michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Dr. P kauft ein und kommt um

Universitätsdozent erschlagen aufgefunden. Überfall im Drogenmilieu?
Passanten entdeckten heute morgen gegen 4 in der Nähe der Markthalle die Leiche des 42-jährigen M.P., eines Dozenten der hiesigen Universität. P. ist offenbar mit einer Weinflasche erschlagen worden. Die Kriminalpolizei bittet um Mithilfe. Melden Sie entsprechende Beobachtungen an …

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Manuel Pöstl war ein braver Bürger. Er war Universitätsassistent am Institut für B… Er war gut, was aber in Anbetracht des didaktischen Niveaus seiner Kollegen – Kolleginnen gab es keine – keine besondere Kunst war.

Pöstl wollte sich habilitieren. Das war der Erwerb der universitären Lehrberechtigung und eine Voraussetzung für eine fixe Stelle an der Universität. Aber Habilitation war so eine Sache. Einem Kollegen an der Fakultät für Mathematik war es passiert, dass von den fünf  Gutachten, die die Kommission eingeholt hatte, eines sozusagen „sehr gut“, eines „gut“, eines quasi „befriedigend“, eines gerade noch „genügend“ und eines glatt „nicht genügend“ gewesen war. Und das in einer der objektivsten Wissenschaften, die es gibt – könnte man meinen. Natürlich hatte kein einziger Gutachter sich zur Formulierung einer Note hinreißen lassen; aber wer halbwegs zwischen den Zeilen lesen konnte, konnte verstehen.

Pöstl wusste: so etwas konnte leicht passieren, wenn man zu wenig steuerte. Und der mathematische Kollege war zwar hochintelligent gewesen, aber eben auch sehr naiv. Das ist kein Widerspruch, vor allem nicht bei Mathematikern.

Pöstl wusste auch: der Komfort und vielleicht auch der Ausgang eines Habilitations­verfahrens hing sehr von der Zusammensetzung der Kommission ab. Nun hatte Pöstl auf die Bestellung der professoralen Mitglieder naturgemäß wenig Einfluss. Gut: sein Chef würde sicher für ihn sein, wenn die Gutachten halbwegs passten. Die anderen Professoren waren schwer kalkulierbar; sie würden sicher nur dann in einen kleinen „Krieg“ ziehen, wenn es etwas zu gewinnen gäbe. Die Vertreter des „akademischen Mittelbaus“, der Assistenten, seine Kollegen, die hatte er auf seiner Seite. Und dann waren noch die Vertreter der Studierenden. Wenn da einer mit den Professoren gemeinsame Sache machte – und es konnte für einen kleinen Studenten ja gute Gründe dafür geben – konnte die Sache lästig werden. Also beschloss Pöstl, einen Einkauf zu tätigen.

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Er versuchte sich an Amann, seinem Institutskollegen. Der war zwar schon Assistent, aber er studierte noch, der konnte als Student in die Kommission. Und Amann war ein cleverer Kopf. Rhetorisch und intellektuell war er den meisten Professoren mindestens ebenbürtig, und er konnte einen Plan durchziehen. Die Frage war nur: würde er sich die Sache antun? Amann war von einer lästigen formellen Korrektheit. Seit er die Stelle am Institut angenommen hatte, hatte er sich aus studentenvertreterischen Tätigkeiten weitgehend verabschiedet und hatte gelegentlich „Unvereinbarkeit“ als Grund genannt. Natürlich war das rechtlich nicht nötig. Kein Gesetz verbot Studentenvertretern die Annahme einer bezahlten Stelle.

Pöstl nahm sich vor, Amann nach dem nächsten Seminartermin zu fragen. In der kleinen Öffentlichkeit der Kollegen war es noch leichter, der Sache den Anstrich der Sauberkeit zu verpassen.

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„Du, ich wollt dich fragen, ob du eventuell bereit wärst, als Studentenvertreter in meine Habilkommission zu gehen. Hier an der Fakultät gibts ja nur wenige, die in meinem Fachgebiet halbwegs eingelesen sind. Und ich hätte schon gerne kompetente Leute in der Gruppe.“

„Ich denk, das geht nicht. Ich kann nicht gut als Studentenvertreter auftreten, wenn ich hier eine Stelle habe. Siehst du da kein Problem?“

„Ach, die wären alle froh, wenn du kämst. Ich bin sicher, das regt hier keinen auf.“

