michael bürkle

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Michael Bürkle

Europa und die Flucht

Das geht nicht zusammen!

Ich lese heute: „Eine Milliarde aus EU / Libanon soll Flüchtlinge aus Syrien behalten“. Und mir kommt vor, ich kenne das schon. Hat die EU nicht auch mit der Türkei ein Abkommen geschlossen, das Flüchtlingsbewegungen über die Türkei in die EU verhindern soll? Versucht man nicht, in Nordafrika Länder mit Geld zu überzeugen, dass die dort Flüchtlingslager errichten und Flüchtlinge dort in Lagern konzentrieren? Versucht das UK, das die EU verlassen hat, nicht Ähnliches mit Ruanda: Flüchtlinge, die in der EU um Asyl ansuchen, sollen nach Ruanda abgeschoben werden.

Das scheint eine europäische „Strategie“ zu sein. Wir zahlen uns jemanden, der uns dann für Geld das sog. „Flüchtlingsproblem“ löst. Dass wir uns damit von den regionalen Despoten abhängig machen, stört uns zunächst nicht.

Spielen da die Menschenrechte eine Rolle? Kaum!

Ist das eine „billige“ Lösung? Naja: sie kostet „viel Geld“, das in die Türkei, in den Libanon oder nach Tunesien fließen soll. Insofern gar nicht so „billig“. Aber moralisch ist das sehr billig.

Die Menschenrechte

Dabei wäre es – rein rechtlich; menschenrechtlich – ja einfach. Artikel 14 der Menschenrechtskonvention sagt:

1. «Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen.»

2. «Dieses Recht kann jedoch im Falle seiner Verfolgung wegen nichtpolitischer Verbrechen oder wegen Handlungen, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, nicht in Anspruch genommen werden.»

Erläuterung zu Artikel 14

Asyl ist der Schutz für Personen, die ihr eigenes Land verlassen mussten, weil sie verfolgt werden. Die Allgemeine Erklärung räumt allerdings keinen Rechtsanspruch auf Asyl ein, gewährt also kein Recht, Asyl zu erhalten, sondern nur das Recht, Asyl zu suchen und zu genießen, wenn es von einem Staat gewährt wird. Die Staaten waren bei der Ausarbeitung der Erklärung nicht bereit, in diesem Bereich auf ihre Souveränität zu verzichten. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die 1951 unterzeichnet wurde, verbietet den Staaten immerhin, Flüchtlinge in den Verfolgerstaat zurückzuschicken.

Das Asylrecht zielt also auf den Status als „verfolgt“ ab. Aber auch wenn kein Asyl gewährt wird, kann man Flüchtlinge nicht einfach in das Verfolgerland zurückschicken. Insbesondere sind Menschen, die als sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“ angesehen werden, weil ihnen ihr Heimatland keine sichere wirtschaftliche Basis bietet, vom Asylrecht ausgeschlossen. Wo ist aber die Grenze zwischen politisch-religiös-ethnischer Verfolgung und der wirtschaftlichen Ausbeutung genau zu ziehen? Ist Aushungern keine Verfolgung?

Die Vergangenheit

Die Welt ist ungerecht. Wir haben einen hoch entwickelten „Nordwesten“ (Nordamerika, der Großteil Europas, Japan) und wir haben seit Jahrhunderten ausgebeutete Länder in Lateinamerika, Afrika, Ozeanien. Zwischen diesen „Welten“ sind einige andere Länder in einer eigenen Entwicklung angelangt: Russland, China, Brasilien, Indien … Wenn es die jahrhundertelange Ausbeutung nicht gegeben hätte, wären die Entwicklungsunterschiede freilich nicht derart groß und es gäbe viel weniger Grund, vor jeder Art von Verfolgung zu fliehen.

Wir – im „Nordwesten“ – müssten seit Jahrzehnten eine Wirtschaftspolitik des globalen Ausgleichs betreiben. Dann hätten wir heute kein derart großes „Flüchtlingsproblem“.

Die Zukunft

Wir haben einen menschengemachten Klimawandel. Auch der verschärft die Ungerechtigkeiten in der Welt: der „Nordwesten“ hat diesen Klimawandel i.W. produziert; der globale „Südosten“ leidet unter diesem Klimawandel besonders. Wir müssten also genau so eine globale Klimapolitik konstruieren, die die Emissionen der Treibhausgase im „Nordwesten“ radikal – oder auch „brutal“ – nach unten fährt. Das tun wir leider gar nicht: die konservativen Parteien in „Nordwesten“ (in Österreich, in Deutschland, in Italien, in Frankreich, in den USA usw. usf.) weigern sich, eine effektive Klimapolitik zu gestalten. Sie wollen den Status ihrer wohlhabenden Wähler schützen; sie wollen nicht „teilen“, schon gar nicht „gerecht“.

Es wird deshalb in allen Ländern, die im „Südosten“ (a) untergehen, (b) von großflächigen Überschwemmungen heimgesaucht werden, (c) in Dürren verdursten und verhungern noch viel mehr Flüchtlinge geben, als wir das jetzt kennen. Die werden „Verfolgte“ sein: vom Klimawandel Verfolgte, Vertriebene.

Wir könn(t)en das

Wir können (in unseren Breiten) Gas- und Ölheizungen (und Kohleheizungen) abreißen und Photovoltaik und Wärmepumpen im großen Stil ausbauen. Wir könnten auf E-Mobilität und Öffentlichen Verkehr umstellen. Wir könnten die industrielle Fleischwirtschaft abschaffen. Wir könnten den kontinentalen Flugverkehr einstellen. Zum Teil gibt es dazu bereits Ansätze; zum Teil sind das schon mehr als bloß Ansätze.

Und wir könnten die Menschenrechte ernst nehmen.


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