michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Corona-Update 22.11.

In den letzten Wochen hat sich einiges getan: Österreich wird von einer Zweiten Welle überrollt, die die Erste in allen Größenordnungen weit übertrifft; Österreich wird damit kurzzeitig zu einem „hot spot“ innerhalb Europas, das seinerseits ein „hot spot“ weltweit bleibt. Wie konnte es dazu kommen?

Zunächst die Zahlen in Österreich …

Wir hatten um den 11.11. Zunahmezahlen knapp unter 10.000 pro Tag und um die 5% Zunahme pro Tag – kurz: fürchterlich. (Etwa das 10-fache der Ersten Welle.) Seither geht die Zunahme wieder etwas zurück: der 2. Lockdown macht sich allmählich bemerkbar. Derzeit liegen wir zwischen 5.500 und 7.500 zusätzlichen Fällen pro Tag und bei einer Zunahme unter 3% – immer noch sehr hohe Zahlen. Die Intensivstationen der Krankenhäuser werden voll; Triage-Situationen kündigen sich an. (Jetzt möchte ich nicht krank werden!)

Die absolute Zunahme pro Tag …

… und die relative (immer gemessen um 15 Uhr):

Und damit wir nicht nur von der Menge der Infektionen sprechen, sondern auch von den Wirkungen, hier die Kurve der Covid-Todesfälle:

Nein, das Virus ist nicht „weniger gefährlich“ geworden. Die Jungen feiern, die Alten in den Pflegeheimen sterben. Zusammenhänge?

Ich denke, man sieht genau, wo die Bundesregierung bzw. die Bundesbevölkerung versagt haben. Schon im Juli steigen die Infektionszahlen wieder ein bisschen, erst recht im August. Der Tourismus ist ein Freund des Virus: hier hätte man bereits massiv eingreifen müssen. (Schon am 5. Juli hab ich von der Zweiten Welle geschrieben.) Warum hat man nicht eingegriffen? Weil Österreich immer noch am Tourismus hängt – das geht bis zu Parteifinanzierungen! – und sich die Bundesregierung keine Eingriffe zugetraut hat und weil die Bevölkerung bereits eingelullt in einer falschen Sicherheit auch schon wieder feste Tourismus betrieben hat. Statt halbwegs vernünftig.

Die nächste Steigerungsetappe kommt dann im September, ziemlich genau mit Schulanfang. (Dabei sind es vermutlich nicht so sehr die Schulen selbst, sondern das ganze mit Schule verbundene Drumherum, das die Infektionen verbreitet. Der Schulweg mindestens so sehr ansteckend wie der Unterricht.) Auch hier hätte sich die Bundesregierung viel mehr an Maßnahmen trauen müssen – und die Bevölkerung ist erst sehr gemütlich aufgewacht: „wird scho ned so schlimm werden“. Dabei waren die Zahlen schon auf Dauer so hoch wie zu Spitzenzeiten in der Ersten Welle. Aber es war Partytime! Ich habe mich über das Innsbrucker Nachtleben gewundert, wenn ich so gegen 22 Uhr heimgeradelt bin. Man – die Bevölkerung, vor allem die junge – hat gefeiert  und man – die Regierung – hat nichts dagegen unternommen.

Und dann – no na – explodiert die Sache im Oktober und der zweite Lockdown wird unvermeidlich. Dabei hatte der Kanzler noch im Frühjahr versprochen, dass es keinen mehr geben werde, denn die Wirtschaft werde keinen mehr überleben. (Ach, der Kanzler! Hoffnungslos überfordert wie ein guter Teil seiner Minister auch.)

Und weltweit?

Die CSH-Karte zeigt es kurz:

Laut der Johns Hopkins University verzeichnen wir weltweit über 46 Millionen nachgewiesene Corona-Infektionen und über 1,1 Millionen Corona-Verstorbene. Der Prozentsatz der Verstorbenen nähert sich in den weltweiten Daten allmählich halbwegs stabilen 2%.

Die in absoluten Zahlen am meisten betroffenen Länder sind die USA (über 12 Millionen Fälle), Indien (über 9 Millionen) und Brasilien (über 6 Millionen). Dann folgen Frankreich, Russland, Spanien, das UK, Italien, Argentinien, Kolumbien, Mexico und Peru. Österreich wird bald eine Viertelmillion verzeichnen.

