„Lieber Michael,
ich benötige dringendst ein Duplikat des Maturazeugnisses für die Inskription auf der Universität Innsbruck und für die Familienbeihilfe.
Euer Sekretariat ist eine Frechheit und eine Zumutung.
ich hoffe demnächst von dir zu hören und verbleibe,
mit freundlichen Grüßen
[Vorname Nachname]“
ich bin irritiert. erstens bin ich mit herrn [N.] nicht per du, ja ich kenne ihn kaum. zweitens hab ich nicht in erinnerung, dass er schon mit der matura fertig ist. ich kann mich zwar an vorgezogene anmeldungen erinnern, aber an kein maturazeugnis. hab ich nicht bemerkt, das er schon fertig ist?… und warum benötigt er uns für ein duplikat seines zeugnisses? hat er sein maturazeugnis verloren? er schreibt nichts darüber. aber er beleidigt die sekretärinnen. hats da ein grobes missverständnis gegeben?
ein kurzes nachschauen in der datenbank zeigt: herr [N.] kann unmöglich maturiert haben; er hat noch einige module offen.
???
ich antworte um 19:05:
„Sehr geehrter Herr [N.],
1. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir per Du geworden sind.
2. Unser Sekretariat ist keine „Frechheit“, sondern es handelt sich um 2 sehr kompetente und engagierte junge Frauen.
3. Ich bin nicht bereit, in diesem Ton mit Ihnen zu kommunizieren. Nur eines noch: ein Maturazeugnis gibt es am Ende eines erfolgreichen Maturastudiums. Das ist bei Ihnen nicht gegeben.
Mit freundlichen Grüßen
michael bürkle“
dann höre ich einige tage nichts mehr. die sekretärinnen können sich an kein gespräch mit herrn [N.] erinnern.
dann ein freundlicher anruf eines menschen „Dr. [N]“, der vorgibt, der vater von herrn [N.] zu sein. warum sein sohn keine kopie des maturazeugnisses bekomme. ich antworte, weil er das studium noch nicht beendet habe und mehr dürfe ich ihm auch gar nicht sagen.
wieder einige tage später ist herr [N.] an der schule und möchte bei seinem stuko eine modulbelegung nachholen. das ist zwar nicht mehr möglich, aber herr [N.] äußert die absicht, wenigstens ein paar kolloquien in diesem semester zu erledigen.
– – –
mir tun sich da wahre abgründe auf. herr [N.] hat offensichtlich über längere zeit seine eltern belogen und ihnen die ablegung der reifeprüfung vorgeschwindelt. aber warum wendet er sich dann an mich für ein duplikat? glaubt er, wir stellen maturazeugnisse auf reine behauptung hin aus? verzweiflung? reine dummheit? bodenlose arroganz? krankheit?
grübelnd
m.
erschienen am 23.10.2015 in einem schulinternen diskussionsforum
einige tage nach den ereignissen um herrn N. betrat eine elegante dame in meinem alter mein büro. sie komme um das maturazeugnis der tochter abzuholen, sie sei extra aus deutschland angereist.
ich kann mich an den namen der tochter erinnern, nicht aber an eine matura. tatsächlich hat die junge dame bei uns studiert, aber in 2 semestern praktisch nichts erfolgreich absolviert. sie wurde daraufhin lt. gesetz nach „rücksichtswürdigen gründen“ befragt und – als keine genannt wurden – gestrichen.
davon erfuhr die mutter aber erst ein gutes jahr später bei mir. der schrecken saß tief, die enttäuschung war mehr als spürbar.