Ja, der Kanzler hat recht!
Kanzler Nehammer wendet sich in letzter Zeit immer wieder mit der Forderung „Keine Denkverbote!“ an die Öffentlichkeit. Ich gebe ihm da völlig recht: in einer offenen Gesellschaft darf es keine Denkverbote geben, für niemanden, auch nicht für den Kanzler.
Es ist mir allerdings nicht erklärbar, wer dem Kanzler das Denken verbieten will. Ich kenne niemand. Es geht ihm bei seiner Forderung meistens um E-Fuels und dergleichen. Natürlich darf der Kanzler – wie jeder Mensch – über E-Fuels als Lösung des Klimaproblems nachdenken. Ich würde hier sogar Denkgebote einfordern. Wissenschaftler*innen denken – sozusagen berufsbedingt; auch Politiker*innen sollen lieber früher als später mit dem Denken anfangen.
Wenn der Kanzler beginnt, über E-Fuels oder Wasserstoff als Lösung des Klimaproblems nachzudenken, wird er draufkommen, dass schon Menschen mit sehr viel Expertise darüber nachgedacht haben – und leider draufkommen mussten, dass E-Fuels oder „grüner“ Wasserstoff nicht als Lösung für die Klimakatastrophe in Frage kommen. (Der Kanzler könnte sich z.B. an Herrn Ferdinand Dudenhöffer wenden: einen Wissenschaftler und Auto- bzw. Mobilitätsexperten – ein Interview aus der ZiB 2 ist nachlesbar hier; oder an Herrn Harald Lesch, einen überaus angesehenen Physiker, und und und. Wenn ihm diese Herren zu sehr „alte weiße Männer“ sein sollten, kann sich der Kanzler auch an Frau Mai Thi Nguyen-Kim wenden. Und es gibt noch viele andere mehr.)
Denkergebnisse
Man braucht für die Herstellung dieser Stoffe nämlich sehr viel Energie – und das muss Energie sein, die bei ihrer Erzeugung kein zusätzliches CO2 freisetzt. Diese Energie haben wir derzeit nicht. Wir werden tatsächlich E-Fuels brauchen: um fossile Treibstoffe in Flugzeugen und in LKWs und in Bereichen der Industrie zu ersetzen, damit kein zusätzliches CO2 emittiert wird; es wird da allerdings nichts für den individuellen Autoverkehr übrig bleiben. Und wir werden für die Erzeugung dieser Treibstoffe noch sehr viele Windräder und Photovoltaik-Paneele brauchen.
Nein: es darf keine Denkverbote geben – für niemanden. Man darf auch darüber nachdenken, ob 1 + 1 gleich 2 ist und ob das immer der Fall ist. Man wird – wenn man denn nachdenkt – draufkommen, dass 1 + 1 in den allermeisten Fällen tatsächlich 2 ist. Wenn er nachdenkt, wird auch der Kanzler einsehen, dass Mobilität auf der Basis des Verbrennungsmotors das Klima nicht rettet, sondern endgültig und gravierend versaut. Wenn er nachdenkt, wird er draufkommen, dass jede Investition in die „Rettung“ des Verbrennungsmotors vergeudetes Geld und vergeudete Zeit bedeutet, in einer Zeit, in der uns die Zeit davonläuft, weil nicht wirklich bekannt ist, wann genau im Klimawandel Kipp-Punkte überschritten werden, die zu irreversiblen Veränderungen führen.
Herr Bundeskanzler Nehammer: nein, es gibt keine Denkverbote! Aber als verantwortlicher Politiker unterliegen Sie Denkgeboten. Fangen Sie an!