„Okay, ich überlegs mir. Bis wann brauchst du eine Entscheidung?“

„Eilt nicht. Überleg dirs am Wochenende. Wenn das Dekanat nächste Woche Bescheid bekommt, passt das gut.“

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Amann war interessiert. Die Aufgabe reizte ihn. Man konnte einigen der hiesigen Professoren eventuell zeigen, „wo Bartl den Most holt“. Vor kurzem hatte der Professor für rechtwinkligen Hüttenbau dem Professor für Fließwasser im Lift erklärt, was „Drittelparität“ sei: „Die Kommission ist normal besetzt: ein Drittel Studenten, ein Drittel Assistenten und zwei Drittel Professoren.“ Amann war als dritte Person im Lift anwesend gewesen und hätte beinahe laut losgelacht. So rechneten die Hüttenbauer also mit Brüchen. Das erklärte wohl so manchen Hochhütteneinsturz.

Aber da war die eindeutige Unvereinbarkeit. Die Sache war nicht sauber. Aber was an dieser Fakultät war denn schon sauber? Okay, er würde es machen.

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Das Habilitiationsverfahren erwies sich als problemlos. Die Gutachter wurden ohne Gegenstimme bestellt. Nach einigen Wochen waren die Gutachten da: alle überschlugen sich geradezu in positiven Wendungen zur Qualität von Pöstls Arbeit. Kein Wunder: Pöstl selbst hatte die Liste der Gutachter zusammengestellt und über seinen Chef  in die Kommission gebracht. Keiner der Professoren hatte sich die Arbeit gemacht, über andere Gutachter nachzudenken. Auch Amann nicht. Das hätte seine Fähigkeiten definitiv überstiegen.

Dann kamen die didaktischen Fähigkeiten dran – der einzige Bereich, in dem man Studenten ein Mitspracherecht zubilligte. Und hier hatte Amann – eben in Anbetracht des allgemein miesen Niveaus der Lehre – keine Probleme, sich für eine positive Bewertung von Pöstl auszusprechen. Pöstl war tatsächlich einer der besten. Ein Einäugiger unter Blinden.

Die Kommission war für Amanns didaktische Expertise dankbar. Dann war also alles eindeutig positiv. Die Sache war klar.

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„Wenn die fachliche Qualifikation außer Zweifel steht, kann die Kommission auf ein Habilitationskolloquium verzichten.“ So oder ähnlich hieß es im Gesetz. Tja: das sogenannte Habilitationskolloquium: an sich eine Formsache; ein kleiner Vortrag mit anschließender Diskussion in der eingeschränkten Öffentlichkeit der Fakultätsangehörigen. Seit Menschengedenken war kein Verfahren an dieser letzten Hürde gescheitert. Aber es war doch die letzte Möglichkeit für die Bruchrechenprofessoren, den angehenden Kollegen ein letztes Mal bloßzustellen. Ein Narr kann mehr fragen, als sieben Weise beantworten. Und an Narren hatte die Fakultät doch ein stattliches Inventar zu bieten.

Amann beschloss, Pöstl zu fragen, was er davon halte, in der Kommission den Vorschlag einzubringen, mit Bezug auf die Gesetzesstelle auf das Kolloquium zu verzichten. Pöstl war begeistert. „Wenn du das schaffst, dann – dann – dann schreiben wir dir deine Doktorarbeit.“ Mit „wir“ meinte Pöstl offenbar sich selbst und seinen Freund und engsten Fachkollegen Peters. Amann war verblüfft. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte den Vorschlag eher als practical joke zur Irritation der Bruchrechner verstanden. Schließlich ging es doch nur um eine Formsache.

Pöstl würde seine Doktorarbeit schreiben? Na sicher: für jemand, der auf dem Forschungsgebiet eingearbeitet war, war eine mittlere Doktorarbeit hauptsächlich ein Zeitproblem. Aber man konnte ja einige Abfälle aus der eigenen Forschungstätigkeit zusammenfassen und sie in Form von Amanns Doktorarbeit zitierbar machen. Gewiss: ein bisschen was würde Amann schon auch selbst tun müssen, das war klar. Nie mehr würde er aber so billig zu einem Doktortitel kommen.

Aber Amann lehnte dankend ab. Er hatte seit einiger Zeit andere Zukunftspläne.

