Das grüne Nationalratswahlergebnis – 3,9% Prognose heute am 16.10. – ist eine Katastrophe für die grüne Partei und ein ernstes Problem für die österreichische Politik. Auch wenn es sich mit dem Einzug in den Nationalrat mit der Auszählung von Wahlkarten noch ausgehen sollte: Katastrophe bleibt es. Es sieht derzeit nicht nach Nationalratsmandaten aus: auch finanziell wäre das eine Katastrophe für eine Partei, die kaum von Mitgliedsbeiträgen und Spenden, sondern vor allem von der staatlichen Parteienförderung lebt. Das Überleben der grünen Partei ist derzeit in Gefahr; machen wir uns nichts vor. Aus welchem Geld soll mittelfristig eine Bundeszentrale finanziert werden? Sollen die Landesorganisationen Personal abbauen, damit es noch eine Zentrale geben kann?
Die offiziellen Gründe
Einige Gründe für das Wahldebakel werden in der Presse regelmäßig genannt: der öffentlich ausgetragene Streit mit der eigenen Jugendorganisation mit abschließendem Ausschluss der Jugend, der (viel zu späte) Rücktritt der Bundessprecherin Glawischnig, die Nicht-Wahl von Peter Pilz mit anschließender Gründung der Konkurrenzliste. Ja, das sind Gründe, aber nicht die einzigen.
Grüne wären wichtig
Ich finde eine grüne Partei im Parlament immer noch sehr wichtig und notwendig, obwohl ich den kläglichen Versuch, die Nationalratswahl zu einer Abstimmung über den Klimaschutz umzufunktionieren, auch für einen gravierenden Fehler halte, weil dieser Versuch nur ein allzu durchsichtiges Wahlkampfmanöver war. So dumm lassen sich vor allem grün-nahe WählerInnen nicht verkaufen. Ich will eine Rückkehr zu einer an grünen Grundwerten wie ökologisch, solidarisch, gewaltfrei und basisdemokratisch orientierten Partei – wobei der Grundwert basisdemokratisch sicherlich neu zu denken und mit neuen Inhalten zu füllen wäre.
Grundwerte
Ich finde es notwendig, den sogenannten Grundwert feministisch endgültig zu entsorgen. Feminismus kann kein Grundwert sein: der Grundwert müsste Gleichberechtigung lauten. Der sogenannte Grundwert feministisch führt systematisch zur Blickverengung; er führt zu subtil-dummen Slogans wie „Sei ein Mann: wähl eine Frau“, die auch engagierte Frauen abschrecken (und die Stimmen gekostet haben). Ja, es ist richtig und wichtig, dass auf wählbaren Plätzen Frauen und Männer in Summe gleichermaßen berücksichtigt werden, aber der Zwang zum Reißverschluss wird immer wieder Unsinn produzieren. An so einem Unsinn ist auch eine grüne Kandidatur von Peter Pilz gescheitert.
(Gleichzeitig könnte man auch den absolut nichtssagenden „Grundwert“ selbstbestimmt entsorgen.)
Kanten!
Es braucht eine grüne Partei, die ein kräftiges NEIN zu unsinniger und falscher Politik sagt – und nicht aus Koalitionsdisziplin herumlaviert. Grüne in den Bundesländern und in Städten sind in Regierungen und dort oft inhaltlich durch Regierungskompromisse gelähmt. Ein sehr gutes Beispiel ist die Tiroler Olympia-Abstimmung. Die Tiroler Grünen haben lange überaus „staatstragend“ keine klare Stellung bezogen; sie haben einen Abstimmungstext eingebracht oder zugelassen, der so grün-suggestiv wie nur möglich war. Trotzdem hat die Bevölkerung jenes NEIN gesagt, das schon zuvor die Partei hätte sagen müssen: Koalitionsdisziplin hin oder her.
Eine allzu kompromissbereite Regierungsarbeit macht unwählbar. Wir brauchen Grüne, die sich NEIN sagen trauen. Lavierende Grüne ziehen keine enttäuschten WählerInnen an.
Wir brauchen im Parlament eine kantige, grüne Opposition, die in Fragen der Ökologie, der gesellschaftlichen Solidarität, der Gewaltfreiheit und der Demokratie jede beliebige Regierung vor sich hertreibt. Es ist zu erwarten, dass die nächste Regierung egal welcher Farbzusammenstellung ökologische und „solidarische“ Fragen kaum oder falsch beantworten wird. Hier würde es Tätigkeitsfelder geben.
Die „Grüne Alternative“ muss Alternative sein. Ohne Kanten ist sie das nicht.
Und noch ein Nachsatz: was ich am liebsten gar nicht mehr hören würde: „Wir sind die einzigen gegen Schwarz-Blau“ (oder „gegen die FPÖ“, oder „gegen die Rechten“ …). Dieser Versuch einer unique selling proposition, wie das die Werbefritzen nennen, ist 1. nicht wirklich wahr, 2. nicht glaubwürdig, 3. nicht relevant. Ich will eine positive Definition der Grünen kennen, nicht die negative über die Gegenposition zur FPÖ. Ich hab überhaupt nichts dagegen, wenn man klar macht, dass man mit denen nicht koalieren möchte. Aber ich will konkrete Gründe für die Grünen hören, nicht nur Argumente gegen die FPÖ.
sozusagen PS: Ja, ich habe grün gewählt, ich habe sogar zur wahl der grünen (in tirol) aufgerufen.
mb
Hallo Michael, jetzt hab`ich dich zufällig gefunden und gelesen, ich stimme dir voll zu! Ökologisch, solidarisch und gewaltfrei fände ich schon ausreichend, weil Gleichberechtigung heißt doch auch solidarisch mit dem anderen Geschlecht. Ich hab‘ natürlich grün gewählt, bin halt eine treue Seele 😉 aber…. ja, und Das – wir sind gegen blau (ja eh logisch) hat sich meiner Meinung nach zum Boomerang entwickelt, wenn alle Grünen, die genau darum jetzt Rot gewählt haben, bei uns geblieben wären, wären wir jetzt weiter im Parlament, aber das ist jetzt auch die Chance für einen Neuanfang, wobei ich da Zweifel habe, schon auf… Mehr »
> Ich finde es notwendig, den sogenannten Grundwert feministisch endgültig zu entsorgen. > Feminismus kann kein Grundwert sein: der Grundwert müsste Gleichberechtigung lauten. Da kann ich nur beipflichten. Gleichberechtigung baut für mich auf zwei Grundsätzen auf: 1) Männer und Frauen müssen sich auf Augenhöhe begegnen können. 2) Ist das nicht der Fall, dann muss entsprechend nachgeregelt werden. Feminismus dagegen sehe ich mittlerweile schon seit langem problematisch. Nicht per se, sondern weil sich da seit Jahrzehnten einerseits Wirrköpfe mit mehr oder weniger abseitigen oder gar inakzeptablen Ideen und andererseits Trittbrettfahrerinnen und Trittbrettfahrer eingenistet haben, denen es gar nicht um Feminismus und… Mehr »