michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

„Betreuung“. Ein Lebensmodell in vier Phasen

Der Mensch wird geboren und ist in hohem Ausmaß betreuungsbedürftig. Im Gegensatz zu vielen Tieren, die entweder sofort oder bald nach der Geburt „auf eigenen Beinen stehen“ können, hat ein neuer Mensch hohen Betreuungsbedarf.

Wie lange dauert dieser Betreuungsbedarf? Naja: das ist hochgradig zivilisationsabhängig. Es gibt Gesellschaften, in denen sich die Kinder mit 3, 4 Jahren relativ selbständig auf der Straße durchschlagen müssen. In unserer westlichen Welt dauert so eine Betreuung sicher in etwa bis zur Volljährigkeit; mehr oder weniger. Im „Hotel Mama“ lassen sich auch noch wesentlich ältere (vor allem) Männer betreuen. Sagen wir: bei uns im Schnitt 20 Jahre.

Das war Betreuungsphase 1: Betreuungsbedarf.

Nach dieser Phase 1 ist vielleicht einmal keine Betreuung angesagt. Aber dann lernt der Mensch einen Partner / eine Partnerin kennen. Irgendwann kommt ein Kind, vielleicht noch eins. Und noch eins? Es entsteht Betreuungspflicht. Wie lange dauert die? Naja: das ist hochgradig zivilisationsabhängig. Bei uns kann das schon bis zu 20 Jahre dauern.

Das war Betreuungsphase 2: Betreuungspflicht.

Nach ihr ist vielleicht einmal keine Betreuung angesagt. Unser Mensch ist jetzt gute 40, vielleicht schon 50. Seine Eltern sind – so sie noch leben – 60 bis 80. Sie werden unter Umständen pflegebedürftig; sie brauchen Betreuung. Es entsteht eine nächste Betreuungspflicht: an den Eltern. Viele schaffen das nicht; es ist nicht immer leicht. Es gibt Institutionen dafür: Seniorenheime. Wie lange dauert diese Betreuungsphase? Naja: das ist zivilisationsabhängig. In unserer Gesellschaft, mit ihrer hochentwickelten Medizin, kann das schon 10, 15, 20 Jahre dauern. Dann ist unser Mensch selbst 60, 70.

Das war Betreuungsphase 3: Betreuungspflicht.

Unser Mensch ist jetzt alt geworden, er braucht selbst Betreuung. Schön für ihn, wenn es jemand gibt, der das erkennt und der sich dieser Aufgabe stellt und ihr gerecht werden kann. Manchmal müssen Institutionen einspringen: Altersheime. Seniorenresidenzen. Aber wir haben eine gut entwickelte Medizin; mit einiger Hilfe sind schon an die 10, 15, 20 Jahre drin.

Das war Betreuungsphase 4: Betreuungsbedarf.

Da haben wir die Grundstruktur. 4 mal 20 Jahre. So in etwa 80 gesamt. Und ein paar zerquetschte. Dazwischen vielleicht so etwas wie „Fugen“ oder „Lücken“.

Thema mit Variationen

Zu dieser Grundstruktur gibt es natürlich eine Unzahl an Varianten. Man kann Betreuungsphase 1 relativ schnell abschließen und den Eintritt in Phase 2 hinausschieben. Das gibt tolle Jahre. Man kann studieren, man kann Dinge lernen, die Welt kennen lernen. (Wenn man es sich leisten kann.) Wenn es Ihnen gelingt, zwischen Phase 1 und Phase 2 eine relativ große Lücke zu fügen: nützen Sie es aus. Das ist eine Riesenchance.

Aber es kann natürlich auch sein, dass Sie Betreuungsphase 2 in die Phase 1 vorziehen. Sie wären z.B. mit 16 noch selbst betreuungsbedürftig, bekommen aber schon ein Kind. Phase 1 und Phase 2 überlagern sich. Statt Freiheiten entstehen zusätzliche Verpflichtungen.

Aber vergessen Sie nicht. Wenn Sie mit 16 Kinder bekommen, sind die vielleicht schon aus dem Haus, wenn Sie 36 sind. 36 ist kein Alter; da tun sich eventuell wieder Freiräume auf. Wenn das der Fall ist: erkennen Sie die Chance. Nützen Sie sie. Sie kommt so schnell nicht wieder.

Es kann sein, dass Sie zwischen Phase 2 und Phase 3 viel Luft bekommen. Ihre Kinder sind schon lange aus den Windeln, Ihren Eltern geht es gut. Erkennen Sie die Chance. Nützen Sie sie. Sie kommt so schnell nicht wieder.

Es kann aber auch sein, dass sich Phase 2 und Phase 3 überschneiden. Sie haben Stress mit den Kindern, aber deren Großeltern sind alles andere als eine Hilfe. Pech! Aber vielleicht eine Chance für später?

Es kann sein, dass sich Phase 3 verdoppelt: Ihre Eltern brauchen Betreuung, und Ihre Kinder schaffen das mit den Betreuungspflichten nicht hundertprozentig. Sie sind gefragt: als Tochter oder Sohn und als Großmutter oder Großvater, eine nicht sehr seltene Konstellation. „Gefragt sein“ ist an sich gut; Sie sind zweifach wichtig. Aber es ist natürlich auch Stress.

Sie können durch Kinderlosigkeit Phase 2 völlig überspringen. Viel, viel Freiheit. Verlockend. Phase 3 erfordert trotzdem einige Überlegungen: Was machen Sie mit Ihren Eltern? Und für Phase 4 gibts dann halt keine direkten AnsprechpartnerInnen, wenn Sie Phase 2 übersprungen haben. Gut: moderne SeniorInnen können sich ihr Platzl auch ohne Kinder organisieren; klar. Aber es wär doch nett … Gut: es gibt Leihenkel; es gibt junge Menschen aus anderen Ländern, die Ihnen zu Hilfe kommen können – bzw. die Sie „adoptieren“ könnten. Nützen Sie die Möglichkeiten, die sich Ihnen bieten.

„Nebenfaktoren“?

Das Grundbudget, das Ihnen zur Verfügung steht, macht natürlich enorme Unterschiede aus. Wenn Sie Geld haben, können Sie Betreuungspersonal zukaufen und damit Pflichten delegieren. Wenn Sie kein Geld haben … Ja, die Welt ist ungerecht.

Auch das Geschlecht macht Unterschiede. Als Mann können Sie lange Betreuungsbedarf zeigen, ohne dass die Leute groß tuscheln. Als Mann können Sie sich ihren Betreuungspflichten vermutlich immer noch viel leichter entziehen als als Frau: oft „betreuen“ nicht die Söhne, sondern die Schwiegertöchter. Ja, die Welt ist ungerecht.

Ein erster Schritt zu Gerechtigkeit besteht darin, Ungerechtigkeiten zu erkennen. Der zweite Schritt ist: sich wehren. Trotzdem sollte man gestalten, was möglich  ist.


Dieser Text wurde geschrieben nach Phase 3.
Phase 4 ist noch nicht wirklich in Sicht.
Wie fülle ich die Lücke?


Beitrag veröffentlicht

in

,
Subscribe
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
ältesten
neuesten am meisten bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x