruck |
NEOS |
40 |
Julia Seidl |
5 |
Liste Fritz – Bürgerforum Tirol |
FRITZ |
55 |
Andrea Haselwanter-Schneider |
6 |
Liste Gerald Depaoli – Gerechtes Innsbruck – Die Unbestechlichen |
GERECHT |
24 |
Gerald Depaoli |
7 |
Alternative Liste Innsbruck – Mesut Onay |
ALI |
79 |
Mesut Onay |
8 |
Sozialdemokratische Partei Österreichs |
SPÖ |
80 |
Elisabeth Mayr |
9 |
EINIG Innsbruck – Liste Helmut Reichholf |
EINIG |
10 |
Helmut Reichholf |
10 |
JA – Jetzt Innsbruck – Johannes Anzengruber |
JA |
80 |
Johannes Anzengruber |
11 |
TUN – Transparente Unabhängige Neue Gesellschaft |
TUN |
8 |
Franz Christian Veber |
12 |
Die Unabhängigen – Innsbruck |
DU-I |
9 |
Helmut Buchacher |
13 |
Kommunistische Partei Österreich (KPÖ) |
KPÖ |
16 |
Pia Tomedi |
Neu sind hier die Listen TURSKY (als Vereinigung von „Für Innsbruck“, der ÖVP und des Seniorenbunds), EINIG, JA, TUN und DU-I. JA ist die Liste des ehemaligen ÖVP-Vizebürgermeisters Anzengruber, TUN hat einen ehemaligen Grün-Aktivisten als Listenersten, DU-I einen ehemaligen SPÖ-Gemeinderat. Die Menschen auf EINIG kenne ich politisch nicht. Auch die KPÖ ist auf Gemeinderatsebene in Innsbruck neu: sie hatte 2018 nicht kandidiert.
Eine Liste aller Kandidatinnen und Kandidaten findet sich hier zum Download.
Was bedeutet die „Anzahl der Kandidat*innen“?
Mir ist schon klar, dass es nicht primär um die Quantität der Kandidat*innen geht, sondern um ihre Qualität. Aber ich weiß aus der Erfahrung als politischer Geschäftsführer und als Gemeinderat, wie schwierig oder wie leicht es sein kann, Menschen zum Kandidieren zu bewegen. Insofern zeugt eine lange Liste schon von einer gewissen „Basis“. „Volle“ Listen mit der Maximalzahl von 80 Kandidat*innen haben geschafft: die GRÜNEN, Tursky mit dem ÖVP-Bündnis, die SPÖ, Anzengruber mit seiner ÖVP-Abspaltung und beinahe auch die Alternative Liste mit 79 Kandidat*innen.
Seltsames
Es gibt ein paar seltsame Dinge bei diesen Kandidaturen. Z.B. wird die Spitzenkandidatin von FRITZ, Frau Andrea Haselwanter-Schneider, auf der web site des Landes noch als Bewohnerin von Oberperfuss geführt. Auch in der Tiroler Tageszeitung findet man eine dementsprechende Seite. Tatsächlich hat sich Frau Haselwanter-Schneider offenbar Ende 2023 einen ordentlichen Wohnsitz in Innsbruck verschafft, gerade noch rechtzeitig für eine Kandidatur als Bürgermeisterin. Wie seriös ist das?
Seltsam ist der Beruf des Listenersten der Liste TURSKY: „Staatssekretär a.D.“ steht da. Ist das ein Beruf? Ehrlich wäre vielleicht „Politiker“, aber das kommt offenbar nicht gut. Florian Tursky signalisiert mit dieser Berufsbezeichnung aber schon ein gewisses Interesse an einer politischen Karriere auf Bundesebene. Die Frage stellt sich: wie lange wird Innsbruck ein „Staatssekretär a.D.“ als Bürgermeister oder auch bloß als Gemeinderat erhalten bleiben? Wird es 2025 noch einen Gemeinderat Tursky geben? (Dabei ist Tursky als Staatssekretär für Digitalisierung allgemein kaum durch besondere Leistungen oder gar Erfolge aufgefallen; er kann jetzt offenbar durch die „halbe“ Frau Plakolm ersetzt werden. Mir ist er am 5.9.22 schon aufgefallen, aber nicht positiv.)
Auch bei Johannes Anzengruber steht als Beruf „Vizebürgermeister a.D.“. Ja, er ist gerade noch rechtzeitig von seinen ehemaligen Klubkolleg*innen als Vizebürgermeister abgewählt worden. Aber ist ein „Vize a.D.“ tatsächlich ein Beruf? Oder hier eher eine Berufung? Jedenfalls signalisiert Anzengruber im Gegensatz zu Tursky durchaus ein lokales politisches Interesse.
