michael bürkle

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Michael Bürkle

Die Geburt des Messias?

Wer ist denn da vor 2023 Jahren geboren worden?

Wir feiern „Weihnachten“ – aber was denn eigentlich? Die intensivste Handelszeit des Jahres? Oder die Geburt des christlichen Erlösers Jesus? Oder was ganz anderes?

Zweifellos „braucht“ „unser Handel“, „unsere Wirtschaft“ diese Kauf- und Verkaufsorgie an Ende des Kalenderjahres, ganz wurscht, was die spirituelle Quelle ist. Dass „unsere Wirtschaft“ (= der globale Kapitalismus) aber an sich ein völlig verrücktes Instrument ist, das mindestens so viel globalen Wohlstand zerstört wie es schafft, scheint mir offensichtlich. Auf Weihnachten als Geschenksorgie zu verzichten wäre lediglich vernünftig: man könnte sich sehr viel Müll und sehr viele ungünstige Emissionen ersparen und man würde die Inflation nicht so anheizen. Aber die Verkaufsorgie Weihnachten ist zu einem globalen Phänomen geworden, praktisch völlig unabhängig von der Religion. Man „feiert“ das auch in Japan oder Indien oder Russland oder China und auch sonstwo.

(Ich habe gar nichts gegen schenken und beschenkt werden; ich schenke gern. Aber ich brauche das nicht ausgerechnet am 24. Dezember.)

Das religiöse Weihnachten

Zur religiösen Seite Weihnachtens hat Spektrum.de, die deutsche web site des „Spektrums des Wissenschaft“, einen nett zusammengestellten Artikel zu Verfügung gestellt: Wer war der historische Jesus? Und da bleibt nicht viel übrig. (Nichts Neues übrigens, aber sehr schön zusammengefasst.)

Wir wissen von diesem „Jesus“ historisch praktisch nichts. Wir wissen nicht, wo er geboren ist (Bethlehem? Nazareth? woanders?), wann er geboren ist (im Jahr 1? im Jahr 0? Davor? Danach?), wie und unter welchen Begleitumständen er geboren ist („Stern“?, Stall?, Ochs und Esel? …). Auch über den Zeitpunkt des Sterbens herrscht Unklarheit: es gibt keine Gerichtsakten über den anscheinend beim römischen Statthalter Pilatus stattgefundenen Prozess.

Es ist völlig unklar, ob es so einen Jesus überhaupt gegeben hat: die Quellenlage ist extrem spärlich: es gibt Stellen bei Tacitus und Flavius Josephus, die eventuell auf eine historische Figur hinweisen, an der die Geschichten, die im Neuen Testament in recht verschiedener Weise erzählt werden, angelagert werden können. Klar ist, dass am Anfang des sogenannten „1. Jahrhunderts“ in Galiläa und Judäa etliche mehr oder minder politische Wanderprediger herumgezogen sind, die man zu einer Figur „verdichten“ konnte. Ob es diese eine Figur gegeben hat, könnte man evtl. beantworten, wenn man sie ordentlich definiert: was müsste denn der Fall sein, wenn man vom historischen „Jesus“ sprechen will? Einer, der die Händler aus dem Tempel vertrieben hat? Einer, der über den See Genesareth gewandelt ist? Einer, der sehr wenige Brote und Fische zur Nahrung für viele verwandelt hat? Einer, der Wasser zu Wein verwandeln konnte? Einer, der an einem Berg eine Predigt gehalten hat? Einer, der Kranke geheilt hat? Einer, der am Kreuz gestorben ist und damit die Sünden der Menschheit getilgt hat? Einer, der von den Toten auferstanden ist? (Eines verrückter als das andere.) Oder alles zusammen?

Der Aufstieg des Christentums

Gut 300 Jahre, nachdem sich eine jüdische Sekte um eine fiktive Figur Jesus gebildet und auch schon über das Judentum hinaus entwickelt hatte, hatte sich diese Sekte zu einer Bewegung gemausert, die unter Kaiser Konstantin bzw. Kaiser Theodosius I. zu einer Staatsreligion erhoben wurde. In diesen 300 Jahren hat man aus hauptsächlich mündlich tradierten Erzählungen eine „göttliche Figur“ konstruiert. Maßgeblich beteiligt war da ein gewisser Saulus aka Paulus, der die Urchristen zunächst als römisch-jüdischer Kommissar verfolgt hatte und dann die Seite wechselte. Was die Gründe für den Seitenwechsel waren, darüber kann man spekulieren. Ein „Erweckungserlebnis“ nahe Damaskus? Kann sein. Aber was war das? Eine Halluzination unter Drogeneinfluss oder ein Krankheitsanfall? Oder eine bloße Erfindung, die es zu einer „guten Geschichte“ geschafft hat? (se non è vero, è ben trovato) Oder die reine Erkenntnis, dass in einer Zeit großer Unsicherheit viele Leute mit einer neuen Religion „abgeholt“ werden könnten?