Bezieht man die Infektionsahlen auf die Bevölkerungszahl, sind Belgien (4826 Fälle auf 100.000 Einwohner), Tschechien (4591), Israel (3855), die USA (3674), Spanien (3404), die Schweiz (3383), Frankreich (3344), Argentinien (3051), Peru (3009) und Brasilien (2868) am heftigsten betroffen, wenn man von kleinen Staaten wie Katar, Panama und Kuwait absieht. Die Niederlande verzeichnen pro Mittelstadt von 100.000 Einwohnern 2719 Fälle, bereist knapp gefolgt von Österreich (2702). Schweden (mit 2075) liegt da mittlerweile besser und Deutschland (mit 1100) viel besser. Ja, die österreichische Politik hat da im Zeichen des Tourismus schwere Fehler gemacht.

In Bezug auf die Mortalität (Verstorbene pro 100.000 Einwohner) liegt Österreich (mit 26 Fällen) noch relativ gut; nicht viel schlechter als Deutschland (17) und deutlich besser als Schweden (63,8), die Niederlande (50) und die Schweiz (46,9). Das österreichische Gesundheitssystem funktinoniert noch sehr gut; es ist gerade noch nicht völlig überlastet. Die fatalsten Zahlen liefern hier Belgien (134,5), Peru (112,8), Spanien (93,2), Argentinien (82,4), Italien (83,0), das UK (81,0), Brasilien (80,1), Chile (79,3), Mexico (77,8) und die USA (77,8).

Ebenfalls ein Licht auf die Qualität der Gesundheitssysteme wirft die Letalität, der Anteil der Verstorbenen an den Erkrankten. Mexico, Ecuador, Bolivien, der Iran, Peru, das UK, Italien, Kanada, Indonesien und Schweden liegen da immer noch über 3%. Österreich liegt bei 1% und hier sogar noch besser als Deutschland (1,6%), die Schweiz (1,4%), die Niederlande (1,8%). Wir hatten einmal eine erfolgreiche Corona-Politik und unser Gesundheitssystem ist noch nicht ganz überlastet.

(Selbstverständlich gilt weiterhin, dass Daten aus den westlichen Industrieländern nicht wirklich vergleichbar sind mit Daten aus Afrika, Lateinamerika, dem indischen Subkontinent und anderen Teilen Asiens, denn wir müssen da mit erheblich anderen Bedingungen bei der Datenerfassung rechnen.)

Lernen aus dem Virus?

Ja, wir lernen alle täglich aus dem Virus. Wie man online planen und lernen und lehren kann. Ja, das geht. Und das Bildungsministerium könnte lernen, dass ein a-priori-Misstrauen gegen ortsungebundenen Unterricht völlig falsch ist. Aber die Lernprozesse im Bildungsministerium sind laaaangsaaam.

Wir könnten auch anderes Wirtschaften lernen: wir könnten der zwangsläufigen Globalisierung auch eine Regionalisierung entgegen setzen. Hohe Besteuerung fossiler Brennstoffe, kostenlose (oder fast kostenlose) öffentliche Verlehrsmittel. Radikale Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, damit Arbeit besser verteilt wird. Bildungsinitiativen für alle Altersgruppen, damit alle ein elementares Verstädnis von exponenziellem Wachstum und anderen Wachstumsmodellen bekommen.

Wir könnten auch einen anderen Tourismus lernen: Schifahren statt Aprés-Ski z.B.

Aber ich fürchte fast, das geht sich nicht mehr aus. Impfstoffe sind offenbar fast fertig. Ich fürchte, in kurzer Zeit ist alles, was wir gelernt haben und noch lernen hätten können, vergessen. Dann geht die Party auf der Titanic wieder los. Das Corona-Leck ist gestopft, der Klima-Eisberg ist für viele immer noch nicht in Sicht, obwohl viele ihn doch eindeutig wahrnehmen können.

 


Beitrag veröffentlicht

in

, ,
Subscribe
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
ältesten
neuesten am meisten bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x