Wen ich gar nicht verstehe: Herbert Buchacher. Er macht eine eigene Liste für den Gemeinderat, weil ihm Andreas Babler, der SPÖ-Bundesvorsitzende, zu links ist. Echt? Herr Buchacher führt als Beruf „Gemeinderat“ an. Ich denke, da kündigt sich ein Berufswechsel an.
Was mir abgeht: ein „Plus“ bei der KPÖ – wie etwa in Salzburg. Wir haben eine 4%-Hürde zu überspringen. 2018, bei der letzten Gemeinderatswahl, gab es diese Hürde noch nicht; die KPÖ ist damals gar nicht angetreten; die ALI hatte 2,4% vorzuweisen. Da wäre für mich ein „joint venture“ naheliegend. Ich weiß nicht, ob das Potenzial von ALI und KPÖ so groß ist, dass sich jeweils mehr als 4% und damit Mandate ausgehen – ich kanns mir nicht wirklich vorstellen. Ich sehe ein doppeltes Scheitern kommen. Wie schade!
Überhaupt: die Ausgangsbasis
Wie schon erwähnt: 2018 war manches noch anders. Keine 4%-Klausel, dafür Koppelungen möglich.
Das Ergebnis in Stimmenprozenten und Mandaten war:
Liste | ÖVP | FI | Grüne | SPÖ | FPÖ | NEOS | TSB | Fritz | ALI | Ger.I. | BI | Pirat |
in Prozent | 12,2% | 16,2% | 24,2% | 10,3% | 18,6% | 4,7% | 2,7% | 3,2% | 2,4% | 3,1% | 2,1% | 0,4% |
Mandate: | 5 | 7 | 10 | 4 | 8 | 2 | 1 | 1 | 1 | 1 | 0 | 0 |
Für ein Mandat benötigte man 2,6% oder 1.182 Stimmen (die Mandatszahl war 1182,43). 10 Fraktionen im Gemeinderat! So sah es dann manchmal auch aus, vor allem, weil sich manche – vor allem das sog. „Gerechte Innsbruck“ – auf Krawall bürsteten.
Dabei war das schwächste und wackeligste Mandat das 7. der FI; die Grünen waren knapp am 11. Mandat gescheitert.
Das kann man mit der heutigen Situation nicht mehr direkt vergleichen. Unter heutigen Bedingungen wäre das Ergebnis damals gewesen:
Liste | ÖVP | FI | Grüne | SPÖ | FPÖ | NEOS |
in Prozent | 12,2% | 16,2% | 24,2% | 10,3% | 18,6% | 4,7% |
Mandate: | 6 | 7 | 11 | 5 | 9 | 2 |
… und: husch!, wären 11,4% aller gültigen Stimmen gar nicht mehr im Gemeinderat repräsentiert gewesen. Nur mehr gut überblickbare 6 Fraktionen im Gemeinderat!
Das wird jetzt so kommen. Ich sehe für die neuen „kleinen“ Listen nur wenig Chancen.
Wen würde ich wählen?
Eine m.E. sehr wichtige Frage bei einer Gemeinderatswahl ist die Frage nach dem Problembereich Wohnen. Da gehört das Schlagwort vom „leistbaren Wohnen“ hin; da gehören auch realistische Konzepte einer relevanten Leerstandsabgabe hin. Parteien, die nicht für eine solche Abgabe sind, sind m.E. nicht wählbar. Und Parteien, die keine glaubwürdige urbane Ökologie-Politik vorweisen können, auch nicht: man kann & muss den menschengemachten Klimawandel auch im urbanen Bereich bekämpfen. Wir brauchen den weiteren Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel; wir brauchen die flüssige und selbstverständliche Kombination aus Öffi und Fahrrad. Und wir brauchen eine Politik gegen die Armut, nicht gegen die Armen.
Als Bürgermeister würde ich sicher Georg Willi wählen. Was ich als Liste wählen würde? Ich schwanke: zwischen Grünen, SPÖ, ALI und KPÖ. An ALI und KPÖ stört mich das Eigenbrötlertum auf niedrigem Niveau, das gegenseitige Fehlen des „Plus“. Diese Zeiten sind vorbei.
[…] 4-Prozent-Hürde zu überspringen, finde ich ein sehr gutes Zeichen; das stimmt mich hoffnungsfroh. Damit hatte ich nicht gerechnet; da habe ich mich getäuscht. Und das lässt andere Verluste leichter […]