Nur intuitiv hatte Amann verstanden, was er sich mit einem Einverständnis eingehandelt hätte. Er wäre zum Vasallen, zum Lehensnehmer von Pöstl geworden. Strukturen wie im Mittelalter! Feudalismus! Pöstl hätte ihn in der Hand gehabt: ein abhängiges Werkzeug, das strategisch denken, Pläne vertreten und durchziehen könnte. Oh, wie wäre das praktisch für Pöstl gewesen. Ein sehr seltsames, unbekanntes Gefühl hatte sich in Amann breitgemacht: unbestimmt, ungerichtet. Es hatte ihm seine Entscheidung erleichtert, doch wirklich klar wurde es ihm erst später.

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Amann machte den Vorschlag in der Kommission trotzdem und sorgte damit für gehörigen Wirbel. Rein sachlich war gegen den Antrag kaum zu argumentieren: die Bedingungen waren erfüllt, aber den Bruchrechenprofessoren passte das überhaupt nicht. Man holte argumentativ weit aus, besonders ins Zeug legte sich der Chef von Pöstl und Amann. Dass die Gesetzespassage für ganz besondere Habilitanden gemeint sei: wenn da einer sozusagen schon Nobelpreisträger sei, mindestens eine international anerkannte Kapazität, dann vielleicht … Dass man Pöstl damit nichts Gutes tun würde, dass das den Wert der Habilitation schmälere. Dass die Fakultät um eine hochinteressante Veranstaltung umfiele. Und. So. Weiter.

Amann stellte den Antrag trotzdem und verlor die Abstimmung klar.

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Drei Monate später. Eine Feier im Kollegenkreis. Eine Mathematikerin feierte ihre Verlobung und hatte eingeladen. Amann war dabei, Pöstl auch. Peters nicht, der hielt nichts von Alkohol und Geselligkeit im Allgemeinen. Auch Amanns Freund, ein Student namens Bernie, war da. Amann hielt viel von Bernie.

Bernie war ein guter Mensch, bemüht es allen recht zu machen. Engagiert, beflissen, fleißig, intelligent, manchmal hitzköpfig-revoluzzerisch, oft aber auch gedämpft-ruhig. Und seit neuestem Diplomand bei Pöstl. Bernie war fachlich wahrscheinlich weit besser als Amann. Aber psychisch bei weitem nicht so stabil. Amann hatte Bernie ein bisschen adoptiert.

Man hatte sich über einige Eigenheiten Nichtanwesender ausgelassen ausgelassen. Die Stunde war spät, der Alkoholpegel nicht gering. Die Mathematikerin kuschelte sich bereits an ihren Verlobten. Einige Gäste waren schon gegangen. Amann war leicht betrunken, aber hellwach, Pöstl auch. Nur Bernie nicht. Er hing in seinem Sessel und schlief beinahe. Amann wusste: Bernie hatte wieder eine seiner schwierigen Phasen.

Da ließ sich Dozent Pöstl lautstark vernehmen: „Was ist mit meinem Diplomanden? Schläft er schon? Jetzt wird nicht geschlafen, Bernie! Steh auf, wir trinken auf meine Bestellung als Dozent! Du musst mit mir anstoßen! Häng nicht so rum!“

Da wurde Amann schlagartig sonnenklar, dass er großes Glück gehabt hatte. Und das ungerichtete Gefühl in ihm bekam Richtung.

*

Amann murmelte etwas von „heimgehen müssen“ und stand auf. Auch Bernie rappelte sich aus seinem Sessel. Amann zog seine Handschuhe an und nahm noch eine der Weinflaschen im Flur mit; gemeinsam verließen sie die Wohnung. An der nächsten Kreuzung verabschiedeten sie sich. Bernie ging nach rechts, Amann nach links. Aber nicht weit. Er ging zurück, Richtung Markthalle.

Etwa eine Stunde später verließ auch Pöstl das Haus. Allein. Amann sah ihn kommen, Pöstl sah nicht mehr viel. Amann nahm die Flasche und zerschmetterte sie auf Pöstls Schädel. Und mit ihr auch den Schädel.

Die Kriminalpolizei schloss aufgrund der Lokalität auf eine Art Straßenräuber, vermutlich aus dem Drogenmilieu. Sie fragte nur oberflächlich und formhalber nach. Kein Verdacht fiel auf Amann, der – das war allgemein bekannt – ein guter Freund von Pöstl gewesen war und vom Tode Pöstls offensichtlich nicht profitierte. Dasselbe galt für Bernie, der außerdem ein lupenreines Alibi hatte, das auch für Amann durchging – sie hatten die Feier ja gemeinsam verlassen.

Die Universität veröffentlichte einen berührenden Nachruf auf einen verdienstvollen, vielversprechenden jungen Dozenten.


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