Bregenz
Am Sonntag und Montag war ich – wie jedes Jahr – als Teil einer kleinen Gruppe sehr guter Freunde in Bregenz. Am Sonntag hatten wir Karten zur Matinee der Verdi-Oper Ernani, am Montag zerbrach Kleists Krug, aber wir bekamen noch Karten für ein Konzert der Wiener Symphoniker.
Ernani
Ich hatte mich nicht sehr gut vorbereitet; auf dem Weg zum Theater gaben wir uns noch die Zusammenfassung aus der Wikipedia. Eine Frau (Elvira), drei (!) Liebhaber, davon einer ein Onkel Elviras, einer ein König und einer der von ihr erwünschte: der Herzog und Räuber Ernani. Es geht um wechselnde Koalitionen unter den Verehrern, sehr viel um Ehre, noch mehr um Rache und am Schluss steht das tragische Ende des Liebespaars, weil sich Ernani verpflichtet hat sich umzubringen, wenn er die Töne eines bestimmten Horns hört. Und ja: er tuts.
Die Aufführung im Festspielhaus war bunt. Auf einer Bühne, die als oberster Teil einer Weltkugel erkennbar war: sogar Ländergrenzen waren sichtbar, spielte sich ein szenisch bluttriefendes, aber musikalisches Meisterwerk ab. (Ist Russland gemeint, die Ukraine? Nein, doch eher nicht.) Die Sänger und Sängerinnen waren bestens disponiert – bis auf einen, der die Stimme über Nacht verloren hatte und durch einen anderen Tenor aus dem Off ersetzt wurde. Volksoperndirektorin Lotte de Beer hatte eine wilde Jagd der drei Galane um das Objekt der Begierde Elvira inszeniert. Wunderbar zum Anhören und zum Zuschauen, obwohl verdammt viel „Blut“ verspritzt wurde.
Tja: und am Schluss sind Ernani und Elvira ein glückliches Paar – und dann kommen ein paar Töne aus einem Horn und Ernani bringt sich um.
Nachbereitung
Ich war unzufrieden: ich möchte auch bei einer Oper so etwas wie eine gesellschaftliche Relevanz erkennen, eine „Botschaft“ vernehmen. Meine Freunde sahen das sehr viel lockerer: schöne Musik, tolles Theater – das freut alle, das kann und soll man auf die Bühne bringen. Wir verwickelten uns in heftige Diskussionen: ich allein gegen die anderen. Ich meinte, ein Stück, das keine relevanten Zeitbezüge erkennen lasse, gehöre nicht mehr auf eine Bühne – jedenfalls nicht auf eine durch Steuergelder finanzierte; und man müsse sich doch als Intendant*in und als Inszenierende fragen, welche Botschaft man transponieren wolle – und „keine“ sei zu wenig. Und außerdem – meinte ich – sei das Ende einfach Unsinn, blödsinnig; völlig wirklichkeitsfremd.
Wie gesagt: die Diskussion war heftig; ein gemeinsames statement – über die Bewunderung der musikalischen Technik hinaus – war nicht erreichbar.
Heute lese ich im Standard („Und Action! „Ernani“ in Bregenz exzellent als Splatteroper mit Spaßeinlagen“) u.a.:
- „Lotte de Beer inszeniert bei den Festspielen Verdis Oper mit viel Komik. Das Ergebnis ist auch musikalisch wahnsinnig schön“
- „Das Blut des Gefolterten spritzt wieder und wieder auf die weiße Wand – noch etwas mehr, und die Erben von Hermann Nitsch könnten ein Plagiatsverfahren anstrengen.“
- „Bei seinem [Verdis, Anm. mb] Ernani ist hingegen alles auf Rivalität, Rache und Tod fixiert: der ganz normale Opernwahnsinn.“
- „Das Opernpublikum der Romantik war süchtig nach komplett unglaubwürdigen, abnormalen Schauerstücken.“
- „Der Handlungsgang des Ernani-Librettos erinnert an einen Slalomkurs in einer Geisterbahn: […]“
- „Nur schade, dass nach so viel Komik der letalen Wendung am Ende jede Glaubwürdigkeit fehlt: Wegen so einer skurrilen Pappnase bringt sich der voll im Saft und in „love“ stehende Ernani sicher nicht um, Ehrenwort hin oder her.“
Ja: Eine „Splatteroper“, inszeniert von Lotte de Beer. Das trifft es schon.
Ich fühle mich verstanden; ein bisschen jedenfalls.
Das Konzert
Vorgestern dann das Konzert der Symphoniker, das uns den ausgefallenen „zerbrochenen Krug“ ersetzen sollte. Haydn. Brahms. Strauss. Mehr wusste ich zunächst nicht.
Haydn war Joseph Haydn; es gab die Symphonie Nr. 92 G-Dur; Brahms war (natürlich) Johannes Brahms und es gab seine „Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur“. Und Strauss war nicht Johann sen. oder jun. oder Josef oder Eduard, sondern Richard.
Den Haydn gaben die Symphoniker souverän. Den Brahms ebenfalls: ich fand es sehr interessant, zunächst Haydn und dann die Brahms’schen Variationen zu Themen Haydns zu hören. Und dann kam der Strauss. Mir wurde es immer unangenehmer. „Filmmusik“, dachte ich mir bald, und dann „Das ist ja tschinderassa täterätä“. Ja, ich lag richtig: erst nachträglich konnte ich lesen: man gab von Strauss „Ein Heldenleben. Tondichtung für großes Orchester Es-Dur“, und das ist hart an der Filmmusik und kommt nicht ohne Tschinderassa aus. Die Teile – „1. Der Held, 2. Des Helden Widersacher, 3. Des Helden Gefährtin, 4. Des Helden Walstatt, 5. Des Helden Friedenswerke und 6. Des Helden Weltflucht und Vollendung“ – kommen halt nicht ohne Helden-story im Hintergrund und das entsprechende Täterätä im Vordergrund aus.
Für mich war der Haydn super und der Brahms der Höhepunkt. Den Strauss hätte man sich m.E. sparen können; Erich Wolfgang Korngold wär mindestens so interessant gewesen. (Dabei habe ich noch gar nicht an die höchst ambivalente Beziehung zwischen Richard Strauss und den Nazis gedacht. Gut: das „Heldenleben“ ist älter als Strauss‘ Techtelmechtel zu Nazi-Politik und -Propaganda, lange bevor es Strauss auf die „Gottbegnadeten“-Liste schaffte.)