Der ORF meldet heute, dass der „der europäische muslimisch-jüdische Kooperationsrat (MJLC)“ verlautbart habe, dass die Gewalt im Nahen Osten „nicht religiöser Natur“ sei. Dem muss ich widersprechen. Ich habe dem MJLC einen Brief geschrieben:
Der Brief
Sehr geehrte Herren!
Ich beziehe mich auf den Artikel „Muslimisch-jüdischer Rat: Gewalt nicht religiöser Natur“, heute in ORF online.
Ich glaube Ihnen gern, dass Sie es so sehen wollen, dass die Gewalt in Israel / Palästina nicht religiöser Natur sei. Ich glaube Ihnen durchaus, dass Sie – die 6 abgebildeten Herren – selbst nicht gewalttätig sind und Gewalt ablehnen. Allein: alles deutet darauf hin, dass Sie in Ihren Religionen eine kleine Minderheit repräsentieren. Ich muss in der Analyse dessen, was in Palästina / Israel vor sich geht, leider zu einem völlig anderen Schluss kommen:
Die Gewalt in Israel / Palästina ist – nicht nur!, aber – auch stark religiös bestimmt. Beide abrahamitischen Religionen, die Sie repräsentieren, das Judentum und der Islam, predigen das Prinzip „Aug um Aug, Zahn um Zahn“, sowohl anhand des „Alten Testaments“, der Torah, als auch anhand der „Scharia“. Damit treiben die „Führer“ Ihrer Religionen eine religiös orientierte Bevölkerung in einen ewigen Strudel der Rache.
Es wird vergessen: „An eye for an eye makes the whole world blind“.
(Ich bin als Christ erzogen, aber seit Langem Atheist bzw. Agnostiker. Ich weiß, dass das Christentum als dritte abrahamitische Religion über Jahrhunderte kein Hauch besser war und selbst Millionen von Menschen umbringen ließ. Erst im letzten Jahrhundert hat es im Christentum eine Art Besinnung gegeben: das Zitat dürfte von Martin Luther King sein, nicht von Mahatma Ghandi.)
Israelische Siedler im Westjordanland leiten aus der Torah ein Recht auf Landnahme ab – und dieses Recht ist verbunden mit der Vertreibung von Nicht-Juden. „Das ist unser Land. Gott hat es uns, dem auserwählten Volk, zugewiesen.“ Und die israelische Regierung, eine Koalition aus rechtskonservativen und konservativ-religiösen Parteien, tut nichts dagegen, schreitet nicht ein und verunmöglicht damit auf Dauer eine Zwei-Staaten-Lösung. Und auch die sunnitische Hamas und die schiitische Hisbollah leiten ihre Feindschaft gegenüber Israel aus dem Prinzip „Aug um Aug“ ab und interpretieren den „Dschihad“ als brutale Gewalt gegenüber „Ungläubigen“. Es gibt offenbar keine einflussreichen Religionsvertreter im Judentum und im Islam, die hier Einhalt gebieten: jedenfalls treten sie nicht in Erscheinung. Sie, meine Herren, sind eine Ausnahme. Aber es reicht nicht, bloß zu sagen, die Gewalt sei nicht religiöser Natur.
Sehr viel von dem Gift, das in Palästina / Israel weite Schichten der Bevölkerung durchdringt, stammt aus den Religionen Judentum und Islam. Ja, die Gewaltspirale wird religiös argumentiert und befeuert, von beiden Seiten. Es gäbe aber sowohl in Israel als auch in Palästina friedliebende Menschen, die sich der religiös motivierten Gewaltanwendung entziehen wollen.
Wenn Sie wirklich klarstellen wollen, dass die Religionen, die Sie repräsentieren, kein Urgrund der herrschenden Gewalt sind, dann wenden Sie sich an die israelische Regierung, an die Siedler, an die Hamas, an die Hisbollah und rufen Sie zur Besinnung und zum Durchbrechen des Teufelskreises aus Rache und wieder Rache. Ich fürchte, Sie werden bemerken, dass der im ORF berichtete Kern Ihrer Stellungnahme reines Wunschdenken ist.
Mit freundlichen Grüßen
michael bürkle
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z.B.: buerkle.work/bomben_gaza/, https://www.buerkle.work/an_eye/
Antworten?
Wenn die 6 Herren oder einige von ihnen antworten, werde ich darüber berichten.
ich hab ja nix gegen religiöse menschen guten willens. sie sollen auch ruhig „interreligiös“ zusammenarbeiten. aber sie sollen sich aus ihrer verantwortung als repräsentanten einer religion nicht einfach davon stehlen können.
[…] die Religionen Judentum und Islam nicht an der Katastrophe in Nahost schuldig sind. Ich habe dem widersprochen. Ich sehe durchaus die Wirkungen religiöser Scharfmacher auf beiden […]
[…] hilfreich sein – aber nicht, wenn sie den religionsbezogenen Beitrag an der Nahost-Krise wegdiskutieren […]