michael bürkle

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Michael Bürkle

Die Hochkultur und das Kleid

Heute kommt mir die (vermutlich insgesamt doch) seriöseste aller österreichischen Tageszeitungen – der Standard – auf Seite 1 mit einem großen Bild einer Dame in einem roten Kleid auf den Tisch. Nein: nicht irgendeine Dame – die Buhlschaft Caroline Peters ist es, als „‚Jahrhundert-Buhlschaft‘ in Kleid mit Rock und Hose“.

„Einmal im Jahr erhält ein Theaterkostüm höchste Aufmerksamkeit“, erklärt mir der Standard. Die Robe der Buhlschaft sei „von Kostümbildnerin Renate Martin in 200 Arbeitsstunden aus roter Chiffon-Seide aus Mailand genäht“ worden, erfahre ich auf Seite 1.

Schon gestern hatte ich es auf der Web-Seite des ORF gelesen: unter dem Titel „Hey Nude!“ Da hatte ich erfahren, dass die Buhlschaft 2 Kleider hat: eines in der Farbe Rot, eines in der Farbe „Nude“. (Nein, natürlich muss die Buhlschaft nicht „nude“ = nackt auf den Domplatz zu Salzburg.) „Über 500 Stunden hat man in den Kostümwerkstätten der Salzburger Festspiele an den zwei Kleidern gearbeitet“, hatte ich da schon erfahren. In welchen zwei Kleidern die Buhlschaft erscheine, dieser Frage komme „durchaus nationale Bedeutung“ zu, hatte man mir verklickert.

Glücklich wäre ein Land, in dem die Frage nach dem Kostüm einer wichtigen Nebenrolle eines altmodischen Theaterstücks „nationale Bedeutung“ bekommt.

Aber es stimmt nicht. So glücklich ist Österreich nicht. Es gibt wirkliche, echte Probleme, auch wenn manche Leute sie nicht sehen (wollen).

Das ganze Hochkulturgetue in Salzburg stimmt nicht. Schon lange nicht mehr. Da wird Tourismuswerbung betrieben. Und die Selbstdarstellung der Reichen und Superreichen. Da wird diesen Superreichen und Reichen das Spiel vom Sterben des reichen Mannes vorgeführt – unter dem grundfalschen Titel „Jedermann“. Ja, da kommt auch der Reiche am Schluss in den Himmel – weil er Almosen gegeben hat. Ja, da spielt es eine Rolle von „nationaler Bedeutung“, in welchen Fetzen die wichtigste weibliche Nebenrolle ihre paar Sätze sagen darf, die sie das Textbuch gerade noch sagen lässt. (Ganze 51 Zeilen hat sie.) Da wird die Frage, ob sie unter dem Kleid noch eine Art Hose trägt, zum quasi-feministischen Anliegen erklärt.

Ein großes Missverständnis, das als KULTUR zu betrachten.

Keine Steuergelder für solche Festspiele! Die österreichische Tourismusindustrie soll sich diese Dinge selber finanzieren.


P.S.:
Wesentliches zum Stück wurde schon 1958 von den damaligen Größen des österreichischen Kabaretts (Helmut Qualtinger, Georg Kreisler, Gerhard Bronner, Peter Wehle und last not least Louise Martini) als Jedermann-Kollapso formuliert.


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