Zunächst zur nahen Vergangenheit:
Glawischnigs Rücktritt
Eva Glawischnig ist zurückgetreten. (Ich hatte sie schon am 1.4. darum gebeten.) Mit ihr als Bundessprecherin haben die Grünen schöne Erfolge eingefahren, und sie hat deshalb derzeit eine enthusiasmierte Nachrede.
Meiner Meinung nach hat Glawischnig in ihrer Karriere als Parteipolitikerin einen einzigen großen Fehler begangen: den Ausschluss der eigenen Jugendorganisation zu betreiben und geschehen zu lassen. Meiner Meinung nach hat sie einen mittleren Fehler gemacht: sie hat ihren Rücktrittszeitpunkt zu spät und ungünstig gewählt. Die Partei ist 5 Monate vor der Nationalratswahl auf falschem Fuß erwischt. Glawischnig hat aber viele kleine Fehler gemacht: sie hat in zahllosen Interviews und Pressekonferenzen die Grünen als verbissen, verbiestert und oberlehrerhaft vermittelt und sie hat die Grünen zu wenig positiv mit grünen Zielen und vor allem in Ablehnung anderer (der FPÖ) definiert. Das hat in den letzten Jahren bundesweit zu Stagnation zwischen 10% und 12% geführt. Wie ist mir das auf die Nerven gegangen, die Grünen immer nur als Gegenkraft zur FPÖ dargestellt zu sehen! (Als Gegenkräfte zur FPÖ hatten die Grünen immer Konkurrenz, niemals eine „unique selling proposition“.)
Tragisch eigentlich, wenn eine große Begabung an einem einzigen großen Fehler mit einem mittleren Fehler enden muss.
In Glawischnigs letzten Statement sind ein paar sehr seltsame Sätze gefallen:
– zum Erfolg bei der Kärntner Landtagswahl: „Das war übrigens das einzige Mal, wo mir Johannes Voggenhuber gratuliert hat.“
Was hat dieser Satz in einer Rücktrittsrede zu tun? Welche Ressentiments schwingen hier mit?
– Dann über Präsident van der Bellen: „Der erste grüne Präsident Europas.“
Das ist bösartig und falsch. Bösartig gegenüber dem Präsidenten und gegenüber Tausenden Nicht-Grünen, die ihn gewählt haben. Und es ist kontraproduktiv, wenn es den Grünen nutzen soll. Nein, van der Bellen ist als überparteilicher Kandidat mit grüner Unterstützung angetreten. Das ist auch in einer Abschiedsrede zu respektieren.
– Dann über Strache und sich selbst: „Nur Strache teilt mein Dienstalter. Und ich sage jetzt ganz ein bisschen spöttisch: Ich glaube, ich sehe noch nicht so alt aus, wie mein Dienstalter eigentlich sein sollte.“
Was soll das? Hier? Wer hat sie bei diesem Satz beraten? Was will sie damit vermitteln? Dass sie immer noch fescher als Strache ist?
Bei allen Erfolgen, die nicht Eva Glawischnig allein erzielt hat, sondern die von vielen FunktionärInnen und WählerInnen mithilfe und manchmal auch trotz Eva Glawischnig erzielt wurden: früher wäre besser gewesen.
Die Zukunft
Ingrid Felipe, Tiroler LH-Stellvertreterin, wird als Hauptkandidatin für die Bundessprecherei gehandelt. Aber sie will nicht nach Wien. Sie hat als Landeshauptmannstellvertreterin in Tirol viel zu tun; sie will wieder im Land Tirol kandidieren; sie ist Alleinerzieherin eines Sohns, den sie nicht aus seiner gewohnten Umgebung reißen will. Sie ist humorvoll, geistesgegenwärtig, (verbal) schlagfertig, in wichtigen grünen Politikfeldern gut ausgewiesen. Und sie ist stellvertretende Bundessprecherin.
Ich hoffe auf Werner Kogler. Er ist ein ausgewiesener Kenner der Wirtschaftspolitik, er ist ein glaubwürdiger und verdienter Kämpfer gegen Korruption und Rechtspopulismus verschiedener Sorten. Er ist Finanzsprecher und Europasprecher der Partei. Und er ist stellvertretender Bundessprecher.
Ich schlage hiermit vor, bis auf Weiteres keinen Bundessprecher, keine Bundessprecherin zu wählen. Die beiden StellvertreterInnen sollen das wahrnehmen. Sie sollen die Aufgabe teilen. (Man kann das auch offiziell beschließen.) Wenn der ORF nachfragt, wer zur Diskussion kommt: die beiden sollen sich das ausmachen. („Heute ist für die Grünen Bundessprecher… zu Gast“.) Spitzenkandidat auf der Bundesliste sollte Kogler werden. (Ingrid Felipe soll am Bundeskongress für ihn werben.) Felipe soll Landeshauptfrau werden.
(In Deutschland haben die so was schon lang. Und es kann gut funktionieren.)
Felipe ist Handballerin. Kogler war jedenfalls ein ganz passabler Fußballspieler. Diese Parteiführung hätte Hand und Fuß. Kopf und Herz auch.
jo mei, dann halt nicht. ich glaub, mein vorschlag wär besser gewesen.
wenn man bei einer ausgangslage von 12,4% ein „zweistelliges ergebnis“ als ziel formuliert (die vermutete spitzenkandidatin ulrike lunacek im heutigen mittagsjournal), dann strebt man also eine niederlage an.
ich verstehs nicht. 10% kann kein ziel sein.
(warum „vermutete spitzenkandidatin“? weil listen von kandidatInnen immer noch vom grünen bundeskongress gewählt werden müssen. der erweiterte bundesvorstand hat dem bundeskongress lunacek nur als spitzenkandidatin empfohlen.)
lunacek will – auch im mittagsjournal – nicht so sehr „vereinigte staaten von europa“, sondern eine „europäische republik“. mir ist das als langziel an sich kein problem, aber zuerst würde ich doch eine demokratisierung der europäischen union fordern und herstellen. dann sähe der weg zur republik gleich deutlich realistischer aus. und würde deutlich weniger ablehnung hervorrufen.
Ein geradezu prophetischer Beitrag, wenn man sich ansieht, wer seit 17.10. tatsächlich grüner Bundessprecher ist. Reife Leistung. 🙂 Was die Fehler von Eva Glawischnig angeht: Ich denke, einige dieser Fehler, die du hier aufgezählt hast, kann man nicht nur Glawischnig alleine vorwerfen. Sondern die haben sich leider innerhalb der Grünen im Laufe der Jahre immer weiter ausgebreitet. Stichworte: verbissen, oberlehrerhaft, vor allem in Ablehnung anderer (der FPÖ) definiert. Tatsache ist, wir Grünen(*) werden bereits seit längerem als Partei wahrgenommen, die gerne oberlehrerhaft agiert und die bei Kritik (auch konstruktiver) an den eigenen Positionen recht schnell damit bei der Hand ist,… Mehr »