Bregenz spielt Carmen. Klassischste Opernliteratur; ein „greatest hit“ der Oper, ein sicherer Kassenschlager. Das Bühnenbild von Es Devlin, Bühnenbildnerin auch für diverse Pop-Größen, spielt alle Stückerln.
Carmen, Zigeunerin und Tabakarbeiterin, gerät in ein Handgemenge und wird von Soldaten / Polizisten verhaftet. Sie wickelt den Offizier José um den Finger: der lässt sie frei und begibt sich damit in ihre Abhängigkeit, wird selbst verhaftet. Als er wieder frei kommt, ist er hoffnungslos in Carmen verliebt und schließt sich den Halbweltkreisen an, in denen sich Carmen bewegt; die aber steht sich bald auf den Torero Escamillo. José ist verzweifelt: entwurzelt von seiner Familie, seines Jobs verlustig bringt er Carmen vor der Stierkampfarena um. (In Bregenz ersäuft er sie. Bregenzer Bodenseewasser spielt andalusischen Sand.) Am Schluss stellt sich José der Gerechtigkeit.
In Bregenz wird viel über die Spielkarten, die das Bühnenbild von Es Devlin ausmachen, angezeigt. Carmen tritt als Herz-Dame auf – was denn auch sonst? José ist der Kreuz-Bube, Escamillo die Pik-As. Frauen sind rot, Männer schwarz.
Ist die Geschichte noch plausibel? Sind Frauen noch die, die mit List die Strippen ziehen, an denen männliche Marionetten hängen? So lange, bis sich die Marionetten mit Gewalt gegen de Spielerinnen richten. Mord als typische männliche Reaktion gegenüber der beherrschenden Frau? Oder hat das sowieso nie gestimmt, weil in einer patriarchalen Gesellschaft es eh immer Männer sind, die das Sagen haben und die sich ihre Carmens halten, wenn sie sich bezahlen lassen? Ist das alles männliche Phantasie, formuliert von Prosper Mérimée und Georges Bizet?
Ins 21. Jahrhundert?
Können wir den plot irgendwie ins 21. Jahrhundert retten? Carmen als emanzipierte Frau, die weiß, was sie will und Männer als Instrumente dazu verwendet? José, um aus dem Gefängnis zu entkommen; Escamillo, um den sozialen Aufstieg zu planen. Ist das ein modernes Bild, das Carmen hergibt? Nicht wirklich.
Oder Carmen als Vertreterin einer Arbeiterinnenklasse, die gegen das Establishment auftritt, das sich eine korrupte Polizei hält? Die den Künstler und Artisten (naja: Stierkämpfer) auf ihre Seite bringt und dafür den kleinen, angepassten Polizisten sausen lässt? 50 Jahre zu spät.
Oder ist die Geschichte einfach rettungslos klischiert, rettungslos aus dem 19. Jahrhundert, und lässt sich überhaupt nur mehr als tolle bunte, artistische show mit schöner Musikbegleitung realisieren? Vergiss die Geschichte: hör die Musik und schau auf die bunten Bilder?
Escamillo
Was mir auch in der Bregenzer Inszenierung 17/18 nicht klar wird: was ist das Interessante am Torero Escamillo, für den Carmen den „wirklich“ in sie verliebten José – eine tragische Figur – aufgibt?
Escamillo ist Stierkämpfer. Der Stier ist ein Urbild, ein Symbol von Männlichkeit, besser: männlicher Gewalt. Escamillo bekämpft ihn öffentlich, in der Arena mit seiner roten Muleta, dem roten Tuch, das den Stier dazu bringt, rot zu sehen. Carmen trägt auch ein rotes Kleid: traditionell und auch durch die Kartensymbolik noch verstärkt in Bregenz. Sie ist der Reiz für eine traditionelle Männlichkeit, die totale Ansprüche erstellt: auf Leben und Tod. Der Kampf zwischen dem Stier und dem Torero wird in Bregenz auch gezeigt: als subtiler pas de deux im Hintergrund der Bühne.
Dann könnte Escamillo der Vertreter einer neuen männlichen Rolle sein: die Gewalt zähmt, die eine Koexistenz der Geschlechter ermöglicht. Die eine Absage an José ist, der seine Stiergewalt im Mord an Carmen noch einmal demonstriert.
Prosper Mérimées Carmen wäre dann die Geschichte einer Frau zwischen zwei verschiedenen Rollenbildern an Männlichkeit. Die sich des traditionellen Mannes in einer Notlage bedient, aber dann doch zu einem moderneren Partner wechselt.
Carmen zeitgemäß: Rückkehr klassischer Muster
Aber die Bregenzer Inszenierung bringt das nicht wirklich. Ich unterstelle ihr, dass der größte Teil des Publikums mit der traditionellen Geschichte der verführerischen Weibsperson, einer „Hexe“ heimgeht, die Männer abhängig macht und mit ihnen spielt. Ich gebe aber auch zu, dass meine Versuche, die Geschichte fürs 21. Jahrhundert zu retten, Mängel aufweisen. Klar: Escamillo kämpft gegen den Stier: aber wie? Selbst mit Gewalt. Und er bedient sich des Stierkampfs, eines geradezu archaischen Rituals, das nichts an Modernität enthält. Eine moderne Alternative gibt er nicht her, eher eine modernde.
Insofern haben die Bregenzer Festspiele vielleicht recht: vergessen wir die story: machen wir schöne Musik und zu dieser eine tolle show um einen Vamp zwischen zwei Männern. Die zwei Männer: einer konservativer als der andere, mit kleinen Akzentverschiebungen. (Übrigens: in meinen Augen bleiben in Bregenz sowohl José als auch Escamillo ziemlich blasse Figuren.) José oder Escamillo: wurscht. Carmen kostet es das Leben.
Kurz oder Kickl: egal.
naja: vielleicht ist der anspruch, dass man opern mit einem aktuellen inhalt verbinden können soll, definitiv zu hoch. das spiel auf dem see ist die cash cow der bregenzer festspiele: das gehts nicht so sehr um aktuelle kunst, sondern um gehobene unterhaltung und das budget, mit dem man dann auch wirkliche kunst-stücke produzieren kann. da ist es richtig, eine bühnenbildnerin – esmeralda devlin – einzusetzen, die viele reverenzen aus der pop-musik mitbringt. carmen zwischen josé und escamillo, esmeralda zwischen kurz und kickl.