[Tut mir leid: das Thema ist nicht völlig neu. Es stand schon vor 2 Wochen im profil und ich habs einfach überlesen.]
An einer Hauswand der Alice Salomon Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin steht ein Gedicht Eugen Gomringers (geb. 1925), einem der Begründer der „Konkreten Poesie“. Es lautet:
avenidas
avenidas y floresflores
flores y mujeresavenidas
avenidas y mujeresavenidas y flores y mujeres y
un admirador
Auf Deutsch:
Alleen
Alleen und BlumenBlumen
Blumen und FrauenAlleen
Alleen und FrauenAlleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer
Der AStA der Uni hat schon 2016 eine Entfernung / Übermalung des Gedichts angeregt; diese soll nun offenbar stattfinden: „gemäß einer Entscheidung des Akademischen Senats“, „noch in diesem Jahr“. (Der AStA – der „Allgemeine Studentische Ausschuss“ – ist so was wie „die ÖH“.)
In der Stellungnahme des AStA wird festgestellt, dass …
– das Gedicht „eine klassische patriarchale Kunsttradition“ reproduziere, in der die Frauen „ausschließlich inspirierende Musen“ seien
– das Gedicht „den omnipräsenten objektivierenden Blick auf Weiblichkeit“ in den Fokus stelle
– das Gedicht Frauen daran erinnere, „dass wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches „Frau*-Sein“ bewundert zu werden“
– das Gedicht Frauen „zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum“ degradiere
– das Gedicht daran erinnere, „dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können“.
Ist Gomringers Text auf höherer Ebene und äußerst subtil sexistisch? Benachteiligt / bedroht er Frauen aufgrund ihres Geschlechts? Gibt er Männern das Recht, Frauen aufgrund ihres Aussehens zu bewundern, abschätzig zu behandeln, ihnen übergriffig zu begegnen?
Ich verstehe das alles nicht. Ich sehe da auch abgründige Missverständnisse und eine abgründiges Missverstehen von Literatur und ihrer Funktion in der Gesellschaft. Man / frau verwechselt dichterischen Text mit Realitätsbefund und Nachricht, kann keine Distanz mehr sehen, auch keine ironische. Der Text behauptet nicht, dass Alleen und Blumen und Frauen schön sind oder gleichermaßen schön sind oder nur schön sind oder nur schön sein dürfen und „der Bewunderer“ am Schluss teilt nicht mit, dass er Alleen, Blumen und Frauen immer und an sich bewundert. Ja, der Text reflektiert auch subtil Geschlechterrollen, aber keine als naturgegeben und unveränderlich, sondern durchaus in einer Distanz.
Probieren wir es anders herum:
Straßen
Straßen und AutosAutos
Autos und MännerStraßen
Straßen und MännerStraßen und Autos und Männer und
eine, die sich wundert.
Sexistisch? Reduziert das Männer auf Autos, auf Technisches? Weist der Text Männern höhere technische Kompetenzen zu?
Ja, „objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke“ können überall vorkommen. Solche Blicke sind anthropologisch, allgemein menschlich. Nicht nur von Männern gegenüber Frauen, auch von Frauen gegenüber Männern, Männern gegenüber Männern, Frauen gegenüber Frauen. Das kann man kritisieren, da soll man dagegen angehen (jedenfalls gegen aktuelle, nicht nur potenzielle Übergriffe): aber dazu muss man auch einmal darüber reden können. Das tut Gomringer.
Einer, der sich wundert.
meiner meinung nach wird die sexismus-debatte in diesem fall ganz offensichtlich maßlos übertrieben und das von einer hochschule, die, laut medien, jährlich einen lyrik-preis vergibt. im grunde soll hier ein stück literatur, von einem namhaften dichter, einfach zensiert werden, mit einer eher zweifelhaften begründung. irgendwie paradox das ganze.
Das „Probieren wir es anders herum“ bringts super auf den Punkt. Ja es ist – für mich – ein Geschlechterbetonieren. Aber andererseits ists – selbst für mich als ausgewiesene Poesie- und Literaturbanause – auch eine „schöne Melodie“, zumindest das Original (sorry MB 🙂 ) Und solche haben ihren eigenen Wert in dieser Welt. Es gab unmittelbar am Eingang zur Höttingergasse über eine sehr, sehr lange Zeit ein beeindruckendes Graffito. Und solche, welche nicht nur bezeugen dass ein Schmierer grad eben ein paar Buchstaben des Alphabetes erlernt hat, sind in Innsbruck wahrlich rar. Eigentlich wars bei genauerer Betrachtung ein trickreich angebrachtes… Mehr »