Die spirituelle Leistung des Christentums

Meines Erachtens gibt es eine einzige großartige spirituelle Leistung des Christentums: die Überwindung des bronzezeitlichen Prinzips des „Aug um Aug“, das für das Judentum (zumindest in der strengen Auslegung) heute noch gilt und das vom frühmittelalterlichen Islam erneut aufgenommen und zum Teil der Scharia geworden ist – und das die Politik der aktuellen israelischen rechtsextrem-ultrareligiösen Regierung bestimmt und wesentliche Teile des radikalen Islamismus z.B. der Hamas prägt. Diese Leistung ist Teil der sog. Bergpredigt des Matthäus-Evangeliums (Mt 5,39-42; und nur dort!; in den anderen 3 Evangelien gibt es sie nicht!) und lautet (in einer Übersetzung):

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn.
Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.
Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel.
Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.
[…]

Das ist eine radikale Abkehr von „Aug um Aug“; durchaus idealistisch und wenig realistisch und in der Geschichte des Christentums auch nur sehr selten umgesetzt. Und im globalen Kapitalismus auch nur sehr beschränkt praktikabel. Aber eine Regel, die bei Menschen wie Martin Luther King oder Mahatma Ghandi wieder aufgenommen worden ist und in das Prinzip des gewaltlosen Widerstands Eingang gefunden hat. Wir finden es heute übrigens in Ansätzen der Letzten Generation wieder, sehr zum Ärger einiger durchaus gewaltbereiter Autofahrer und / oder Politiker.

Nicht doch auch Wahrheit?

Aber beweist nicht die Existenz eines Christentums in seinen vielen Ausprägungen (Teilkirchen und Sekten), dass so ein Jesus gelebt haben muss?

Nein. Es gibt auch alte Geschichten von Odysseus, von Buddha, von König Artus usw. usf., die nicht „beweisen“, dass es diese „mythologischen Trägerfiguren“ in irgendeiner Art so gegeben hat. In vielen Mythen kann man durchaus Wahrheiten finden, aber im Allgemeien keine wörtlichen. Die Sagen des Odysseus erzählen von Auseinandersetzungen zwischen Siedlungsbewegungen und kulturellen Entwicklungen in Griechenland und „Kleinasien“ (wie wir das heute nennen) in der Bronzezeit. Aber einen Odysseus, der 10 Jahre vor Troja gekämpft hat und dann 10 Jahre (davon 1 Jahr bei Kirke und 7 Jahre bei Kalypso) „Irrfahrten“ erlebte, hat es so sicher nie gegeben. Buddha ist eine sagenhafte Gestalt und in der Literatur zu ihr kann man interessante Einsichten erkennen, über die man auch heute noch sinnieren kann. Der Sagenkreis um König Artus berichtet vom Zusammenprall keltischer und germanischer (bzw. auch matriarchaler und patriarchaler) Zivilisationen, aber die „Tafelrunde“ mit Lanzelot, Parzival, Iwein und dem Zauberer Merlin ist eine nette Metapher.

Und so ist das mit Jesus auch. Es mag Wanderprediger gegeben haben, die von einem Berg herunter gepredigt haben. Es mag Rabbiner gegeben haben, die relativ schnell für eine Hochzeit, bei der die Getränke ausgegangen waren, eine Lieferung Wein aufgestellt haben. Oder solche, die beim Herumwandern ihre Begleiter überzeugen konnten, den Proviant, den sie mitgenommen hatten, mit denen zu teilen, die nichts dabei hatten. Oder die Kranken den Eindruck vermitteln konnten, dass sie wieder gesunden. Aber durch einen Tod am Kreuz hat niemals irgendjemand die Sünden der Menschen aus Vergangenheit und Zukunft getilgt. Das ist blanker Unsinn; einer neben einigen anderen.

Man muss zwischen historischen Wahrheiten und mythologischen „Wahrheiten“ bzw. Weisheiten unterscheiden. Jesus ist ein Mythos, so wie viele Religionsgründer. Mythologische Figuren sind Kerne, an denen sich Geschichten anlagern können bzw. angelagert haben. Das hilft in mündlichen Kulturen, die Erkenntnisse der Vergangenheit zu strukturieren und im Gedächtnis zu behalten.

Mythologische „Wahrheiten“ können auf historische anspielen; sie können allgemeine Weisheiten enthalten; sie können auch zeitlich eingeschränkte „Weisheiten“ enthalten, die man heute guten Gewissens durch neue vernünftige Erkenntnisse ersetzen kann und womöglich auch sollte. Einen Mythos muss man vernünftig interpretieren.

Also?

Wer ist da vor 2023 Jahren (oder so) geboren worden? Viele Kinder, Biabelen und Madelen, in und um Bethlehem, Nazareth, Jerusalem, Jericho. Da haben sich sicher auch einige besondere Talente darunter befunden. Ein „Messias“ war nicht dabei: der jüdische nicht und der christliche auch nicht.


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